Virgin Mountain (2015)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Mann und ein Tanzkurs

Das Leben kann einsam sein in Island. In den weiten Landschaften wohnen wenige Menschen, die Straßen sind oft leergefegt. Aber Fúsi (Gunnar Jónsson) wohnt in der Stadt in einer Hochhaussiedlung und arbeitet am Flughafen als Gepäckwagenfahrer. Dennoch ist er einsam: Mit 43 Jahren lebt er bei seiner Mutter, hatte noch nie eine Freundin und wird von seinen Kollegen wegen seines Gewichts gemobbt. Seine Freizeit ist von Regelmäßigkeiten bestimmt, jeden Freitag geht er ins China-Restaurant und bestellt das gleiche Gericht, regelmäßig sitzt er in seinem Auto am Fjord und ruft beim örtlichen Radiosender an, außerdem trifft er sich mit seinem einzigen Kumpel, um Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nachzuspielen. Er hat sich eingerichtet in seinem Dasein, doch nun will ihn der Freund seiner Mutter aus der Wohnung haben. Deshalb schenkt er ihm einen Gutschein für einen Line-Dance-Kurs zum Geburtstag, damit er eine Freundin findet oder wenigstens unter Menschen geht. Beim ersten Mal traut sich Fúsi kaum in den Saal, sondern wartet auf dem Parkplatz in seinem Auto auf das Ende des Kurses. Dort spricht ihn Sjöfn (Ilmur Kristjánsdóttir) an und bittet ihn, sie in dem Schneesturm nach Hause zu fahren. Sie kommen ins Gespräch, Sjöfn ist nett und so überredet sie ihn, beim nächsten Mal am Kurs teilzunehmen. Diese Begegnung wird Fúsis Leben langsam, aber sicher verändern.

Die Geschichte von Virgin Mountain klingt sehr nach einer romantischen Komödie, aber Regisseur und Drehbuchautor Dagur Kári widersteht nicht nur den meisten Klischees, sondern hat vor allem sehr reale Charaktere geschaffen. Sie sind Menschen, die bereits Entscheidungen getroffen oder durch deren Verweigerung die Weichen gestellt haben. Sie sind echt, haben Nöte und Sorgen – und vor allem ist ihr Verhalten zu verstehen. Dabei ist Ilmur Kristjánsdóttir als Sjöfn gleichermaßen lebenslustig und traurig, anpackend und desillusioniert.

Dennoch steht im Mittelpunkt eindeutig Fúsi, der von Gunnár Jonsson perfekt verkörpert wird. Er ist ein Mann, der bisher das Leben vermieden hat und einfach in seinem Alltag stecken geblieben ist. Eigentlich will er nicht auffallen, aber aufgrund seiner Gutherzigkeit und Körperfülle wird er Opfer von Anfeindungen und Vorurteilen. Er ist ein Außenseiter, allein schon aufgrund seiner Lebensumstände. Und wenn ein 43-jähriger Mann, der bei seiner Mutter lebt, mit der achtjährigen Tochter des neu eingezogenen Nachbarn Zeit verbringt, erscheint das vielen suspekt. Fúsi nimmt das hin, er begehrt nicht auf oder vollzieht eine radikale Wandlung. Vielmehr scheint er langsam aufzuwachen, nachdem er bisher durch das Leben schlafgewandelt ist. Diese Veränderung vollzieht Gunnár Jonsson dank seiner Körpersprache und seiner Mimik sehr gut. Unterstützt wird er hier von der ruhigen Inszenierung, den gut gesetzten Lachern und insbesondere der Musik in diesem Film.

Obwohl der derzeitige internationale Titel Virgin Mountain eine Komödie über eine über 40-jährige männliche Jungfrau erwarten lässt, ist dieser isländische Film vor allem die Charakterstudie eines Außenseiters. Dabei verweigert sich Dagur Kári einfachen Lösungen – und so liegt der Schlüssel zum Glück nicht in der Liebe oder einer sexuellen Beziehung, sondern in der Verantwortung für das eigene Leben. Und dadurch ist Virgin Mountain ein unterhaltsamer, lustiger und berührender Film über einen 43-jährigen Mann in Island.
 

Virgin Mountain (2015)

Das Leben kann einsam sein in Island. In den weiten Landschaften wohnen wenige Menschen, die Straßen sind oft leergefegt. Aber Fúsi (Gunnar Jónsson) wohnt in der Stadt in einer Hochhaussiedlung und arbeitet am Flughafen als Gepäckwagenfahrer. Dennoch ist er einsam: Mit 43 Jahren lebt er bei seiner Mutter, hatte noch nie eine Freundin und wird von seinen Kollegen wegen seines Gewichts gemobbt.

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