Gloria (2013)

Das Glück der späten Jahre

Gloria hört auf, wie er beginnt: Die Titelfigur Gloria inmitten von Menschen und Musik. Und doch ist viel passiert in der Zwischenzeit. Gloria ist eine andere geworden und gleichzeitig dieselbe geblieben. In den gut 100 Filmminuten leidet und lacht man mit Gloria und hat sie am Ende ins Herz geschlossen.

Gloria (Paulina García) ist seit dreizehn Jahren geschieden, ihre Kinder sind schon seit langem aus dem Haus. Deshalb führt sie ein relativ selbstbestimmtes Leben, geht am Tag arbeiten und am Abend aus. Sie ist gut beschäftigt, würde aber — das zeigen die Nachrichten, die sie auf die Anrufbeantworter ihrer Kinder spricht — gerne noch beschäftigter sein. Gloria sucht nach dem zweiten Glück, das verraten ihre Augen immer wieder, und doch mimt sie die souveräne, fröhliche und lebensliebende Frau, die die Blicke der Männer auf sich zieht. Sie scheint zufrieden und fast glücklich, wenn sie auf der Tanzfläche steht oder bei ihrem vermutlich ersten Bungeejump aus vollem Herzen lacht. Als sie Rodolfo (Sergio Hernández) kennenlernt, erhält ihr Glück gar eine neue Dimension. Doch Rodolfo, der sich erst vor kurzem und endlich, so sagt er, von seiner Frau getrennt habe, hat Schwierigkeiten, Vergangenheit und Verantwortung hinter sich und sich mit Gloria auf etwas Neues einzulassen. Immer wieder reißen ihn die Anrufe seiner Familie zurück in sein altes Leben, und Gloria hat sichtlich jedes Mal mit sich zu kämpfen, wenn Rudolfos Töchter ihre Intimität stören, mehr jedoch damit, dass Rudolfo sich stören lässt, sie verleugnet und sie nicht Teil seines Lebens werden lässt.

Nichtsdestotrotz versuchen die beiden, eine Beziehung aufzubauen. Gloria nimmt ihn mit auf die Geburtstagsfeier ihres Sohnes im kleinen Kreis und stellt Rodolfo ihrer Familie vor. Rodolfo lädt Gloria auf ein Wochenende nach Viña del Mar an. Doch beide Male schafft er es nicht, durchzuhalten und verschwindet jeweils nach einem Telefonat mit seinen Töchtern spurlos und ohne Ankündigung von der Bildfläche. Gloria ist verwirrt, sie versteht Rodolfo nicht, gibt ihm nach dem ersten Verschwinden aber eine zweite Chance und ist bereit, mit allen Mitteln für dieses neue Glück zu kämpfen. Dann jedoch muss sie sich eingestehen, dass sie nicht gewinnen, sondern nur ihre Wut zum Ausdruck bringen kann. Was sie dann auch, bewaffnet mit einem Paintball-Gewehr, tut. Und dann sitzt sie lautstark lachend in ihrem Auto, wirkt befreit und voller Klarsicht. Wenn sie nun auf die Tanzfläche geht und anfängt, in kuriosen Bewegungen die Musik zu erfassen, ist dies nicht das triste Bild von zuvor, sondern Ausdruck ihres neuen Selbst-Bewusstseins.


Gloria ist sehr gut besetzt mit bekannten und unbekannten Gesichtern des chilenischen Kinos. Sergio Hernández, im Land berühmt durch viele Kinorollen, übertrifft seine bisherige Arbeit dahingehend, dass er nicht einen Typus Mann, sondern eine komplexe Figur spielt, die will, aber nicht kann, und letztendlich auch nicht recht weiß, was sie will. Diese Zerrissenheit — die sich im Wort „finalmente“ (dt. endlich) wiederfindet — spielt Hernández sehr überzeugend. Mehr aber noch lebt der Film von Paulina Garcías Leistung. Es ist dieser — auch sehr poetisch inszenierte — suchende Blick, der im Gedächtnis bleibt, meist lächelnd und gleichzeitig etwas verbergend: Ist es Stolz oder ist es diese Verlorenheit einer definitiv einsamen Frau? Oder ist es einfach nur der Ausdruck von Gleichgültigkeit? Auch die Figur der Gloria ist äußerst ambivalent, und diese Ambivalenz könnte nicht glaubwürdiger dargestellt sein. Gloria wirkt (auf Rodolfo) sowohl in ihrer physischen Präsenz als auch in ihren Handlungen wie die starke, unabhängige und erfolgreiche Frau — doch letztendlich ist sie um so viel schwächer und ärmer, als es Roldolfo ist. Sie wird nicht gebraucht — nur eine hässliche Katze, die Gloria ob ihres rattenähnlichen Äußeren hasst, schleicht sich regelmäßig in ihre Wohnung und darf schlussendlich auch übernachten.

