Wer schön sein will, muss reisen

Eine Filmkritik von Claire Horst

Dicksein als Schönheitsideal: Unterwegs in Mauretanien

Die meisten kennen Tine Wittler als Moderatorin einer Einrichtungsshow im Privatfernsehen. Dass sie jahrelang als Journalistin gearbeitet hat, eine Hamburger Bar und ein Modelabel für große Größen betreibt, ist jedoch weniger bekannt.
Dicksein ist das ungewollte Lebensthema der Moderatorin. Denn weil sie dem gängigen Schönheitsideal nicht entspricht, wird sie von außen ständig auf ihre eigenen Körpermaße reduziert. So hat sie in vielen Interviews betont, wie sie Klischees von der „immer fröhlichen Dicken“ oder vergiftete Komplimente, dass sie etwa „trotzdem“ so selbstbewusst sei, verletzen.

Welchen Einfluss haben Schönheitsideale auf mein Leben? Wie verändert sich meine Selbstwahrnehmung, wenn ich plötzlich anderen Idealen unterworfen bin? Und was sagen diese Ideale über unsere Gesellschaft aus? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen reist Wittler mit einem kleinen Team in die islamische Republik Mauretanien, eines der ärmsten Länder der Welt. In Mauretanien gelten dicke Frauen als schön, ein Ideal, das bis vor wenigen Jahrzehnten noch mit der Gavage, der Zwangsmästung kleiner Mädchen, verfolgt wurde.

Gemeinsam mit Regisseur und Co-Autor René Schöttler und der Ethnologin und Tonfrau Irina Linke trifft Wittler Frauenrechtlerinnen, Journalistinnen, einen Philosophen und weitere Frauen und Männer, die sie nach ihrer Vorstellung von Schönheit befragt. Ihre Herangehensweise ist dabei gewöhnungsbedürftig: Denn sie tritt weniger als professionelle Journalistin auf, sondern geht mit einer naiven Neugier an ihr Thema heran. So blickt sie verschämt kichernd in die Kamera, als sie die Malhafa, das traditionelle mauretanische Kleidungsstück, anprobiert, und stellt Fragen mit einem kulleräugigen Staunen im Gesicht. Anfangs nervt das – und führt schließlich doch zum Erfolg.

Denn gerade mit diesem sehr persönlichen und in seiner selbst entlarvenden Art mutigen Ansatz kommt Wittler ihren Gesprächspartnern sehr nahe. So wird das Team von Aminetou Mint El Moctar, einer der bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Landes, nach Hause eingeladen und erfährt nicht nur viel über die patriarchalen Strukturen des Staates, der nach den Regeln der Scharia organisiert ist, sondern auch über die persönliche Biografie dieser mutigen Frau. Trotz wiederholter Todesdrohungen setzt sie sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern ein und kämpft gegen Sklaverei und die Verheiratung kleiner Mädchen.

Gespräche wie diese sind Höhepunkte in dem Film, der ansonsten vor allem von den persönlichen Beziehungen zwischen Wittler und den Befragten lebt. Die große Zuneigung zwischen ihr und der Begleiterin und Übersetzerin Wafa El Hassan ist deutlich zu spüren und sehr berührend. Um den Film zu tragen, ist das trotzdem etwas dünn. Und auch wenn die Autorin ihr eigenes Unbehagen thematisiert, als das Kamerateam in Hungeraufstände gerät, bleibt dieses ungute Gefühl auch bei den Zuschauern bestehen: Ein Land, in dem Menschen ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, als Hintergrund für die Auseinandersetzung mit der Frage nach Schönheit zu nutzen, wirkt in solchen Momenten unangemessen. Und trotzdem: Es geht bei dieser Frage immer auch um Menschenrechte. Wer definiert eigentlich, was schön ist? Warum unterwerfen sich Frauen diesem Bild? Die Frauen, die in dem Film zu Wort kommen, beeindrucken mit ihrer Stärke und Unabhängigkeit – die sie sich trotz aller politischen Unterdrückung bewahrt haben.

Warum gelingt es derart starken und selbstbewussten Frauen wie den porträtierten nicht, sich gegen die massiven patriarchalen Strukturen zur Wehr zu setzen — eine Frage, die sich natürlich auf der ganzen Welt stellen ließe. Was bedeutet der zunehmende Einfluss westlicher Schönheitsbilder für die mauretanische Kultur? Wie entwickelten sich die Proteste weiter, die in dem Film am Rande dargestellt werden? Wie hat sich die Gavage in Mauretanien überhaupt entwickelt, und welche Einflüsse hatte die Kolonialgeschichte darauf? Welche Rolle spielen Genitalverstümmelung, Todesstrafe bei Homosexualität und Sklaverei heute in dem Land? Natürlich kann ein Dokumentarfilm nicht all diese Fragen beantworten. Zu viele davon wirft er aber auf, um sie dann im Raum stehen zu lassen.

Als Empowerment für Frauen, die sich von den Schönheitsnormen unter Druck gesetzt fühlen, ist der Film großartig. Du bist schön, wenn du etwas im Kopf hast und für deine Ziele kämpfst, das ist das Mantra von Wafa und vielen anderen Protagonist/innen. Dass Mauretanien im Film nicht viel mehr ist als die Kulisse zu diesem Thema, hinterlässt ein leichtes Unbehagen. Vielleicht gelingt es dem Film ja, mehr Interesse für das Land zu wecken. Dass es nicht nur atemberaubende Naturschönheit, sondern auch spannende Menschen zu bieten hat, macht er jedenfalls deutlich.

Wer schön sein will, muss reisen

Die meisten kennen Tine Wittler als Moderatorin einer Einrichtungsshow im Privatfernsehen. Dass sie jahrelang als Journalistin gearbeitet hat, eine Hamburger Bar und ein Modelabel für große Größen betreibt, ist jedoch weniger bekannt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Hannibal · 25.09.2013

Ohne zu ahnen, wer Tine Wittler ist, habe ich mir den Film während der Dokumentarfilmwoche in Hamburg angeguckt.

Dass Wittlers "Herangehensweise" zum "Erfolg führt" habe ich nun wirklich nicht so empfunden - ganz im Gegenteil. Der ganze Film hat auf mich ausgesprochen konzeptlos gewirkt; am Ende war es eine Mischung aus Reisebericht und mehr oder weniger belanglosen Interviews bzw. Tine Wittler auf der eitlen Suche nach Anerkunng. Journalistisches "Handwerk": Fehlanzeige!