Grenzbock

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf, auf zum fröhlichen Jagen

In breitestem Filmformat blicken wir hinauf auf die unendlichen Wälder Brandenburgs. „Der Wald“, informiert uns eine genretypische sonore Stimme, „unter den Wipfeln der Bäume durchkreuzen Jäger und Wild ihre Territorien und zeichnen mit ihrem endlosen Reigen aus Eroberung, Verfolgung, Flucht und Verlust eine unsichtbare Karte in die Landschaft.“ Das ist Parodie auf jahrzehntealte Tierdokus mit ihrem interessiert-distanzierten, zugleich zugeneigt-gerührten Blick auf possierliche Geschöpfe und ihre Lebensroutinen. Hendrik Löbbert macht sich in seinem Kinodebüt Grenzbock diesen Blick zu eigen – aber er stellt ihn nicht heraus. Das Voice-over am Anfang setzt die Atmosphäre des Films, aber es macht Platz für ein Porträt des Jägers als altem Mann, das sich überhaupt nicht lustig macht, sondern sich ernsthaft mit einer ernsthaften Beschäftigung beschäftigt: mit Hege und Pflege des Waldes und dem gelegentlichen Abschuss.
Immer ist da diese Sehnsucht nach Wildnis. Nach der Ruhe, nach der Beruhigung durch die Natur. Nach der Ursprünglichkeit der Schöpfung. Ein früherer Truppenübungsplatz im Brandenburgischen: Hier soll sich die Natur selbst entwickeln, möglichst ohne menschliches Zutun. Das ist natürlich ein Wunschtraum, meint einer der porträtierten Jäger; während ein anderer gerade diese Natur nach Vorbild amerikanischer Nationalparks aufzubauen versucht. Dann ist da aber das Rotwild: Das ist jetzt hierhergezogen, zusammen mit Rehen und Damwild schadet das der Forst- und Landwirtschaft. Und den Wolf, den gibt es jetzt auch, und da ist einerseits die Rotkäppchen-Syndrom-Angst im Menschen, andererseits ist Isegrim ein Partner bei der Reduzierung des Schadwildbestandes, drittens aber auch ideologisch aufgeladen und Brennpunkt im Streit zwischen Jagdverbänden und Umweltschützern.

Das Jagen ist eine komplizierte Leidenschaft. Um die Parameter, die sich um die Jagd gebildet haben, die sie beeinflussen, geht es Löbbert, um Wild und Beute, Regulierungen und Organisation, Ideologie und Weltbild, weniger um die Jagd selbst. Die Pro-oder-Contra-Frage stellt er in seinem Film von vornherein nicht, das Jagen selbst dokumentiert er weniger zu Informations- denn zu Charakterisierungszwecken. Selbst die Problematiken schneidet er nur an, weil es nicht um Fakten des Jagdrechts oder der Jagdpolitik geht. Es geht um eine Leidenschaft, um ein Lebensgefühl, es geht um die Annäherung des Jägers an seine Beute: Ganz wörtlich und räumlich zu verstehen, wenn die Jäger ihre Forste treu durchstreifen; aber auch metaphysisch und spirituell. Der Mensch als Teil der Nahrungskette, als Tier, das Nahrung braucht; der Mensch als Wald-Verwalter. Und: Jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Die Jäger werden im Zwiespalt gezeigt, ein Zwiespalt, der ihnen selbst vielleicht gar nicht so bewusst ist: Einerseits als Pfleger der Natur, der Verantwortung übernimmt zur Erhaltung des Waldes in einem möglichst natürlichen Zustand. Der ganz nah ist am Grünen, der sich erfreut an den Bildern der Landschaft, die er durchschreitet. Der die Natur zu lesen versteht – Wahnsinn, wie einer aus verschiedenen Abdrücken auf einem sandigen Weg die Bewegungen und Motive verschiedener Tiere ersehen kann, Art, Menge, Alter, wer wann wohin gelaufen ist und warum … Und andererseits: Diese Lust an der Jagd, dieses Vergnügen daran, ein Stück Wild zu erlegen, ein Hobby, das Freude bringt – gerechtfertigt mit den hohen Wildzahlen, aber vor allem auch zur eigenen Triebabfuhr ausgeübt. Der Hirsch wird geschossen zum Schutz des Waldes – und wegen der Trophäe, die auf seinem Kopf wächst.

Und dann ist da diese Inkompatibilität zwischen menschlicher Ordnung und tierischer Freiheit: Die Wälder sind eingeteilt in Reviere, jede Jagd ist reguliert auf ein bestimmtes Gebiet, auf bestimmtes Wild. Nur hält sich das Wild nicht unbedingt daran, und der eine oder andere Bock mag auch mal eine Reviergrenze zu überschreiten … Die Quadratur des Kreises: Die behördliche verwaltete Forsteinteilung, die der Natur ihre Freiheit, ihre Herrenlosigkeit gewähren und erhalten will.

Insbesondere drei Protagonisten hat sich Löbbert ausgegriffen, mit je eigenem Charakter, der eine, der von der Natur schwärmt, der andere mit eher kühler, fast intellektueller Herangehensweise, der dritte, der redselig alles kommentiert, von früheren Zeiten schwärmt und zu jeder Situation eine Anekdote auf Lager hat. Dieser wird auch mal politisch, den nervenden Naturschützern legt er gerne mal einen Wolfsschädel hin, den habe er selbst geschossen, als der seinen Hof angreifen wollte, lügt er ihnen spitzbübisch vor. Und eigentlich hat man doch das Gefühl, dass sie alle, von welcher Ideologie sie auch kommen, die Liebe zum Wald, zur Natur eint, nur eben mit völlig konträren Mitteln.

Immer wieder schaltet sich der sonore Kommentar ein, der Fachbegriffe – das Schnüren des Wolfs, die Hirschtränen, den Grenzbock – erläutert. Und dies spürbar auch auf die Jagdgesellschaft bezieht, alte Männer, die leidenschaftlich ihr Leben der Natur geweiht haben, so leidenschaftlich, dass sie für ihre Passion auf dem Schießstand üben müssen.

Grenzbock

In breitestem Filmformat blicken wir hinauf auf die unendlichen Wälder Brandenburgs. „Der Wald“, informiert uns eine genretypische sonore Stimme, „unter den Wipfeln der Bäume durchkreuzen Jäger und Wild ihre Territorien und zeichnen mit ihrem endlosen Reigen aus Eroberung, Verfolgung, Flucht und Verlust eine unsichtbare Karte in die Landschaft.“ Das ist Parodie auf jahrzehntealte Tierdokus mit ihrem interessiert-distanzierten, zugleich zugeneigt-gerührten Blick auf possierliche Geschöpfe und ihre Lebensroutinen.
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