Vielen Dank für nichts

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Gesehen oder Nicht-Gesehen werden

In ihrem Film Me too – Wer will schon normal sein? haben die Regisseure Álvaro Pastor Gaspar und Antonio Naharro den Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Respekt eines Mannes mit Down-Syndrom beschrieben. Sie konzentrierten sich auf die Reaktionen seiner Mitmenschen und sein Werben um eine hübsche Arbeitskollegin. Und im letzten Jahr erzählte die belgische Komödie Hasta la vista im Stil eines Roadmovies von drei Behinderten, die endlich Sex haben wollten.
Mit seinem Film Vielen Dank für nichts setzt das Regie- und Drehbuch-Duo Stefan Hillebrand und Oliver Paulus die mitleidslose und offene Perspektive dieser Filme fort, setzt in der Geschichte aber früher an: Nach einem Snowboardunfall sitzt Valentin (Joel Basman) im Rollstuhl und gibt vor allem seiner Mutter die Schuld dafür. Er hadert mit sich, mit seinem neuen Leben und jedem in seinem Umfeld. Und nun zwingt ihn seine Mutter auch noch, an einem Theaterprojekt für Behinderte teilzunehmen, bei dem Hamlet aufgeführt werden soll, und er in dieser Zeit in einem Wohnheim leben soll. Anfangs ist Valentin sehr darauf bedacht, auf den Unterschied zwischen den anderen Bewohnern, den „Spastis“ und sich selbst hinzuweisen, er ist genervt von der Sozialpädagogin Katja (Isolde Fischer), von seinem Zimmer inklusive Windeln, seinem Zimmergenossen, dem „Vollspasten“ Titus (Bastian Wurbs), und den Theaterproben. Dann verguckt er sich in die Pflegerin Mira (Anna Unterberger) – und plötzlich scheint nicht mehr alles schlecht zu sein. Allmählich findet er sich in seinem Umfeld zurecht, freundet sich mit Titus und Lukas (Nikki Rappl) an und nun könnte der Film seinen konventionellen Gang gehen, nach dem Valentin durch seine Freunde und seine Verliebtheit wieder einen Sinn im Leben entdeckt. Obwohl sie sich grundsätzlich an Konventionen halten, machen es sich Hillebrand und Paulus nicht ganz so einfach: Als Valentin erfährt, dass Mira einen Freund hat, der laufen kann, gut aussieht, BWL studiert, über Geld verfügt und an einer Tankstelle arbeitet, beschließt er, diese Tankstelle zu überfallen, um seinem Rivalen eine Lektion zu erteilen! Zusammen mit seinen neuen Freunden macht er sich daher an die Vorbereitung und Durchführung dieses aberwitzigen Plans.

Von der ersten Szene an bleiben Stefan Hillebrand und Oliver Paulus sehr nah an ihren Figuren, die allesamt die Grenzen, die die Gesellschaft ihnen aufzeigt, nicht einhalten wollen. So machen sich Valentin, Lukas und Titus einen Spaß daraus, in der Fußgängerzone Passanten in die Hacken zu fahren, die sich allesamt entrüstet umdrehen, erkennen, dass ein Behinderter sie angefahren hat, und sich sofort entschuldigen. Gefilmt aus der Perspektive der im Rollstuhl Sitzenden, erscheint diese Reaktion absurd – und zugleich zeigt diese starke Sequenz, wie leicht sich die Machtebene verschieben lässt. Ebenso werden die drei ohne Schwierigkeiten von einer Frau ins Haus gelassen, damit sie – vorgeblich – die Toilette benutzen können. Eine Gruppe junger Männer, die nicht im Rollstuhl sitzt, hätte eine andere Reaktion erfahren. Jedoch sind es nicht nur lustige und amüsante Szenen, die den mitleidslosen Blick dieses Filmes ausmachen. Es gibt einen Zwischenfall mit Faschos, auch ist der Überfall auf die Tankstelle letztlich vor allem ein Aufbegehren gegen das Nicht-Ernstgenommen-Werden, ein Kampf um Mündigkeit und Selbstbestimmung. Mit dem Überfall lassen sich die Machtverhältnisse noch einmal umkehren – wenngleich auf eine Flucht keine Chance besteht –, und in Verbindung mit der Musik von Marcel Vaid wird der Weg zur Polizeistelle zu einem Triumphzug.

Bemerkenswert sind zudem die Darsteller des Films. Valentins anfängliche Frustration über den Unfall, seine Verweigerung in dem Wohnprojekt macht Hauptdarsteller Joel Basman sehr leicht nachzuempfinden, gemeinsam mit ihm entdeckt der Zuschauer dann neue Seiten an den neuen Freunden, die Möglichkeiten des Theaterprojekts und die Kämpfe, die die anderen Bewohner – allen voran Lukas – ausfechten wollen. Jedoch behält Joel Basman selbst in den fröhlichen Momenten eine innere Traurigkeit bei, mit der Valentin auch nach dem Ende des Films zu kämpfen hat. Deshalb ist er nicht der strahlende Held, aber jemand, der sich in seinem neuen Leben zurechtfindet – und vielleicht irgendwann wieder aus ganzem Herzen strahlen wird. An seiner Seite überzeugen Bastian Wurb in der Rolle als weitsichtiger Zimmergenosse und Nikki Rappl als beständig um Selbstbestimmung kämpfender Lukas Kofler. Und wenn diese drei am Ende des Films zusammen mit den anderen Schauspielern das Theaterstück aufführen, bekommt Hamlets alte Frage eine neue Unmittelbarkeit, der man gerne noch länger zugesehen hätte – gerade weil die Filmemacher und Schauspieler gezeigt haben, dass innerhalb eines Genregerüstes dank einer frischen Perspektive Themen neu verhandelt werden können.

Vielen Dank für nichts

In ihrem Film „Me too – Wer will schon normal sein?“ haben die Regisseure Álvaro Pastor Gaspar und Antonio Naharro den Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Respekt eines Mannes mit Down-Syndrom beschrieben. Sie konzentrierten sich auf die Reaktionen seiner Mitmenschen und sein Werben um eine hübsche Arbeitskollegin. Und im letzten Jahr erzählte die belgische Komödie „Hasta la vista“ im Stil eines Roadmovies von drei Behinderten, die endlich Sex haben wollten.
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Meinungen

@Stefan Hillebrand · 04.06.2014

Vielen Dank für den Hinweis - ist korrigiert. Grüsse, Mike

Stefan Hillebrand · 04.06.2014

Liebe Sonja Hart,

ich freue mich über die schöne Kritik zu meinem Film. Die Musik hat allerdings nicht Ramon Orzá komponiert, sondern Marcel Vaid. Die beiden Titlesongs sind von Rod von der Band DIE ÄRZTE, die anderen Songs von DER FALL BÖSE.
Ramon Orzà ist Verantwortlich für das Sounddesign.

Viele Grüße, Stefan