Heimatkunde (2007)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wanderungen durch die Mark Brandenburg - satirisch

Deutschland entdeckt das Wandern. Im Gefolge von Hape Kerkeling und Manuel Andrack greift ein Volk kollektiv nach den Wanderstöcken und macht sich auf die Socken. Gerade in Zeiten, die so hektisch sind wie diese, verspricht das Wandern Ruhe, Gelassenheit und einen ganz neuen Blick auf die Landschaft, die unter die Füße genommen wird. Dies hat sich auch Martin Sonneborn, ehemals Chefredakteur der Satire-Zeitschrift Titanic und seit 2006 mitverantwortlicher Redakteur der Satire-Rubrik Spam bei Spiegel Online, zunutze gemacht. Begleitet von einem Kamerateam brach der Vorsitzende von DIE PARTEI, die unter anderem den Wiederaufbau der Mauer fordert, zu einer Wanderung rund um Berlin entlang des früheren „antifaschistischen Schutzwalls“ auf und erkundete mit satirischem Witz und der Neugier eines Ethnologen fremde Lebensformen im Zonenrandgebiet.

Abgesehen von des Wanderns Mühen waren allerdings nicht allzu viele Anstrengungen nötig, denn Sonneborn und sein Team nahmen einfach das auf, was sie vorfanden – frei nach dem Motto, dass keine Satire so treffend ist wie das wahre Leben. Gleich die erste Begegnung mit einem textilfreien Sonnenanbeter auf einer ziemlich maroden Brücke über den Teltow Kanal setzt ein erstes Ausrufungszeichen: „Sind Sie Nudist?“, brüllt Sonneborn dem Dösenden zu und verwickelt diesen in ein Gespräch über das Nacktbaden und die neugierigen Nachbarn, derentwegen der Mann die Sonne nur noch in der Abgeschiedenheit der baufälligen Brücke sucht. Flugs macht sich Sonneborn auf zu dem Ort, wo die Nachbarn immer mit den Gardinen wackeln, sobald der Nudist sein Sonnenbad nimmt.

Dort findet Sonneborn immer noch die alte, längst überwunden geglaubte Trennung zwischen „Ost“ und „West“ vor: Im alten Ortskern wohnen überwiegend die „Ostdeutschen“, während sich die schmucke Neubausiedlung fest in „Wessi“-Hand befindet. 99 Prozent Wessis seien hier, weiß der Makler zu berichten. Bei 380 Häusern macht das immerhin 3,8 Häuser, in denen eine ostdeutsche Familie wohnen soll, rechnet Sonneborn fix aus. Doch die Suche nach einer „original“ ostdeutschen Familie in der Siedlung erweist sich als schwieriges Unterfangen und wird schließlich erfolglos abgebrochen. Im alten Ortskern finden sich dann doch noch „Ureinwohner“ sowie ein vom (West)Bürgermeister eingeweihter zentraler Platz mit antifaschistischem Mahnmal und vier Hundehygiene-Boxen – Platz für die Kinder ist auf dem neu gestalteten Areal hingegen nicht vorgesehen.

Geschichten und Fundstücke wie diese findet Sonneborn im wahrsten Sinne des Wortes „haufenweise“. Und nur selten hat man dabei das Gefühl, dass er die Menschen, denen er begegnet hinterlistig aufs Glatteis führt – er lässt sie einfach gewähren und frei von der Leber weg reden. Genau das kam aber bei einigen der Beteiligten nicht so gut an. Als „üblen Ossi-Hetz-Film“ titulierte der Berliner Kurier Sonneborns Werk und fand gleich auch Mitwirkende, die sich über den Tisch gezogen fühlten. Wahrscheinlich hätten sie sich erstmal informieren müssen, wie Sonneborns Forderung nach einer Wiedererrichtung Mauer gemeint ist und was sich hinter seiner PARTEI (Ausgeschrieben „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“) überhaupt verbirgt. „In der Politik wird heutzutage geäußert, was Stimmen bringt, und das werden wir auch tun. Ich finde es schließlich besser, wenn wir die Stimmen bekommen als irgendwelche Rechtsradikale“, so Sonneborn.

Wenn man den Film gesehen hat, könnte man glauben, dass die Idee einer neuerlichen Trennung Deutschlands durchaus mehrheitsfähig wäre – und zwar sowohl im Osten wie auch im Westen. Nur ist das natürlich nicht mit der „offiziellen“ Haltung zu diesem Thema kompatibel. Weil nicht sein kann, das nicht sein darf. Dass die Mauer sowieso noch fest in den Köpfen einbetoniert ist, das macht der Film auf drastische und komische Weise immer wieder klar – ob in den ganzen Vorurteilen, die man von beiden Seiten über die jeweils andere hört, in Gesprächen, in denen Mädchen, die die DDR nicht gekannt haben, plötzlich die Meinung ihrer Eltern wiedergeben oder in Plattenbauwohnungen, in denen die Fußbodenbeläge eine Grenzlinie zwischen Ost und West („Das da ist der Billigschrott aus dem Osten, das hier der Billigschrott aus dem Westen“) ziehen, die man mit Füßen treten kann. Ob es allerdings so schlimm kommt wie am Ende, in dem prophezeit wird, dass die Chinesen die Deutschen „platt machen“ werden, sei dahingestellt. Zumal dies wirklich eine der wenigen Szenen ist, in denen der Wille zur Pointe über das Ziel hinausschießt.

An manchen Stellen von Heimatkunde fühlt man sich an Thomas Nickels geniale Deutschland-Doku Deckname Dennis erinnert, insgesamt aber kommt der Film trotz teilweise sehr gelungener Szenen nicht an das Vorbild heran. Dennoch ist dieser Film als kleiner Beitrag zum Tag der Deutschen Einheit, der sich einen Tag nach dem Kinostart zum 18. Mal jährt, sehr zu empfehlen – Gespür für Zwischentöne und Lust an der Satire sollte man allerdings schon mitbringen.
 

Heimatkunde (2007)

Deutschland entdeckt das Wandern. Im Gefolge von Hape Kerkeling und Manuel Andrack greift ein Volk kollektiv nach den Wanderstöcken und macht sich auf die Socken.

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Meinungen

Michael Sopper · 19.11.2008

Klasse