ThuleTuvalu

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Das Ende am Ende der Welt

In den ersten Bildern hören wir ein Robert-Flaherty-Echo durch die Eiswüsten Grönlands hallen. Wir befinden uns auf einem stillen Boot mit grönländischen Jägern. Man sieht etwas in der Ferne. Wir blicken über die Schulter eines Jägers mit Gewehr. Irgendwann drückt er ab. Jetzt erkennen wir die auf einer Eisscholle treibende Robbe. Er hat sie getroffen. Blut im weißen Schnee. Nein, ThuleTuvalu von Matthias von Gunten ist keine filmische Glorifizierung des Jagens, es handelt sich um einen emotional aufgeladenen Dokumentarfilm, der an zwei entgegengesetzten Enden der Welt nach dem klimabedingten Ende der Welt sucht und es findet.
Dieses Ende ist bedingt durch die Erderwärmung, denn in Thule im Norden Grönlands schmilzt das Eis und damit der Lebensraum für Mensch und Tier, und im pazifischen Süden, in Tuvalu, wo Menschen auf kleinen Korallenriffen leben, steigt der Meeresspiegel und vernichtet auch hier den Lebensraum. Von Gunten zeigt in gebührender Heftigkeit die Auswirkungen des Klimawandels, der hier nicht als abstraktes Thema stehenbleibt, sondern mit Bildern und Menschen greifbar wird. Man kann sich der Ungerechtigkeit dieser Schicksale emotional nicht entziehen, denn wie der Film bemerkt, sind es ausgerechnet die Menschen, die am wenigsten für den Klimawandel können, die am meisten davon betroffen sind.

So sehen wir sterbende Bäume auf den Korallenriffen, Frauen und Männer, die mit feuchten Augen vor Umsiedelungen stehen und ihre Berufe aufgeben müssen. Ein Strand, der vom Wasser zerstört wird. Währenddessen jault ein Husky ängstlich auf und klammert sich an ein Stück Eis. Er ist ins Wasser gefallen und kann nicht schwimmen. In einer Nacht finden wir uns verloren in der Dunkelheit einer Eiswüste, am Horizont sehen wir die erlöschenden Lichter einer Zivilisation, wir hören ein ständiges Klagen über das Schicksal und spüren eine große Machtlosigkeit. Die zwei völlig konträren Orte verschmelzen in ihrer Angst.

Der Film beobachtet die Bewohner auf beiden Seiten des Planeten in ihrem Alltag und spricht mit ihnen über die Folgen des steigenden Meeresspiegels. Es geht um Religion, Landwirtschaft, das Leben der Kinder, die Traditionen und das Sterben von Kultur. Es wird klar, dass die Lebensweise dieser Menschen so eng mit der Natur verwoben ist, dass sie entweder mit ihr sterben oder ein völlig neues Leben beginnen müssen. Chancen auf eine Rettung sind eigentlich nicht vorhanden.

Das Projekt wird jederzeit in einen Rahmen gesetzt, dadurch lässt ThuleTuvalu nicht immer genug Raum für seine durchaus ansprechenden Bilder. Das eigentlich Spannende am Film ist nicht sein Thema, sondern sind diese Bilder, die erfahrbar machen, wovon man sonst immer nur in politischen Debatten liest. Aber von der kindlichen Heldenreise des Regisseurs, der schon als Kind von diesen Gegenpolen der Erde träumte, bis hin zum abgerundeten Ende nutzt der Film leider nicht sein poetisches Potenzial, das mindestens genauso viel politisches Feuer in sich tragen würde. Dieser Film könnte eine Art ökologischer ¡Vivan las Antipodas! sein, aber er will uns meist lieber informieren, als uns etwas zu zeigen.

Der dramaturgische Blick am Ende muss in die Zukunft gehen und es ist schade, dass es diesen merklich konstruierten Blick gibt. Man merkt dem Film zwischen seinen faszinierenden Bildern vom Ende der Welt leider immer wieder an, dass er in ein Format mit bestimmten Anforderungen gepresst wurde. Dazu gehören auch das häufige Einblenden von kurzen erklärenden Textpassagen, die den Film absolut geeignet für Schulvorführungen machen, und ein äußerst uninspirierter Musikeinsatz. Von Gunten traut den Augen seiner Zuseher nicht immer. Stattdessen geht er auf Nummer sicher und erklärt alles doppelt. Das ist in der Intention keineswegs verkehrt, denn sein Thema ist von enormer Wichtigkeit, aber wenn ein Film mit solcher Hoffnungslosigkeit und Drastik plötzlich mit Worten wie „Wir werden unser Bestes versuchen“ und einem Titel endet, der ankündigt, dass man laut UNO mit extremen Maßnahmen noch Schlimmeres verhindern könnte, dann darf man sich als Zuseher durchaus manipuliert fühlen – und dann wird die filmische Form hier der Thematik eben nicht gerecht.

Das bedeutet aber keineswegs, dass der Film nicht sehenswert ist. Zum einen findet von Gunten im Umgang mit den Menschen aus Thule und Tuvalu immer wieder die genau richtige Distanz, er ist weder zu nah, noch zu fern, und so hat man das Gefühl, dass die Protagonisten ganz sie selbst sein können. Und zum anderen ist sein Umgang mit dem Balanceakt aus Grausamkeit und Zärtlichkeit absolut gelungen. Er zeigt die Handgriffe des Fischer- oder Jägerberufs, ohne dabei die Brutalität auszusparen, und verschreibt sich einer humanistischen Objektivität.

Am Ende ist ThuleTuvalu ein Hilferuf, der nicht immer die richtigen filmischen Mittel findet, aber dennoch mit der Kamera an die richtigen Orte gegangen ist. Die Vergänglichkeit des Lebens steht hier gegen die Notwendigkeit einer Intervention. Das Kino – und das zeigt sich hier – lebt in der Ambivalenz, etwas zeigen zu müssen, was es verhindern will. Dabei diskutiert ThuleTuvalu nicht über Schuld, sondern über Folgen – und diese Folgen machen einem die Schuld und die Notwendigkeit zum Handeln erst bewusst.

ThuleTuvalu

In den ersten Bildern hören wir ein Robert-Flaherty-Echo durch die Eiswüsten Grönlands hallen. Wir befinden uns auf einem stillen Boot mit grönländischen Jägern. Man sieht etwas in der Ferne. Wir blicken über die Schulter eines Jägers mit Gewehr. Irgendwann drückt er ab.
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