Tigermilch

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Taffe Mädels

Endlich Sommer, endlich Ferien: Seit ihrer Kindheit sind Nini (Flora Li Thiemann) und die aus dem Irak stammende Jameela (Emily Kusche) schon beste Freundinnen. Nun, da die Schule endlich vorbei ist, warten sechs Wochen auf die beiden 14-jährigen Mädchen – und diese Zeit soll es in sich haben: Denn, so der Plan, in diesen Wochen soll das Projekt „Defloration“, wie es Jameelah genannt hat, endlich zum Abschluss gebracht werden. Doch der Sommer voller Flausen und Tigermilch (einem Gesöff aus Maracujasaft, Milch und Mariacron) wird auch die Freundschaft der beiden auf eine harte Bewährungsprobe stellen, denn plötzlich schwebt die Möglichkeit einer Abschiebung über Jameelah und droht die beiden Freundinnen auseinanderzureißen. Und in ihrem unmittelbaren Umfeld geschieht ein Mord, der diesem Sommer seine Leichtigkeit und Lebenslust rauben wird.
Nini und Jameela sind zwei Mädchen, wie man sie im deutschen Kino nur selten vorfindet: Die beiden Berlinerinnen wirken älter, als sie tatsächlich sind, sie haben zwar ihre privaten Probleme, werden aber dennoch nicht als Problemfälle angesehen und dementsprechend ausgestellt, sie verfügen über reichlich Street Credibility und bauen ziemlich häufig Mist, aber zumeist wissen sie sich selbst zu helfen, wenn sie sich wieder mal in die Scheiße befördert haben. Sie sind verletzlich und hart zugleich, kleinkriminell und voller Empathie und Fürsorge für die Menschen, die sie umgeben, sie sind noch unschuldig und zugleich recht durchtrieben. Vielschichtige Charaktere also, mit denen man ebenso lacht, wie man öfters auch über sie den Kopf schüttelt – eine Seltenheit im deutschen Kino, das stets dazu neigt, Jugendliche und deren Verhalten entweder zu problematisieren oder derart glattzubügeln, dass sie wie weltfremde Wunschversionen ihrer realen Pendants wirken.

Stefanie de Velascos literarische Vorlage Tigermilch war 2014 für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert und sorgte aufgrund des ganz eigenen Tonfalls und der gelungenen Mischung aus Leichtigkeit und rauer Rotzigkeit für einiges an Aufsehen, als „Tschicks on Speed“ mit einem deutlichen Verweis auf Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman bezeichnete etwa Jan Brandt den Roman. Ute Wieland, der das Buch eher zufällig in die Hände fiel und die die Autorin noch als Darstellerin aus ihrem Film FC Venus — Frauen am Ball (2005) kannte, hat diese ganz eigentümliche Melange in angemessener Weise auf die Leinwand transportiert. Ebenso wie die Autorin kümmert auch sie sich herzlich wenig um vermeintliche Korrektheit und moralische Urteile über das mitunter grenzwertige Verhalten ihrer beiden Protagonistinnen, sondern nimmt die Zuschauer mit auf eine rasante Achterbahnfahrt der Emotionen und Stimmungen, die das Lebensgefühl der beiden Heldinnen auf kongeniale Weise einfängt. Und zum Schluss kann sich Tigermilch sogar ein emotional bewegendes Ende erlauben, ohne dabei ins Kitschig-Gefühlige abzugleiten. Als Glücksgriff erweisen sich dabei vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen, die die berstende Energie, aber auch die Verletzlichkeit von Nini und Jameelah und deren problematisches Umfeld überzeugend verkörpern. Wenn sie gleich zu Beginn durch Berlin rennen, dann entsteht von Beginn an ein Sog, dem man sich auch im weiteren Verlauf der durchaus wendungsreichen Geschichte kaum entziehen kann.

Ein rasanter Jugendfilm, der manchen Helikoptereltern zwar tiefe Sorgenfalten verpassen dürfte, der aber durchaus das Zeug zu einem Kultfilm hat, weil er das Lebensgefühl dieser Generation stimmig, voller raubeinigem Charme und variantenreich auf den Punkt bringt. Vergesst Conni & Co! Diese beiden hier sind aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.

Tigermilch

Endlich Sommer, endlich Ferien: Seit ihrer Kindheit sind Nini (Flora Li Thiemann) und die aus dem Irak stammende Jameela (Emily Kusche) schon beste Freundinnen. Nun, da die Schule endlich vorbei ist, warten sechs Wochen auf die beiden 14-jährigen Mädchen – und diese Zeit soll es in sich haben: Denn, so der Plan, in diesen Wochen soll das Projekt „Defloration“, wie es Jameelah genannt hat, endlich zum Abschluss gebracht werden.
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