Ich. Du. Inklusion. - Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Unerfüllte Wünsche

Im Jahr 2008 hat die UN-Behindertenrechtskonvention „Inklusion“ als Menschenrecht für Menschen mit Behinderungen ausgerufen. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Menschen mit Behinderungen sollen sich nun nicht mehr an ihre Umwelt anpassen müssen. Die Umwelt soll so gestaltet werden, dass alle Menschen, egal wie unterschiedlich sie sind, darin gleichberechtigt sind. Dass dieser schöne Wunsch nicht nur Chancen, sondern auch enorme, bisher größtenteils unbewältigte Herausforderungen mit sich bringt, hat Thomas Binn in seinem Dokumentarfilm Ich. Du. Inklusion. — Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft am Beispiel des Bildungssystems näher unter die Lupe genommen.
Die Abschaffung der Pflicht zum Besuch einer Sonderschule klingt erst einmal wie eine gute Sache. Eltern können seitdem selbst entscheiden, ob sie ihr Kind auf eine Sonder- oder eine Regelschule schicken. So schön die Idee auch ist, der hehre Anspruch stößt, wie der Titel des Films schon andeutet, bald auf die Realität. Binn hat fünf Kinder der Geschwister-Devries-Schule in Uedem (NRW) mit und ohne Unterstützungsbedarf über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren begleitet und zeigt die Schwierigkeiten auf, an denen die Umsetzung des Inklusionskonzepts zu scheitern droht. Förderschulen wurden geschlossen, Regelschulen sollten aufgestockt werden, um den neuen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Doch dies ist nur in unzureichendem Maße geschehen, nach wie vor fehlt es an Geld, Räumen, Material, aber vor allem an sonderpädagogischen Fachkräften, um dem erhöhten Unterstützungsbedarf angemessen begegnen zu können. Übermäßige Bürokratie droht das Projekt scheitern zu lassen, die Beteiligten schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Wenn nicht mal die Zuständigen, von denen wir annehmen sollten, dass sie keine besondere Unterstützung benötigen, zusammenarbeiten können, ist die Frage, wie wir das von hilfebedürftigen Kindern verlangen können. Keine guten Aussichten.

Vom prekären Status quo, das Konzept der Inklusion in Schulen zu verwirklichen, zur Frage, wie es denn nun Thomas Binns Film gelungen ist. Positiv ist sicherlich seine – trotz aller Probleme – optimistische Grundhaltung zu beurteilen, wie auch, dass Binn sich nicht überhebt, indem er versucht, dem komplexen Thema in Gänze gerecht zu werden. Er konzentriert sich auf die Schule und gibt seinen Gesprächspartnern Zeit und Raum, ihre Meinung kundzutun. Er ermöglicht dem Zuschauer somit einen genauen Blick auf einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit. Im Nachhinein wäre allerdings zu fragen, ob es nicht auch erhellend und damit wünschenswert gewesen wäre, die Perspektive ein wenig auszuweiten und sich andere Schulen in anderen Bundesländern anzusehen, um dem Zuschauer ein breiteres Bild beziehungsweise Vergleichsmöglichkeiten zu präsentieren. Man könnte auch sagen: Die Wirklichkeit von Binns Dokumentation kann dem hohen Anspruch des Themas nicht ganz gerecht werden.

Noch ein weiterer Wunsch bleibt weitestgehend unerfüllt: Binns Arbeit macht leider rein filmisch nicht viel her. Nun ist es bei Dokumentarfilmen, denen in erster Linie an Informationsvermittlung gelegen ist, möglicherweise weniger wichtig, auf die Inszenierung zu achten; doch Filme sind, egal welcher Gattung sie zugerechnet werden, eben immer mehr als ihr Inhalt. Ich. Du. Inklusion. — Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft beginnt mit einer Schulaufführung. Darin stellen die Kinder verschiedene Tiere dar und sagen, was sie gut können und was nicht. Alle sind anders, doch jedes auf seine Weise ist gut so wie es ist. Gemeinsam kann man viel schaffen, wenn jeder seinen Teil einbringt – so die etwas naive, aber gleichwohl Mut machende Botschaft des Stücks. Diese Aufführung wird immer wieder aufgegriffen und zieht sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation. Sie ist ihre kraftvollste künstlerische Idee. Einfälle dieser Art hätte es, bei einem Film, der sogar im Kino ausgewertet wird, ruhig noch mehrere geben dürfen.

Insgesamt bietet Ich. Du. Inklusion. — Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft keine Vision, nur eine sehr partikuläre Bestandsaufnahme seines Sujets, ist aber trotzdem in den engen Grenzen des beleuchteten Wirklichkeitsausschnitts informativ und lässt die Wichtigkeit des Themas erahnen. Sollte man Ich. Du. Inklusion sehen? Ja, das sollte man! Die große Leinwand ist dafür aber nicht unbedingt notwendig.

Ich. Du. Inklusion. - Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft

Im Jahr 2008 hat die UN-Behindertenrechtskonvention „Inklusion“ als Menschenrecht für Menschen mit Behinderungen ausgerufen. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Menschen mit Behinderungen sollen sich nun nicht mehr an ihre Umwelt anpassen müssen.
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