Unter Kontrolle

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Hinter den Kulissen der Atomindustrie

Man muss es in aller Deutlichkeit hervorheben: Dieser Film ist vor der Atomkatastrophe in Fukushima gedreht worden. Das macht ihn einerseits hochaktuell, denn nach dem jüngsten Super-GAU ist der Blick hinter die Kulissen der Atomtechnologie natürlich besonders interessant. Andererseits erweist sich die wohltuend zurückhaltende und auf den ersten Blick neutrale Dokumentation von Volker Sattel nun als irritierend unparteiisch, zumindest für Atomkraftgegner.
Unter Kontrolle ist weder ein Film für Technikfreaks noch eignet er sich als Begleitmaterial für politische Aktionen. Regisseur Volker Sattel und sein Co-Autor Stefan Stefanescu nehmen statt dessen eine beobachtende Haltung ein. Sie möchten eine Welt erkunden, die sich meist gegen neugierige Blicke abschirmt und „normalen“ Besuchern eine rosarote Brille verpasst.

Für ein solches Vorhaben war die Zeit 25 Jahre nach Tschernobyl – und natürlich vor Fukushima — günstig. Nicht immer haben Kraftwerksbetreiber Filmemacher in ihr Allerheiligstes gelassen. Vor allem dann nicht, wenn sie sich für den realen Alltag interessierten, etwa für die konkreten Maßnahmen, mit denen sich die Arbeiter vor Ort gegen die Strahlenbelastung wappnen. So zählen zum Beispiel die Szenen in einem Waschraum zu den eindringlichsten: Männer, die ihre Alltagskleidung komplett bis auf die Unterhose gegen die gelbe Werkskleidung tauschen und diese nach jedem Einsatz sofort in die werkseigenen Waschmaschinen stecken. Bei so viel Vorsicht muss die Gefahr real sein, schließlich können sich radioaktive Partikel überall festsetzen, wie ein Unternehmenssprecher denn auch in aller Deutlichkeit einräumt.

Volker Sattel und Stefan Stefanescu nehmen den Zuschauer mit auf eine Tour hinter die Werkstore: zu den Kraftwerken Grohnde und Grundremmingen, aber auch zu einem Simulatorzentrum, an dem der Ernstfall geprobt wird — ein weiteres gespenstisches Erlebnis, das allein den Besuch des Films lohnt. Daneben schauen sich die Filmemacher auch in den Ruinen des Atomzeitalters um, in Kraftwerken, die zwar gebaut, aber nicht in Betrieb genommen wurden, wie etwa der so genannte „Schnelle Brüter“ in Kalkar. Dabei bewahren die meist kühlen Bilder einen fremden Blick von außen: auf Kontrollräume, die irgendwo zwischen Science-Fiction und Bunker changieren. Oder auf Schächte, Türme und Kräne, die ebenso monströs wie gruselig erscheinen. Kurz gesagt, auf eine Welt, die irgendwie nicht mehr von dieser Welt ist und trotzdem die moderne Zivilisation in ihren Grundfesten bedroht.

Dennoch legt Unter Kontrolle keine explizit kritische Haltung an den Tag. Die Filmemacher verzichten auf einen Kommentar und lassen fast ausschließlich Pressesprecher, Sicherheitsfachleute und Schulungsleiter zu Wort kommen. Und zwar, ohne deren Statements in denunzierender Absicht zu verkürzen und polemisch zusammenzuschneiden. Das verhindert allerdings nicht, dass manches im Angesicht von Fukushima trotzdem wie der blanke Hohn klingt. Etwa wenn ein Vertreter des Kraftwerks Grohnde behauptet, dass sich nach der 25 Jahre alten Technik auch heutige Ingenieure noch die Finger lecken würden.

Solche Sätze machen den eigentlichen Wert des Films deutlich. Der ist nämlich nicht nur eine Erkundungstour zu technischen Anlagen. Sondern vor allem eine Reise in die Köpfe derer, die dort arbeiten. Vielleicht kann man von jemandem, der für die Atomindustrie tätig ist, nicht verlangen, dass er zugleich das Scheitern dieser Großtechnologie zur Kenntnis nimmt. Aber das eigentlich Erschreckende ist, wie wenig diese Ingenieure die Tatsache verarbeiten, dass es die Katastrophen von Sellafield, Harrisburg und Tschernobyl sowie viele kleinere Störfälle gegeben hat, die nach menschlichem Ermessen gar nicht hätten geschehen dürfen. Es ist der Wahn des Machbaren, der nach wie vor in diesen Köpfen wütet. Und den Beweis des Gegenteils einfach ignoriert.

Unter Kontrolle legt den Finger in die Wunde eines erfahrungsresistenten Bewusstseins, ohne Überheblichkeit und mit subtilen Mitteln. Die Gefahr geht schließlich nicht nur von Erdbeben oder Terroristen aus. Sondern auch von den Köpfen. Schließlich dauerte es in Fukushima mehrere Wochen, bis sich die Verantwortlichen eingestehen konnten, dass sie die Lage eben nicht unter Kontrolle haben.

Unter Kontrolle

Man muss es in aller Deutlichkeit hervorheben: Dieser Film ist vor der Atomkatastrophe in Fukushima gedreht worden. Das macht ihn einerseits hochaktuell, denn nach dem jüngsten Super-GAU ist der Blick hinter die Kulissen der Atomtechnologie natürlich besonders interessant. Andererseits erweist sich die wohltuend zurückhaltende und auf den ersten Blick neutrale Dokumentation von Volker Sattel nun als irritierend unparteiisch, zumindest für Atomkraftgegner.
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