Wara no tate - Die Gejagten

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Ein Schild aus Stroh

Wara no tate – das heißt „Schild aus Stroh“ und weist schon darauf hin, wie fragil der Schutz ist, den unser Rechtssystem gewährt. Takashi Miike zeigt in seinem spannenden Film eindrucksvoll, dass das Recht schnell dort endet, wo der Betrag – in diesem Fall ein Kopfgeld von einer Milliarde Yen – hoch genug ist.
Besagtes Kopfgeld setzt der Medienmogul Ninagawa (Tsutomu Yamazaki) auf Kiyomaru (Tatsuya Fujiwara), den Mörder seiner Enkeltochter, aus. Dieser stellt sich aus Angst um sein Leben der Polizei. Doch auch in Gewahrsam ist er nicht sicher, denn egal ob normaler Bürger oder Staatsdiener, so ziemlich jeder ist scharf auf das riesige Kopfgeld. Der prinzipientreue Polizist Mekari (Takao Osawa) und seine ehrgeizige Kollegin Atsuko (Nanako Matsushima) bekommen den Auftrag, Kiyomaru heimlich nach Tokio zu bringen. Zusammen mit einigen Kollegen von der lokalen Polizei versuchen sie, sich in die Hauptstadt durchzuschlagen. Doch ihre Verfolger wissen nur zu gut über ihren Aufenthaltsort Bescheid. Gibt es einen Spitzel unter den Polizisten?

Takashi Miike hat einen unglaublichen filmischen Output. Schon fast 100 Filme hat der japanische Regisseur in seiner Karriere inszeniert. In Deutschland wurde er vor allem durch die Skandalwerke der späten Neunziger und frühen Zweitausender Jahre wie Dead Or Alive, Audition, Ichi, The Killer oder Visitor Q berühmt und berüchtigt. Doch wer Miike auf seine Provokationen reduziert, verkennt die Stärken dieses vielseitigen Regisseurs, der sich in fast jedem Genre zu Hause fühlt – und offensichtlich auch überall etwas beizusteuern hat. In Wara no tate zeigt er nun, dass er nicht nur das Genre Thriller beherrscht, sondern darüber hinaus in der Lage ist, den moralisch herausfordernden Stoff der Novelle von Kazuhiro nach einem Drehbuch von Tamio Hayashi sensibel bei gleichzeitig größtmöglicher Wucht auf die Leinwand zu bringen.

Wara no tate ist spannend, sehr spannend sogar. Überall, auch in den eigenen Reihen agieren Menschen, für die eine Million Yen einfach zu verlockend sind, um sich an dienstliche Gelübde oder gar moralische Maßstäbe zu halten. In gewisser Hinsicht erinnert Miikes Film an John Carpenter Werke wie Das Ding aus einer anderen Welt (jeder könnte schon infiltriert sein!) und Assault On Precinct 13 – nur dass die belagerte Polizeiwache in diesem Fall eine mobile Polizeikolonne ist, die ständig das Fortbewegungsmittel wechselt. Gemeinsamkeiten finden sich durchaus auch mit den Werken des chinesischen Kollegen Johnnie To, der Actionszenen und Shootouts virtuos mit dem filmischen Raum verknüpft. Ebenso spannend wie durch die Kopfgeld-Grundprämisse und die mitreißende Umsetzung ist Wara no tate allerdings durch das moralische Dilemma, das Miike innerhalb der gut zwei Stunden Spieldauer geschickt aus verschiedenen Perspektiven durchdekliniert. Darf, ja, sollte man ein unbelehrbares, menschliches Monster aus der Gesellschaft eliminieren? Und wie ändert sich die Antwort auf diese Frage, wenn Geld im Spiel ist? Großartig wie es Miike gelingt, den Zuschauer immer wieder moralisch taumeln zu lassen, wie er gleichzeitig verschiedene Arten und Kräfte des Bösen konstruiert und uns letztendlich die Frage stellt, welche davon die Gesellschaft am ehesten zersetzt. Die Antwort die der Film hierauf gibt ist klar: Geld macht so gut wie jeden Rechtsschutz zu einem bloßen Strohschild, der keinen Schutz mehr bietet vor Partikularinteressen und Willkür.

Wenn Wara no tate eine Schwäche hat, dann ist es der von Tatsuya Fujiwaras gespielte Kiyomaru. Auch wenn positiv auffällt, dass Fujiwara gegen den Strich besetzt ist, wirkt er eher wie der softe Sänger einer Boygroup als ein Serienkiller. So ist es seiner Figur, die je nach Drehbuch-Erfordernis ihren Charakter wechselt, leider nicht vergönnt, eine konsistente Persönlichkeit auszubilden. Trotz dieses kleinen Schönheitsfehlers ist Takashi ein herausfordernder und durchweg mitreißender Thriller gelungen. Sein bester seit Jahren.

Wara no tate - Die Gejagten

„Wara no tate“ – das heißt „Schild aus Stroh“ und weist schon darauf hin, wie fragil der Schutz ist, den unser Rechtssystem gewährt. Takashi Miike zeigt in seinem spannenden Film eindrucksvoll, dass das Recht schnell dort endet, wo der Betrag – in diesem Fall ein Kopfgeld von einer Milliarde Yen – hoch genug ist.
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