Generation Kunduz - Der Krieg der Anderen

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

...und im Hintergrund herrscht Krieg

Was wissen wir schon über das Leben in Afghanistan? Über das Leben der dort stationierten Soldaten wissen wir so einiges, unterfüttert auch durch dramatisierte, emotionalisierende Dokumentarfilme wie Camp Armadillo oder Restrepo. In ersterem sehen wir, wie es jungen dänischen Soldaten während ihres Einsatzes in der Provinz Helmland ergangen ist, letzterer nimmt uns mit in die Hölle, welche US-amerikanische Soldaten in ihrem Vorposten im Korengal-Tal durchlebt haben. Doch die alltägliche Lebenswelt der Einheimischen ist bisher ein blinder Fleck. Der deutsche Journalist und Autor Martin Gerner liefert nun mit seinem Dokumentarfilm-Debüt Generation Kunduz — Der Krieg der Anderen einen Einblick in den Alltag in Kunduz und stellt verschiedene junge Leute vor, die von ihrem Leben und ihren Perspektiven zwischen Bomben, Burka und Bildung erzählen.
Da ist eine junge Radiomoderatorin bei einem Frauensender, die gerne Jura studieren will; da ist ein junger Landwirtschafts-Student, der sich als freier Wahlbeobachter engagiert; da ist der ernste kleine Junge, der täglich als Schuhputzer durch die Stadt zieht, bevor er mit Brot heimkehrt und für die Schule lernen kann; da ist der Modefreak mit großen Träumen und ersten Versuchen im Filmemachen; und da sind auch die 7-fache Mutter, die als Polizistin arbeitet und der alte Bauer, der 4 Söhne bei dem Bombenangriff unter deutschem Kommando auf zwei von Taliban entführte Tank-Lastzüge verloren hat.

Sie alle stellt der Film mit den Mitteln der begleitenden Reportage vor, wobei Gerner auf einen Kommentar aus dem Off verzichtet und die Porträtierten für sich sprechen lässt. Er gibt ihren Geschichten Zeit, sich episodenhaft zu entfalten und führt diese an einigen Stellen anhand gemeinsamer Themen wie etwa Liebe und Heirat, Bildung und Zukunft, oder der Frage nach weiblicher Selbstbestimmung ein. Als roter Faden, der auf die allgegenwärtige Bedrohung verweist, zieht sich das Tanklaster-Ereignis durch den Film. Der Vorfall ereignete sich zwischen zwei von insgesamt drei Dreh-Perioden, die der Afghanistan-erfahrene Gerner (er ist seit 2004 Korrespondent in Afghanistan und bildet auch junge afghanische Journalisten aus) mit verschiedenen Dari-sprachigen Kameramännern in Kunduz verbrachte. Die Verunsicherung und das Misstrauen, die durch den fatalen Befehl zum Angriff neu geschürt wurden, sind manchen Protagonisten in der Gegenwart des Filmemachers anzumerken und werden auch offen thematisiert.

Nach und nach wird im Film deutlich, dass die „Normalität“, die die jungen Leute leben, schwer erkämpft und ein fragiles Gut ist — auch im privaten Bereich. Eben noch sitzt die Jura-Aspirantin in einem Kurs über Internet und Blogging (das sie als Mittel begreift, ihre Meinung frei zu äußern – was sie im Radiosender nur eingeschränkt tun kann) und macht mit einem männlichen Kollegen Scherze über die Kombination Bloggen und Burka. Später ist sie zwar noch selbstbewusst bei ihrer Arbeit im Radiosender zu sehen, dazu ist jedoch aus dem Off ein Telefonat zu hören, bei dem sie dem Filmemacher erklärt, dass sie nicht weiter mit ihm für den Film zusammenarbeiten könne, da ihr Verlobter dagegen sei, dass sie Kontakt zu fremden Männern pflege. Mit der Bemerkung, sie könne jetzt nicht frei sprechen, beendet sie abrupt das Gespräch. Die tradierten Rollenbilder in der islamischen Gesellschaft bedeuten im privaten Bereich einen ebenso starken Gegner für bildungsbewusste junge Frauen, wie es die Bedrohung der Taliban im öffentlichen Leben darstellt.

Generation Kunduz — Der Krieg der Anderen ist eine handwerklich gut gemachte Dokumentation, die durch die Präsenz und Eloquenz ihrer Protagonisten lebt. Der Film will nicht emotionalisieren und hält sich auch mit dem Einsatz von Filmmusik wohltuend zurück. Der Film bietet auch kein großes visuelles Kino, findet jedoch immer wieder durchaus poetische Bilder, in denen die Widersprüche des Alltags mitten im Krieg sichtbar werden und in denen der Krieg an den Rändern dieses Alltags durchscheint. Insgesamt ein sehenswerter Einblick in eine Welt, von der wir – überfüttert mit Nachrichten aus Krisengebieten – schon nichts mehr hören wollen, obwohl wir doch so wenig wissen über das wirkliche Leben der Menschen dort. Der Film füllt diese Lücke und wurde 2011 auf dem 54. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm mit dem Förderpreis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet.

Generation Kunduz - Der Krieg der Anderen

Was wissen wir schon über das Leben in Afghanistan? Über das Leben der dort stationierten Soldaten wissen wir so einiges, unterfüttert auch durch dramatisierte, emotionalisierende Dokumentarfilme wie „Camp Armadillo“ oder „Restrepo“. In ersterem sehen wir, wie es jungen dänischen Soldaten während ihres Einsatzes in der Provinz Helmland ergangen ist, letzterer nimmt uns mit in die Hölle, welche US-amerikanische Soldaten in ihrem Vorposten im Korengal-Tal durchlebt haben. Doch die alltägliche Lebenswelt der Einheimischen ist bisher ein blinder Fleck.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen