Tour de France

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Gerappte Poesie

Was ist Frankreich? Und was ist Frankreich heute? Wie muss man sein, um sich ein Franzose zu nennen? Das sind die Leitfragen, die Rachid Djaïdanis Tour de France begleiten. Und auch wenn sie fast zu häufig gestellt werden, so sind sie doch nie störend. Vielleicht auch gerade deshalb, weil sie sich ebenso wenig wie die Beschäftigung mit der Kultur Frankreichs in das Gesamtbild des Films einpassen wollen, der eine Mischung aus Independentfilm, Home- und Musikvideo darstellt.
Das Road-Movie bringt zwei unterschiedliche Typen zusammen: Nachdem der 20-jährige Far’Hook (Sadek), ein junger Star am französischen Rap-Himmel, mit einem Rivalen aneinandergerät, schlägt ihm sein Produzent Bilal (Nicolas Marétheu) vor, nach Südfrankreich zu verschwinden und für seinen Vater den Chauffeur zu mimen. Da Far’Hook ohnehin einen Konzertauftritt in Marseille plant, nimmt er den Zug und sucht Bilals Vater Serge (Gérard Dépardieu) auf. Und dieser ist genauso griesgrämig, verschroben und unausstehlich, wie Bilal ihn beschrieben hat. Gemeinsam treten die ungleichen Männer eine Tour entlang der südfranzösischen Küste an, damit Serge – wie er seiner verstorbenen Frau versprochen hatte – von jedem Hafen, den einst Vernet gemalt hat, eine eigene Version auf die Leinwand bringe.

Relativ schnell wird deutlich, dass Serge überhaupt nichts von der Konvertierung seines Sohnes Matías zu Bilal und alle Muslime für Feinde hält. Diese Abneigung gilt zunächst natürlich auch Far’Hook. Doch der belehrt Serge eines Besseren und zeigt ihm, dass man auch als Mensch mit muslimischer Abstammung ein guter Franzose sein kann und vielleicht mehr über Frankreich weiß als so mancher offensichtliche Franzose. Die beiden unterhalten sich über französische Chansons, singen Je suis malade von Serge Lama und folgen den Spuren des Malers Joseph Vernet. Und am Ende steht Serge sogar für Far’Hook ein. Denn Tour de France ist auch ein Film über Freundschaft.

Das Milieu, in dem sich Far’Hook bewegt und das der Film auch portraitieren will, ist ein gewalttätiges. Und hier zeichnet der Film ein düsteres Bild von Frankreich, dessen glanzvolle Zeit vorbei zu sein scheint. Da wirken Chansonniers wie Serge Lama gar anachronistisch. Und doch bleibt am Ende eine positive Stimmung zurück, trotz aller Tristesse versprüht der Film Hoffnung.

Das liegt nicht zuletzt auch an den Musikeinlagen des Films: Wenn Sadek alias Far’Hook los rappt, will man den Film anhalten, den schnellen Sprechgesang verlangsamen, zurückspulen und noch einmal hinhören. In seinen Texten steckt mehr Poesie als in so manchem Chanson, und sie malen ein klareres Bild von der Realität als so manches Gemälde.

Stilistisch changiert Tour de France auch zwischen Amateurfilm und Musikvideo, wobei viele der Musikszenen mit dem Smartphone aufgenommen scheinen. Zumindest suggeriert das der Film, wenn die Handkamera Far’Hook begleitet, wie er seinen Gang durch die Straßen, über den Strand, entlang am Hafen filmt und kleine bildliche Kunstwerke schafft. Gerade die Aufnahmen, die Far’Hook selbst macht, erweisen sich als die schönsten und kraftvollsten des Films. Und das liegt nicht unbedingt an der ästhetischen Verfremdung durch Licht- und Farbeffekte, sondern an der Poesie der Bildinhalte – mehr sei nicht verraten, das muss man selbst im Kino sehen.

Tour de France

Was ist Frankreich? Und was ist Frankreich heute? Wie muss man sein, um sich ein Franzose zu nennen? Das sind die Leitfragen, die Rachid Djaïdanis „Tour de France“ begleiten. Und auch wenn sie fast zu häufig gestellt werden, so sind sie doch nie störend. Vielleicht auch gerade deshalb, weil sie sich ebenso wenig wie die Beschäftigung mit der Kultur Frankreichs in das Gesamtbild des Films einpassen wollen, der eine Mischung aus Independentfilm, Home- und Musikvideo darstellt.
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Meinungen

Gérard · 05.03.2017

Aha. Es geht also nicht um die Frage, was ein Franzose ist, sondern um den Islam.