Gleißendes Glück

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Dienerin zweier Herren

Eine Frau zwischen zwei Männern und auf der Suche nach Gleißendem Glück: Sven Taddicken verfilmt den Roman Gleißendes Glück von A. L. Kennedy, die Geschichte einer Provinz-Frau, die in einer gewalttätigen Ehe gefangen ist und sich einem hochintelligenten Neuropsychologen annähert, der sich aber auch als Wichser herausstellt. Ach, eigentlich eine einfache Geschichte – aber so kraftvoll, so zart, so intensiv, so wahrhaftig erzählt!
Helene Brindel, die Martina Gedeck mit angemessener, nie zu starker Verhärmtheit spielt, kann nicht schlafen. Nachts um drei presst sie Orangen aus, schmiert Brote für den Gatten, pennt dann irgendwann vor dem Fernseher ein. Wenn ihr Mann morgens das Haus verlässt, streicht er ihr über die Wange. Und sie wacht auf in der Leere, die ihr Leben ist. Irgendwann unterhalten sich die beiden tatsächlich mal, über Gott und die Welt – der Glaube, das ist Humbug, erklärt der Mann, freilich mit gröberen Worten, sie lächelt still und begütigend, weiß sie doch in diesem Moment sehr genau, was ihr fehlt. Eine religiöse Erfahrung, ein spirituelles Erlebnis, denn Gott, so erklärt sie einmal im Film, ist ihr irgendwann irgendwie verloren gegangen. Gott: Der so wichtig in ihrem Leben war, der sie in allem durchdrungen, aus allem angesprochen hat. Bis sie eines Tages den Himmel nicht mehr verstanden hat. Ihrem Mann gegenüber bleibt dies unausgesprochen. Um wenigstens eine kleine Reaktion, einen kleinen Widerspruch zu provozieren, klemmt er ihre Finger in der Küchenschublade ein; gebrochen ist nichts, aber zwei Fingernägel müssen wegoperiert werden.

Helene macht sich auf die Reise. Nicht zu ihrer Schwester, das ist eine Ausrede, sondern zu Professor Eduard E. Gluck. Wie sie im Tagungsgebäude steht, ganz verloren und doch zielstrebig, da ahnt man genau, was für eine große Überwindung, welch großer Schritt im Leben es für sie war, mit Gluck einen Termin auszumachen, mit diesem Gluck, der das selbstgemachte Glück verspricht in seinen Ratgebern zur Gehirnkonditionierung. Man möge sich vorstellen: Man kann sich das Leben, das Glück, die Welt so machen, wie man sie haben möchte! Und das ist alles wissenschaftlich untermauert, mit großer Überzeugungskraft. So begegnen sich die Gegensätze, Helene Brindel und Eduard Gluck, und sie verbringen einen fröhlichen Abend. Einen Abend mit modernem finnischen Tanz und vielen Gesprächen, und irgendwie kann Helene am nächsten Tag so richtig lang schlafen. Gluck tut ihr gut – Ulrich Tukur fährt seinen ganzen Charme aus, wenn Gluck Helene ausführt, und beinahe glaubt man ihm alles, was er sagt.

Bis Gluck sie nach mehreren dieser Rendezvous‘ in der Nacht anruft. Und seine Porno- und Wichssucht nicht mehr wissenschaftlich verbrämt verteidigt, sondern sie in übelsten Worten schmäht. Wohlgemerkt: Nur verbal, nicht körperlich ist er in sie eingedrungen. Im Gegensatz zu Helenes Mann nimmt Gluck sie nur als Wichsvorlage, während der Göttergatte sie als Projektionsfläche für seine ganze Wut hernimmt, aber so richtig. Mit schlimmstem körperlichem Missbrauch. Und natürlich zuhause wieder diese ihr ganz unerklärliche Schlaflosigkeit.

Taddicken weiß ganz genau, wie er seine Geschichte erzählen muss, was er zeigen, was er andeuten, was er weglassen muss. Offensichtlich über längeren Zeitraum geht dieser Lebensabschnitt der Frau Brindel, die Wunden heilen, der Kontakt zu Gluck wird irgendwann wiederaufgenommen; zwischendurch halluzinative Traumsequenzen, in denen sich Helene als Ausstellobjekte im Erotikshop sieht, in denen Pornopaare sich in Glucks Wohnung tummeln. Und schließlich beginnt Helene, Gluck zu helfen. Nicht nur als Resonanzboden für dessen selbstauferlegte Abstinenz, sondern auch tatkräftig: Indem sie ihm gegenübersitzt als Ansprechpunkt, als Katalysator für die Scham, die seine Wut zu verdrängen beginnt.

Die Begegnungen mit Gluck, der alles im Leben gesehen hat und noch viel mehr, ganz Unaussprechliches, sehen will, bergen für sie die spirituelle Chance, Gutes zu tun. Oder wie sie es sagen würde: Sie ist kein guter Mensch, hat nur nicht immer getan, was sie will. Doch ist sie nach wie vor auf Hilfestellung für ihr Gegenüber getrimmt, auf Reaktion auf die Aktionen des Gegenübers – und irgendwie beginnt sie, sich auf sich selbst einzulassen, auf genau diese Selbstkonditionierung, die sie ein Leben lang begleitet hat bis zum großen Kulminationspunkt. So sehr ihr Mann sie körperlich missbraucht, so sehr will sie ihrem Gluck die Last von seiner Seele nehmen. Und wie sie nackt einen Passionsgang durchs Wohnzimmer hinlegt, als großen Opfergang: Das ist eine ergreifende Szene – und hat viel mehr mit Lars von Trier zu tun, als man in oberflächlicher Betrachtung denken könnte.

Vor der spirituellen Auferstehung, das ist ihr klar, muss die dunkle Nacht stehen. Eine letzte Nacht mit vielleicht ganz langem Schlaf.

Gleißendes Glück

Eine Frau zwischen zwei Männern und auf der Suche nach Gleißendem Glück: Sven Taddicken verfilmt den Roman „Gleißendes Glück“ von A. L. Kennedy, die Geschichte einer Provinz-Frau, die in einer gewalttätigen Ehe gefangen ist und sich einem hochintelligenten Neuropsychologen annähert, der sich aber auch als Wichser herausstellt. Ach, eigentlich eine einfache Geschichte – aber so kraftvoll, so zart, so intensiv, so wahrhaftig erzählt!
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

ramona schmid · 23.10.2016

Hallo an Herrn Mühlbeyer.
Sorry, aber Ihrer oberflächlichen Interpretation des filmes wird m. e. das großartige Wirken der zwei Protagonisten nicht gerecht. Eine katholisch erzogenen Frau, die ihren Glauben verloren hat in einer Gewaltehe und Fluchtpunkte sucht, gerät an einen Neurowissenschaftler, der sich seine eigene Hilflosigkeit zum Thema gemacht hat: er ist seiner Gewaltporno-Sucht völlig beziehungslos- einsam, straft sich selbst mit Brechtiraden dank Apo- Morphin-Injektionen und trifft auf diese fast gebrochene Frau ohne Lebensinhalt. Zusammen überwinden sie, mit viel Mut , ihre Lebensfallen; Heilung geschieht - durch Liebe.-
Wie wäre es damit? Zu intellektuell?-Tukur und Gedeck geben sich nicht für eine story wie "Dienerin zweier herren her. Sorry, zu billig Ihr Kommentar , zu oberflächlich.-
Der Film ist genial, zart, für Menschen, die an die Heilung durch Liebe glauben.

ramona schmid · 23.10.2016

Zu billig, zu oberflächlich der Kommentar.