Wochenendkrieger

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Elfen und Orks am Steinhuder Meer

Wer bisher dachte, dass Elfen und andere Fabelwesen vornehmlich in Neuseeland beheimatet wären und dass man sie dort insbesondere auf den Filmsets von Peter Jacksons Herr der Ringe antrifft, der wird in Andreas Geigers Dokumentarfilm Wochenendkrieger eines Besseren belehrt. Denn „mitten in Europa, kurz hinter Hannover am Steinhuder Meer liegt Auental“, ein mystischer Ort, an dem sich jeden Sommer tausende von Live-Rollenspielern versammeln, um am Wochenende „den ewigen Kampf von Gut gegen Böse“ zu zelebrieren. In der profanen Alltagswelt liegt Auental dort, wo der Atlas ein 300-Seelen-Dorf mit dem wenig mystischen Namen Brokeloh verzeichnet.
Äußerst vielfältig sind die Mittel, mit denen die Fantasie-Charaktere zum Leben erweckt werden. Genügen der einen Schminke und lange Gummiohren, um sich in eine Elfin zu verwandeln, zieht sich ein anderer die zähnefletschende Orks-Latexmaske gleich über den ganzen Kopf. Die Kostüme werden entweder mit viel Fantasie und Improvisationstalent selbst geschneidert oder einfach von der Stange im spezialisierten Fachhandel gekauft, wo die großen Renner gleich tausendfach in die ganze Welt verschickt werden. Ebenso unterschiedlich, wie die verschiedenen Fabelwesen, sind auch die „Menschlinge“, die sich hinter den Masken verbergen.

Fünf von ihnen stellt Andreas Geiger in Wochenendkrieger näher vor. Da ist Sven, Montagearbeiter bei VW in Wolfsburg und „Gärtner der öligen Pestilenz“ im Auental. Chris ist Lehrerin mit weltlichem Wohnsitz in Tübingen und verwandelt sich am Wochenende in „Aniesha Fey, die Herrscherin der Leere“. Nicole studiert Modedesign und nutzt ihre Kenntnisse zum Entwurf passender Kostüme für die von ihr verkörperten Figuren. Unter anderem spielt sie „Lenora, die Königin der Elfen“. Gregor, Maskenbildner für eine auf Rollenspiele spezialisierte Firma in Berlin, verbindet Hobby und Beruf indem er selbst Live-Szenarien entwickelt und darin als „Erzmagier Lamathel“ erscheint. Dirk schließlich arbeitet bei den Grünen als Sekretär eher im Hintergrund, während er als der „Fürst des untoten Fleisches“ eine gewaltige Armee an Untoten anführt.

Es ist faszinierend zu sehen, dass sich jedes Jahr eine Heerschar von Live-Rollenspielern versammelt, um ihre Alltagswelt zeitweilig gegen eine oft bizarr anmutende Fantasiewelt einzutauschen. Da stellt sich natürlich unweigerlich die Frage nach der dem bunten Treiben zugrundeliegenden Motivation. Eine große Stärke von Andreas Geigers Dokumentation liegt darin, dass der Filmemacher vollkommen hinter das von ihm Gezeigten zurücktritt und die einzelnen Beobachtungen für sich wirken lässt. Wochenendkrieger verzichtet auf Interviews und lässt stattdessen die Protagonisten selbst zu Wort kommen. Der Film montiert abwechselnd Szenen aus dem Alltag der Fünf und aus ihrem Doppelleben im Auenland. Dabei folgt Wochenendkrieger selbst der Dramaturgie eines Live-Rollenspiels und folgt dem Verlauf eines Sommers im Auenland. Auch optisch orientiert sich der Film mit Breitwandformat und zum Teil schnellen Schnitten mehr an aktuellen Fantasyfilmen, als an einem typisch nüchternen Dokumentarfilmstil. Somit taucht der Zuschauer zusammen mit den Protagonisten direkt in die Welt des Live-Rollenspiels ein, wodurch diese Welt auch für den Nicht-Rollenspieler greifbar und emotional erfahrbar wird. Wochenendkrieger wird selbst zu einem Erlebnis, einem Live-Rollenspiel aus der sicheren Distanz des dunklen Kinosaals heraus.

Sehr interessant ist auch, dass alle gezeigten Rollenspieler die Frage nach ihrer tieferliegenden Motivation und nach möglichen konkreten Effekten ganz anders bewerten. Das Spektrum reicht von einer Selbstdiffamierung als Außenseiter, der im Alltag nicht so viel zu sagen hat und deshalb auch mal den großen Anführer spielen will, bis hin zu schier endlosen Möglichkeiten der kreativen Selbstverwirklichung. Viele sehen auch eine Wechselwirkung zwischen ihrem Alltag und ihren Leben in der Fantasywelt. Ihre Rollen ermöglichen ihnen ein Spiel mit verschiedenen Identitäten und ein ungezwungenes Erproben neuer Situationen, die zu einem konkreten persönlichen Wachstum führen können. So gewährt Wochenendkrieger spannende, skurrile und auch erheiternde Einblicke in unweit von uns gelegene verborgene Parallelwelten, die alleine in Deutschland regelmäßig von über 250.000 Menschen bevölkert werden.

Wochenendkrieger

Wer bisher dachte, dass Elfen und andere Fabelwesen vornehmlich in Neuseeland beheimatet wären und dass man sie dort insbesondere auf den Filmsets von Peter Jacksons „Herr der Ringe“ antrifft, der wird in Andreas Geigers Dokumentarfilm „Wochenendkrieger“ eines Besseren belehrt.
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