Hedis Hochzeit

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Muttersöhnchen und Nesthäkchen

Der junge Tunesier Hedi kann einem schon leidtun. Zumindest ein ganz klein wenig. 25 Jahre ist er alt und doch steht er immer noch unter der Fuchtel seiner Mutter, die für den Autoverkäufer dessen Leben regelt. Und so lässt er sich weiterhin herumschubsen, bevormunden, lässt sich zu einer arrangierten Hochzeit drängen, bei der die Mutter fest die Zügel in der Hand hält und alles so arrangiert, wie sie es gerne hätte. Und das natürlich stets unter dem Deckmantel, dass sie es ja stets nur gut mit ihrem Nesthäkchen meint.
Doch es gibt noch eine andere Seite: Warum nur lässt Hedi das alles so widerspruchslos mit sich machen? Warum läuft er durch die Gegend mit der Haltung eines geprügelten Hundes und einem Gesichtsausdruck, dass man fast vermuten könnte, er habe dauerhaft einen Schluck Lebertran im Mund? Wüsste man nicht besser Bescheid um die Zyklen der Filmproduktion, könnte man Hedi fast schon für eine Reaktion auf die Vorfälle am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht halten. Der „nordafrikanische Mann“ als Aggressor? Vergesst dieses Narrativ, in Wirklichkeit, so intendiert es Hedi, ist die männliche Jugend Nordafrikas weichgespült, angepasst und ein Haufen von Muttersöhnchen, die selbst nichts auf die Reihe bekommen.

Aber klar, dass das als Zustandsbeschreibung allein noch keinen Film ausmacht — und so kommt es, wie es kommen muss: Hedi wird von seinem Chef auf Akquisetour in eine Stadt am Meer geschickt und lernt dort zufällig Rim kennen, eine Frau, wie er sie bislang nicht getroffen hat: Fünf Jahre älter als er, nicht gebunden, als Animateurin ständig unterwegs in der Weltgeschichte. Plötzlich ahnt dieser junge Mann ohne jegliche Ambition, dass es vielleicht doch noch möglich sein könnte, etwas aus seinem Leben zu machen: Vielleicht kann er ja doch der Hochzeit entkommen, kann doch mit den Comics, die er zeichnet, seinen Lebensunterhalt verdienen, kann doch den strengen Vorstellungen seiner Mutter entrinnen. All dies leuchtet unvermittelt auf, als Rim in seinem Leben erscheint, die einen jähen Kontrapunkt setzt zu dem verdrucksten, sittenstrengen und bigotten Leben, das er bisher kennt. Und prompt steht er vor der Frage, die möglicherweise sein Leben entscheiden könnte: Soll er sich auf die unmittelbar bevorstehende Heirat mit Khedija einlassen? Oder soll er Rim nach Montpellier folgen — ohne einen genauen Plan, wie es dann weitergeht?

Die Hoffnungen des arabischen Frühlings, sie sind in Mohamed Ben Attias Film allenfalls noch ferne Erinnerung: In einer Szene erinnert sich ausgerechnet die selbstbewusste Rim, sie habe den „arabischen Frühling“ gemeinsam mit Touristen am Fernseher verfolgt. Man kann Hedi durchaus als politischen Kommentar zum gegenwärtigen Zustand Tunesiens verstehen: Dem Gefühl eines Aufbruchs ist die Ernüchterung gewichen, dem Aufbegehren die Unterordnung, dem Gefühl von Freiheit die Enge, der sich nur entkommen lässt, wenn man wie Hedis Bruder sein Glück im fernen Europa sucht.

Was für ein grandioser Film über die zerschmetterten Hoffnungen des arabischen Frühlings hätte Hedi doch sein können, was hätte er uns erzählen können über die Perspektivlosigkeit der jungen Bevölkerungsschichten, die zwischen Tradition und Aufbruch zerrieben werden. Doch ganz so leicht und einfach macht es Mohamed Ben Attia den Zuschauern nicht: Stattdessen erweckt der Film fast den Eindruck eines Sedativums und gewinnt erst durch die Begegnung mit Rim ein wenig an Fahrt, die dann allerdings gegen Ende hin durch Hedis Zögern und Zaudern jäh gebremst wird. Aber vielleicht liegt ja auch in dieser finalen Tristesse die wahre Sprengkraft des Films: Der nordafrikanische Mann ist demzufolge in Wirklichkeit ein mutterfixiertes Weichei, das am Ende nicht mal den Arsch hochbekommt, um den Weg nach Europa zu suchen. Wie traurig! Womöglich aber steckt genau in dieser Bitterkeit die irgendwie ernüchternde, andererseits aber zutiefst wahre Erkenntnis, dass der Aufbruch in die Freiheit immer wieder aufs Neue probiert werden muss — sonst scheitert er bereits im Keim und an den rigiden Familienstrukturen.

Hedis Hochzeit

Der junge Tunesier Hedi kann einem schon leidtun. Zumindest ein ganz klein wenig. 25 Jahre ist er alt und doch steht er immer noch unter der Fuchtel seiner Mutter, die für den Autoverkäufer dessen Leben regelt. Und so lässt er sich weiterhin herumschubsen, bevormunden, lässt sich zu einer arrangierten Hochzeit drängen, bei der die Mutter fest die Zügel in der Hand hält und alles so arrangiert, wie sie es gerne hätte. Und das natürlich stets unter dem Deckmantel, dass sie es ja stets nur gut mit ihrem Nesthäkchen meint.
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