Under the Skin - Tödliche Verführung (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Werk von einem anderen Stern

Es gab wohl kaum einen Film, der beim Filmfest München so sehnlich erwartet wurde wie Jonathan Glazers Under the Skin. Befeuert von exzellenten Kritiken bei verschiedenen Festivals und der immensen Kritik an der Ankündigung des Senator Film Verleihs, den Film nicht im Kino, sondern ausschließlich auf DVD auszuwerten, waren die Erwartungen riesig und die Möglichkeit, dem Hype zu entgehen, nicht sehr groß — auch und gerade in München, wo der Andrang dann auch dementsprechend war.

Worum es bei diesem Film geht, ist einerseits denkbar einfach zu erzählen und dann zugleich wieder verteufelt schwer: Ein Wesen (Scarlett Johansson) fährt in einem Lieferwagen durch Schottland und ist auf der Jagd: Nach Menschen, vor allem nach Männern, die alleinstehend sind. Dabei geht sie völlig emotionslos vor (bis auf eine Ausnahme) und zeigt nur dann eine Emotion, wenn es ihr für ihr Vorhaben nützt. Falls ein Opfer in ihr Muster passt, nimmt sie es mit, verführt es und bringt es anschließend um. Geschützt wird sie dabei von einem Motorradfahrer, der als Cleaner die Spuren beseitigt. Erst sehr spät wird sich herausstellen, was Sinn und Zweck dieser Mord-Odyssee ohne erkennbares Ziel ist.

Die reine Handlung, die elliptisch Episode an Episoden reiht, beschreibt Under the Skin aber nur höchst unzureichend — zumal deshalb, weil die Dialoge auf das Nötigste heruntergdimmt sind und man die einheimischen Schotten, denen die verführerische Vagabundin auf ihren Streifzügen begegnet, aufgrund ihres harten Dialekts kaum verstehen kann. Jonathan Glazer wählt vielmehr andere Strategien als die Narrativik, um seinen Film aufzubauen. Mittels einer distanzierten Kamera und eines unglaublich effizienten Sounddesigns etabliert er eine Atmosphäre der Eiseskälte und Entfremdung, des Verlorenseins in der Welt, die dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren lässt und die ihn zugleich in einen quasi-hypnotisierten Rauschzustand versetzt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Neben der konkreten Verortung im tristen Schottland etabliert Glazer zugleich sterile Kunsträume, in denen die Transformationen und Morde vor sich gehen, wobei er hier eine so metaphorisch-abstrakte Darstellungsform wählt, dass man sich eher in einer Kunstaktion, einer Performance oder Videoinstallation wähnt als an einem Ort, an dem Menschen zu Tode kommen. Man kommt sich vor, als hätten die Regisseure Matthew Barney (The Cremaster Cycle, Drawing Restraint 9) und Yorgos Lanthimos (Alpen) unter dem Einfluss eines seltenen hallunzinogenen Pilzes und mit Hilfe eines autistischen Geräuschemachers und Komponisten einen Traum in Bilder gegossen, der sich jeder Beschreibung entzieht und der im wahrsten Sinne des Wortes und Filmtitels unter die Haut geht, der sich ins Gehirn bohrt wie ein böse und zugleich berückend schöne Vision.

Um es kurz zu machen: Under the Skin ist ein Film, nein, ein Werk, das extrem polarisiert — wobei mir selbst nur maximal verwirrte, überwiegend aber gute bis euphorische Äußerungen zu Gehör kamen. Vor 15 oder 20 Jahren, so muss man schmerzhaft konstatieren, wäre solch ein Film als Meisterwerk in den Kinos abgefeiert worden, heutzutage hat sich die Kinolandschaft und möglicherweise auch das Publikum so sehr verändert, dass man froh sein muss, wenn man solch ein Kunstwerk überhaupt noch auf der großen Leinwand zu sehen bekommt. Das ist ehrlich gesagt bei aller Freude über einen Solitär wie diesen eine bittere Pille für jede Cinephilen. Immerhin gibt es ein kleines Trostpflaster: Under the Skin wird demnächst auf dem Fantasy Filmfest zu sehen sein. Man sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

(Nachtrag 24.9. 2014: In der Zwischenzeit hat sich eine Gruppe von bislang 22 Kinos gefunden, die den Film entgegen der Auswertungspläne des Rechteinhabers Senator auf eigene Faust auf ihre Leinwände bringen. Näheres dazu findet sich auf einer eigens dazu initiierten Website. Ein Modell, das vielleicht schon bald Schule machen dürften, denn in Zeiten des Internet und der sozialen Medien wächst der Druck auf die Verleiher und Kinobetreiber ebenso wie die Macht der Konsumenten, die nicht mehr jede Entscheidung so einfach hinnehmen wollen.)
 

Under the Skin - Tödliche Verführung (2013)

Es gab wohl kaum einen Film, der beim Filmfest München so sehnlich erwartet wurde wie Jonathan Glazers „Under the Skin“. Befeuert von exzellenten Kritiken bei verschiedenen Festivals und der immensen Kritik an der Ankündigung des Senator Film Verleihs, den Film nicht im Kino, sondern ausschließlich auf DVD auszuwerten, waren die Erwartungen riesig und die Möglichkeit, dem Hype zu entgehen, nicht sehr groß — auch und gerade in München, wo der Andrang dann auch dementsprechend war.

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