Traumland

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Einsamkeit und Ausgrenzung

Österreichische Regisseure wie Michael Haneke oder Götz Spielmann zeigen gerne, dass in ihrer pittoresken Alpenrepublik längst nicht alles so idyllisch ist, wie sich dies die Besucher denken mögen, die das Land nur von ihrem jährlichen Skiurlaub kennen. Ganz im Gegenteil zeigen sie, dass sich unter der freundlichen Oberfläche oft tiefsitzende Kommunikationsprobleme und Beziehungsstörungen verbergen. So verdeutlicht Spielmann in dem Episodenfilm Antares — Studien der Liebe (2004), dass obwohl Wien zur Zeit als die Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit gilt, auch in der österreichischen Hauptstadt keineswegs alle Menschen unbekümmert und glücklich sind. Jetzt zeigt die Schweizerin Petra Biondina Volpe in ihrem Kinodebüt Traumland ein Zürich, in dem das einzig Traumhafte der bitter ironische Filmtitel ist.
Heiligabend in Zürich. Während die meisten Menschen heute feiern, arbeitet die Bulgarin Mia (Luna Zimic Mijovic) selbst an diesem Feiertag bei bitterer Kälte auf dem Straßenstrich. Zu ihren regelmäßigen Kunden gehört der geschiedene Rolf (André Jung), der weder zu seiner Tochter noch zu seinem Vater ein richtiges Verhältnis hat. An diesem Tag wird Rolf bewusst, wie einsam er tatsächlich ist. Die schwangere Lena (Ursina Lardi) führt gemeinsam mit ihrem Mann Martin (Devid Strisow) und ihrem gemeinsamen sechsjährigen Sohn ein nach außen vollkommen intaktes Familienleben. Doch soeben hat sie herausgefunden, dass Martin zu Prostituierten geht. Das verräterische Indiz ist ein leeres Päckchen im Auto mit dem Aufdruck „Easy anal“. Die verwitwete Spanierin Maria (Marisa Paredes) ärgert sich, dass sie in ihrem Haus mit Mia inzwischen eine Prostituierte als Nachbarin hat. Dafür ist es ihr gelungen, Heiligabend einen spanischen Bekannten zu einem romantischen Abendessen einzuladen. Auch die Sozialarbeiterin Judith (Bettina Stucky) arbeitet sogar Heiligabend bis Mitternacht im Betreuungszentrum für die Prostituierten des Straßenstrichs. Heute ist ihr das jedoch sogar ganz recht, da auch bei ihr zur Zeit der Hausfrieden empfindlich gestört ist…

Während sich in Antares völlig unterschiedliche Menschen rein zufällig begegnen, weil sie im selben Betonklotz von einem Wohnsilo wohnen, begegnen in Traumland in allen Handlungssträngen einzelne Protagonisten der Prostituierten Mia. Das Wohnsilo in Antares zeigt das äußere Elend vieler Bewohner der reichen österreichischen Hauptstadt, Mia steht für das innere Elend vieler Einwohner der Schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich. Bei einem Abendessen zitiert jemand Schopenhauer mit den leicht aufgeblasen klingenden Worten: „Die Prostituierten sind die Opfergaben auf dem Altar der Monogamie“. Mia selbst sagt: „Ich mache das, was die Ehefrauen nicht machen.“ Traumland zeigt ebenfalls sehr deutlich, dass Mia abgelehnt wird, da sie den Menschen Dinge von sich spiegelt, die sie lieber nicht sehen wollen. Die Regisseurin Petra Biondina Volpe meint, dass sich der Zustand einer Gesellschaft darin zeigt, wie diese mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. In ihrem Film kommt diese Rolle eindeutig Mia zu.

Diese wird fantastisch verkörpert von Luna Zimic Mijovic, die ihre Figur mit einer Mischung aus Rotzigkeit, Feinfühligkeit und Verletzlichkeit spielt. Mia bildet das marode emotionale Zentrum des Films. Während alle anderen verdrängen, was sie zu Prostituierten treibt und oder an ihnen abstößt, ist sich Mia ihrer Funktion in dieser Gesellschaft nur zu bewusst. Doch sie hat in ihrer Heimat eine kleine Tochter und braucht das Geld. Für die Schweizer ist Mia bloß ein geduldeter Fremdkörper, der an Fremde ihren Körper verkauft.

Die gezeigte Gesellschaft ist emotional ähnlich vereist, wie die Straßen der verschneiten Stadt. Heiligabend erscheint hier nicht wie ein warmer Ruhepunkt inmitten eines geschäftigen Treibens, sondern ähnlich bedrohlich wie ein Damoklesschwert. Der Tag der verordneten Glückseligkeit gerinnt zum Tag der Erkenntnis der persönlichen Glücklosigkeit. Jeder fürchtet den großen Zeigefinger, der öffentlich macht, was für eine freudlose und vereinsamte Kreatur man eigentlich ist. Notfalls hilft da nur noch der Gang zur Prostituierten. Aber wehe, die kotzt einem das schön saubere Auto voll. „Dumme Nutte!“

Traumland

Österreichische Regisseure wie Michael Haneke oder Götz Spielmann zeigen gerne, dass in ihrer pittoresken Alpenrepublik längst nicht alles so idyllisch ist, wie sich dies die Besucher denken mögen, die das Land nur von ihrem jährlichen Skiurlaub kennen.
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