Gloria ist ein Film über eine Generation von Menschen — nicht nur von Frauen, aber besonders von Frauen -, die sich nach einem, so könnte man meinen, doch eigentlich gelebten Leben noch einmal neu orientieren und eben nicht akzeptieren wollen, dass es das jetzt war. „Die Welt ist voller Glorias“, sagte Regiseeur Sebastián Lelio in der Berlinale-Pressekonferenz. Und trifft damit den Trend auf den Punkt, die ältere Generation vermehrt auf die Leinwand zu holen. Diesem Trend folgt nach Filmen wie Wolke 9 oder Wie beim ersten Mal auch Gloria, und er macht das — übrigens auch filmästhetisch — ziemlich gut. Als Zuschauer geht man aus dem Kinosaal und will wissen, wie es weitergeht, was weiter mit Gloria und ihrem Leben passiert. Glaubwürdiger und spannender kann man eine Figur kaum entwickeln.

Der Film ist vielschichtig und bietet noch eine Fülle von weiteren Aspekten. An dieser Stellen nur kurz: Gloria spielt im heutigen Chile — und er macht dies auch bewusst. Er lässt die Figuren über das Chile nach Pinochet diskutieren, zeigt die Studentengenerationen und macht deutlich, dass es ihm nicht nur um das Einzelschicksal einer Frau, sondern um generelle Themen wie Veränderung und Anerkennung geht. Und das sind Themen, die das aktuelle Chile als Gesellschaft betreffen und letztendlich auch universell genug sind, um vor einem internationalen Publikum gespielt zu werden.

(Festivalkritik Berlinale 2013 von Verena Schmöller)

Gloria (2013)

„Gloria“ hört auf, wie er beginnt: Die Titelfigur Gloria inmitten von Menschen und Musik. Und doch ist viel passiert in der Zwischenzeit. Gloria ist eine andere geworden und gleichzeitig dieselbe geblieben. In den gut 100 Filmminuten leidet und lacht man mit Gloria und hat sie am Ende ins Herz geschlossen.

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Meinungen

Corinna Gerhards · 17.07.2013

Gloria, eine lebensfrohe geschiedene Endfünfzigerin kämpft gegen ihr Alter und das Alleine sein, nachdem ihre erwachsenen Kinder schon alle ausgezogen sind, indem sie Yoga – Kurse belegt, sich intensiv um ihr Äußeres kümmert und häufig zu Tanz – Veranstaltungen geht. Dabei lernt sie Rudolfo kennen und die beiden kommen sich schnell näher. Für beide ist es aber gar nicht so einfach, sich völlig auf die Beziehung einzulassen, da beide ihre Päckchen aus der Vergangenheit mitbringen und immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Obwohl Gloria mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem Lebensmut dagegen ankämpft, reißt es sie immer wieder hinunter in Löcher aus Einsamkeit und Zukunftsangst.

Der chilenische Regisseur und Co – Autor Sebastian Lelio war mit diesem Film bei der Berlinale 2013 für den goldenen Bären nominiert, seine Hauptdarstellerin Paulina Garcia hat den silbernen Bären als beste Darstellerin gewonnen. Völlig zu Recht muss man sagen.
Mit beeindruckendem Feingefühl inszeniert Lelio die Geschichte der alternden Gloria, die mit allen Mitteln versucht, dem Gefühl von Enttäuschungen und Leere die Stirn zu bieten.
Die Kraft des Filmes zeigt sich vor allem in den kleinen Bildern. Zum einen im Zwischenmenschlichen, wobei das meiste in kleinen Gesten und in den Gesichtern der Schauspieler passiert (Sergio Hernández „Rodolfo“ zeigt eines der besten „Ha, ha sehr lustig – Gesichter“ das ich bisher im Kino gesehen habe), zum anderen durch kurze Einstellungen, die im ersten Moment gar nichts unbedingt mit der Geschichte zu tun zu haben scheinen und erst in der Entwicklung bzw. beim längeren darüber Nachdenken ihre Tiefe entwickeln. So manch einer mag sich nach dem Film auch bewogen fühlen, mal einer örtlichen Lach – Yoga Gruppe beizutreten…
Jede Minute des Film ist genau durchdacht und intelligent inszeniert, ohne dabei auf ganz große Kracher zurückgreifen zu müssen. Dafür verzeiht man auch gerne mal das ein oder andere kleinere Klischee.
Vor allem die teilweise verstörend realen körperlichen Annäherungen bis hin zu konkreten Sexszenen sind dabei sehr mutig, aber auch so echt und leidenschaftlich, das sie ohne Frage glaubhaft sind. (wobei es ein paar Szenen gab, bei denen ich mich ein bisschen über die niederländische Altersfreigabe von 12 Jahren gewundert habe).
Genau mit dieser Kombination gelingt es dem Filmemacher, seinen Figuren bis auf den emotionalen Grund vorzudringen, wenn auch auf sehr leise Art und Weise.
Schade, dass er sich dafür die mittlerweile etwas abgegriffene Thematik des „Älter -werdens und Liebe finden“ ausgesucht hat. So wirkt die an sich schöne und gewollt passende Langsamkeit, häufig etwas langatmig, obwohl jede Szene durchaus ihre Berechtigung hat.
Sicher kein Film für jeden, gerade wenn man lieber schnellere, action-reichere Streifen sieht, obwohl er gegen Ende noch mal angenehm anzieht und vor allem das Finale wirklich überzeugt.