The President

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Staat der verlorenen Kinder

Mohsen Makhmalbaf befindet sich seit Jahrzehnten in einem Arbeitsrausch. In der Regel entstehen pro Jahr jeweils ein Film und ein Buch. Der Iraner wurde in seinem Heimatland zur unerwünschten Person erklärt, seine Filme sind verboten. Das hält den 58-Jährigen, für den Filmemachen immer auch eine Familienangelegenheit ist, nicht davon ab, kritische und deutliche Filme zu machen. Das immerwährende Thema der Selbstzensur in solchen politischen Situationen tangiert ihn anscheinend kaum, und so hat man es auch bei seinem neuen Film The President in einer bisher für ihn unbekannten Drastik mit kritischem Kino zu tun. Das wäre an sich sehr begrüßenswert, allerdings kippt der Film beständig in eine Didaktik und vermittelt dadurch letztlich nur altbekannte Simplifizierungen.
Der Film lässt sich der Tagline nach als eine Art High-Pitch-Satire beschreiben. Der Diktator (Mikheil Gomiashvilli) eines unbekannten Landes (gedreht wurde der Film in Georgien, was dem Film einen womöglich ungewollten Sowjet-Anstrich gibt) wird im Zuge einer gewaltvollen Revolution zum Flüchtling und muss sich als ehemaliger politischer Gefangener ausgeben, um zu überleben – auf der Flucht in der Limousine durch einen Bürgerkrieg! Begleitet wird er auf seiner Flucht vor den Revolutionären und seinem möglichen Weg in ein humanistisches Bewusstsein von seinem Enkel (Dachi Orvelashvili), der im Zentrum des Films steht. Nach dem Auftakt in einem Spielzeugreich der Macht, das durchaus die bitterbösen und süffisanten Geister eines Erich von Stroheims samt seinen Blicken hinter die Fassaden der Macht erweckt, wird der Film eigentlich sehr schnell zu einem Survival-Lehrstück, das zwar überspitzt agiert, aber in einer Flut von Gewalt kaum mehr Raum für satirischen Humor lässt. Außerdem geht es letztlich viel weniger um einen Blick hinter die Mechanismen solcher Systeme, als um grundlegende Fragen der Menschlichkeit.

Man hat es mit einer wütenden Konfrontationsdramaturgie und einem moralischen Märchen zu tun, die gleichermaßen mit autoritären Systemen und mit den Rachegelüsten, die diese in blutigen Revolutionen beenden, abrechnen. Der Präsident und sein Enkel geben sich nach einer in diesem Kontext an The Great Dictator erinnernden Rasurszene zunächst als Straßenmusiker aus. Der kleine Junge rückt nicht nur aufgrund einer durchaus ansprechenden Performance immer mehr ins Zentrum des Films, sondern auch weil Makhmalbaf Analogien zwischen Kindheit und Menschlichkeit vorschlägt. Bezüglich des Kindes ist der Präsident ein Mensch und in Hinblick auf den Umgang mit Gefühlen sind die Menschen Kinder. Aber der Film zeigt auch die Manipulation dieser Unschuld und den verzweifelten Versuch, sie zu bewahren. So verbringt der Enkel viele Szenen damit, mit zugehaltenen Augen und Ohren am Rand des Bildes zu warten. Allerdings gelingt das kaum. In einem Bordell blickt er aus dem Fenster und muss so sehen, wie Menschen auf der Straße erschossen werden, am Meeresufer reicht das Geräusch der Wellen nicht aus, um die Schreie des Leidens zu verdrängen. The President ist auch die Geschichte eines Kindes und der Zukunft, die sich dringend umgewöhnen muss. Es entsteht eine merkwürdige Doppeldeutigkeit zwischen dem Spiel der Macht und der Ohnmacht des Spiels.

An diesen Spielen, über die der Junge zunächst zu einem nächsten Präsidenten manipuliert wird, und dann ganz im Stil von Roberto Benignis La vita è bella abgelenkt wird, lässt sich die Arbeitsweise von Diktaturen und auch jene des Films aufzeigen. Es ist eine Logik der scheinbaren Konsequenzlosigkeit, die kaum fassbar ist, wenn sie zur Realität wird. Alles wäre ein Theaterspiel, sagt der Großvater seinem Enkel, aber es gelingt ihm kaum, dieses Spiel aufrecht zu erhalten. Denn wie die Macht eine Illusion ist, so ist es auch der Friede, der durch ihre gewaltvolle Absetzung kommt. Eine solche Feststellung mag etwas platt wirken – und tatsächlich spart der Filmemacher kaum ein Klischee aus. Von Vergewaltigungen bis zu Selbstmorden ist jede Art der Ungerechtigkeit und Verzweiflung im Film enthalten. Kein einziges Mal hat man dabei das Gefühl, dass etwas hinter der allgemeinen Gültigkeit solcher Feststellungen gefunden wird. Das ist schade, weil The President ansonsten durchaus spannende Vorschläge zum Gegensatz zwischen Erscheinung und Innenleben von Menschen und Systemen liefert.

Ansonsten hat man es mit einem etwas unpassend wirkenden Endzeit-Look im Stil von The Road von John Hillcoat zu tun. Grau in Grau, karges Brachland, die gierigen Gesichter hassender Menschen. All das wird mit nervösen, verwackelten Bildern eingefangen, was dem didaktischen Ton des Films etwas hilflos entgegenwirkt. Die anvisierte Intensität der Erfahrungen reicht außer in einer bemerkenswerten Heimkehrszene eines ehemaligen politischen Gefangenen, den Makhmalbaf im Close-Up filmt, während die Enttäuschung über eine verlorene Zeit und Beziehung in seinem Gesicht zu einer sichtbaren Gewissheit wird, nie wirklich an den moralischen Unterton heran.

Am Ende bleibt ein aufrichtig und leidenschaftlich vorgetragenes Lehrstück über den Unsinn von Gewalt. Das Fehlen jeglicher Subtilität lässt diese Allegorie mitunter zu einer Parodie des eigenen Anliegens werden. Trotz dieser fatalen Schwächen bleibt im Film eine gewisse Ambivalenz, die sich in der Frage der Reue und in der durch das Kind verbildlichten Frage der Zukunft verfestigt. Ob dieses Kind später einmal das Spiel der Demokratie spielen will, ist mehr als ungewiss.

The President

Mohsen Makhmalbaf befindet sich seit Jahrzehnten in einem Arbeitsrausch. In der Regel entstehen pro Jahr jeweils ein Film und ein Buch. Der Iraner wurde in seinem Heimatland zur unerwünschten Person erklärt, seine Filme sind verboten. Das hält den 58-Jährigen, für den Filmemachen immer auch eine Familienangelegenheit ist, nicht davon ab, kritische und deutliche Filme zu machen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen