Wer hat Angst vor Sibylle Berg

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Frau Berg und das Glück

„Eine Hasspredigerin der Single-Gesellschaft“, die „Designerin des Schreckens“, die „letzte freie Radikale unter den deutschen Schriftstellerinnen“, die „erbarmungsloseste deutsche Schriftstellerin“, die „Fachfrau fürs Zynische“ – diese aus dem Off gesprochenen Zuschreibungen an die Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg stehen am Anfang des Films Wer hat Angst vor Sibylle Berg? von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier; von der Protagonistin selbst werden sie nur mit einem „Um Gottes Willen“ kommentiert. Danach sieht man sie in Los Angeles in dem von dem Architekten John Lautner gestalteten Haus, das sie unbedingt einmal sehen wollte, wie sie eine Führung des Hausherren James Goldstein erhält. Oder wie es die Filmemacherinnen ausdrücken: „Früher suchte Sibylle Berg das Glück, nun sucht sie ein Haus“.
Im weiteren Verlauf des Films wird sie immer wieder Häuser besuchen und von ihrer Suche nach einer passenden Behausung erzählen, doch schon in Los Angeles zeigt sich ein grundlegendes Charakteristikum des Filmes: Der Lautner-Hausherr versteht manche Fragen von Sibylle Berg nicht und so wenig er sie beantwortet, wird auch dieser Film nicht alle Fragen zu Sibylle Berg und schon gar nicht zu ihrem Leben liefern. Doch obwohl man über Sibylle Bergs Privatleben so gut wie nichts erfährt, glaubt man, ihr am Ende näher gekommen zu sein.

Köhler und Baier haben sich in ihrem Dokumentarfilm für eine konventionelle Herangehensweise entschieden: Sie zeigen Sibylle Berg bei Spaziergängen, bei Inszenierungen ihrer Theaterstücke, bei einem Workshop mit Nachwuchs-Dramaturgen, in verschiedenen Häusern und lassen Freund_innen wie Helene Hegemann, Katja Riemann und Olli Schulz über sie reden. Vor allem aber sprechen sie mit Sibylle Berg, die wiederum Fragen mit „Das ist jetzt aber eine blöde Frage“ kommentiert, um sie wenig später doch zu beantworten, freimütig erklärt, dass sie Max Frisch hasse, von Edgar Allen Poe beeinflusst sei und über den Erfolg von Liebesromanen sinniert. Sie spricht über Stationen ihrer Biographie: Geboren in Weimar, mit 22 Jahren Flucht in die Bundesrepublik, Besuch einer Clownschule, ein schwerer Autounfall, Übersiedlung in die Schweiz. Dabei kann man sich jedoch niemals sicher sein, wie viele der geschilderten Episoden tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Vielmehr verweist die althergebrachte Form eines filmischen Porträts hier sehr deutlich darauf, dass es nicht um ein authentisches Bild der porträtierten Person geht, sondern stets um die Selbstwahrnehmung des Porträtierten und Fremdwahrnehmung der Filmacher_innen, in denen dann jeweils weitere Selbstinszenierungsstrategien eine Rolle spielen.

Sibylle Berg charakterisiert sich selbst als „sad and silly“ – und ebenso wie in ihrem Schaffen spiegelt sich ihre Einschätzung auch in diesem Film wider. Sie ist eine hochinteressante Gesprächspartnerin, die gleichermaßen treffende wie zynische Kommentare und Beobachtungen ausspricht und doch zugleich immer wieder auf Versäumnisse und Grenzen hinweist. Sibylle Berg ist in einer Zeit als Schriftstellerin erfolgreich geworden, in denen die mediale Selbstinszenierung, die Attraktivität der Autor_innen-Fotos und die „Talkshow-Eignung“ eine zunehmend größere Rolle für den schriftstellerischen Erfolg, womöglich sogar den Buch-Vertrag an sich, spielen. Seit Jahren gelingt es ihr, dass sie einen – ohne jede postmoderne Ironie – glauben lässt, man „verstehe“ sie, und behält sich doch vor, dass man sie nicht „kennt“. Deshalb ist Wer hat Angst vor Sibylle Berg? genau der richtige Dokumentarfilm zu der Schriftstellerin Sibylle Berg, bei dessen Rezeption womöglich ihr Werk eine Rolle spielt – und zwar nicht in dem Sinn, dass es intertextuelle Beziehungen und Anspielungen gäbe, sondern dass sich eine der vielen bemerkenswerten Eigenschaften von Sibylle Bergs Schreiben in dem Film widerspiegelt: Ähnlich wie in Sibylle Bergs Kolumnen und Romanen glaubt man, einen Einblick in ihre Gedankenwelt zu bekommen, ohne dass man tatsächlich etwas über ihr inneres Leben erfährt. Dadurch greift der Film das Spiel zwischen Selbstinszenierung und Authentizität nicht nur auf, sondern macht es zu seinem Konzept – und schließt damit das Scheitern eines ‚persönlichen Porträts‘ offen mit ein. Und dadurch ist der Film aufschlussreicher als so manches Werk über einen Schriftsteller, das schlichtweg private Details ausbreitet.

Wer hat Angst vor Sibylle Berg

„Eine Hasspredigerin der Single-Gesellschaft“, die „Designerin des Schreckens“, die „letzte freie Radikale unter den deutschen Schriftstellerinnen“, die „erbarmungsloseste deutsche Schriftstellerin“, die „Fachfrau fürs Zynische“ – diese aus dem Off gesprochenen Zuschreibungen an die Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg stehen am Anfang des Films „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier; von der Protagonistin selbst werden sie nur mit einem „Um Gottes Willen“ kommentiert.
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