I Am Not a Witch (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Erstaunlich selbstbewusst

Shula (Margaret Muubwa) spricht sie nie aus, diese Worte: I Am Not a Witch. Es ist zwar jedem, der halbwegs bei Verstand ist, klar, dass das kleine Mädchen keine Hexe ist, sondern ein Waisenkind, das herumirrt und Anschluss sucht, doch der Aberglaube ist stark in Sambia. Und überhaupt ist das ja so eine Sache mit den Frauen, selbst wenn sie so jung wie Shula sind. Ihre Freiheit und Eigenständigkeit, ihr Schweigen und Schauen sind irgendwie komisch, gruselig, ungewöhnlich. Sie muss eine Hexe sein. Immerhin war sie dabei, als eine Frau aus dem Dorf Wasser holte und dabei fiel. Das und ein Traum eines weiteren Dorfbewohners reichen aus, um das Mädchen zu brandmarken.

Und gebrandmarkt wird sie wirklich. Im Hexencamp, wo außer ihr nur ältere Frauen wohnen, bekommt sie ein Tattoo auf die Stirn. Und ihr wird eine Rolle mit Band an den Rücken gebunden. Dieses soll sie vom Fliegen abhalten, aber eigentlich limitiert es nur ihren Bewegungskreis und wie das Tattoo zeichnet es sie schon von Weitem als persona non grata aus. Aber ihr wird gesagt, dass sie sich in eine Ziege verwandelt, wenn sie das Band zerschneidet. Immerhin werden die Hexen nicht mehr gesteinigt. Sie werden jetzt integriert und arbeiten für die Regierung. Mal als Touristen-Attraktion, dann wieder im Steinbruch oder auf Feldern. Dafür sorgt der Beamte Tembo (John Tembo), der die Hexen verwaltet – und eben auch manchmal Gefallen an einer findet. Seine Frau stellt sich auch als Hexe heraus, die sich als privilegiert empfindet, weil sie geheiratet wurde und im Haus wohnen darf. Auch Shula wird schnell zu seinem Liebling, denn das Mädchen hat ein Händchen dafür, bei Verhandlungen als Hexe aufzutreten und den Schuldigen zu finden. Und überhaupt ist so eine junge Hexe eben eine Attraktion mit der man Geld machen kann. Und Shula? Wird einerseits von den Hexen liebevoll aufgenommen, andererseits von allen Seiten ausgenutzt. Sie selbst bleibt still und schweigt. Nie wird man viel über das Kind erfahren. Aber das ist auch nicht der Sinn und Zweck von Rungano Nyonis Erstlingswerk I Am Not a Witch.

Vielmehr ist Shula Projektionsfläche und Spielfeld einer ganzen Reihe von Themen, die die Regisseurin hier ausarbeiten will. Es ist nicht auszumachen, wo genau die Grenzen in diesem Film verlaufen. Nyonis Werk ist eine Melange aus Aberglauben, Misogynie, Satire und scharfer Beobachtung einer Gesellschaft. Vieles in I Am Not a Witch ist überzeichnet. Das macht es aber (leider) nicht unwahr. Es gibt solche Hexencamps; der Besuch der Regisseurin bei solch einem Camp führte erst zur Idee für diesen Film. Die Idee von Hexen ist hierbei ein besonders interessanter intersektioneller Zugang. Sowohl in afrikanischen als auch in westlichen Gesellschaften ist die Figur der Hexe schon seit Jahrhunderten ein willkommener Anlass, Frauen zu defamieren, zu beschneiden, ihnen die Freiheit zu nehmen oder sie gar zu töten. Die Hexe ist der Inbegriff von Frauenfeindlichkeit, aber eben auch von weiblicher Macht. Die Hexe wird nicht nur gejagt, bestraft, getötet, sie wird auch gefürchtet ob der Kräfte, die ihr zugesprochen werden. In I Am Not a Witch sind die Hexen eindeutig Frauen, die wegen der albernsten Dinge in diese Unfreiheit geraten sind und denen hier, stellvertretend durch Tembo, aber auch von der gesamten restlichen Gesellschaft immer wieder vermittelt wird, dass sie nur überleben, wenn sie sich einreihen, unterordnen und dienen. Doch gleichsam sind sie auch Gefangene ihres eigenen Aberglaubens, denn grundsätzlich hält sie nichts davon ab, einfach zu gehen – außer die Ideen, die ihnen eingepflanzt wurden. Und so laufen sie durch ihr Leben und durch die Kadragen dieses Filmes und ziehen sowohl metaphorisch als auch tatsächlich das Band, das sie für immer bindet, hinter sich her.

Nyoni geht es zudem um das Verhältnis zum Westen, welches sich vor allem durch die Momente ausdrückt, in denen TouristInnen die Hexen im Camp besuchen, um Fotos zu machen. Dies sind wohl die bittersten Momente, zeigt sich doch hier, wie wenig Verständnis für die andere Kultur herrscht und wie egal die Menschlichkeit der angeblichen Hexen ist, wenn sie doch zum Spektakel werden. Und so wird auch Shula, die durch ihr Alter eine große Ausnahme ist, zwar gesehen, aber nicht wahrgenommen. Niemand kommt dem Kind zur Hilfe oder hinterfragt auch nur ihre Anwesenheit in solch einer absurden Situation. Auch nicht die Touristin, die fragt, warum das Kind so traurig ist. Hier hofft man darauf, dass die miserable Lage erkannt wird, dass Frauen Frauen helfen, aber die weiße Frau sieht keinen Menschen in dem schwarzen Kind, sondern eine Selfie-Möglichkeit.

Wenn schon nicht seine Figuren, zeigt wenigstens der Film selbst eindeutige Klarheit in seiner Einstellung. Es ist erstaunlich, wie selbstbewusst I Am Not a Witch daherkommt. Vor allem auf ästhetischer Ebene. Nyonis Bilder sind oftmals perfekt inszeniert. Sie spielen mit Farben, Formen und Distanzen, erlauben sich manchmal auch, einfach zu fragmentieren oder stehenzubleiben, als friere das Bild kurz ein. All das erinnert an die elaborierten Werke von Hou Hsiao-hsien oder Darren Aronofsky, die die Realität durch die Kraft ihrer perfekten Ästhetik ein wenig traumhaft gestalten. Allerdings geht hier das Bild ab und an über in Geschichte und so gibt es Momente, in denen diese Fragmente dem Verständnis Einhalt gebieten. Doch I Am Not a Witch ist eh nicht wortwörtlich zu nehmen. Vielmehr ist es ein Film, der emotional verstanden werden will und nicht logisch. Und das ist, wenn man sich darauf einlässt, durchaus gelungen und hinterlässt auch seelische Spuren beim Publikum.
 

I Am Not a Witch (2017)

Shula (Margaret Muubwa) spricht sie nie aus, diese Worte: „I Am Not a Witch“. Es ist zwar jedem, der halbwegs bei Verstand ist, klar, dass das kleine Mädchen keine Hexe ist, sondern ein Waisenkind, das herumirrt und Anschluss sucht, doch der Aberglaube ist stark in Sambia. Und überhaupt ist das ja so eine Sache mit den Frauen, selbst wenn sie so jung wie Shula sind.

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