The Grand Budapest Hotel (2014)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Spielkind mit Allstar-Crew im Themenpark "Old Europe"

Wes Anderson ist das große Spielkind unter den Filmregisseuren. Viel mehr noch als bei dem anderen Peter Pan des Kinos, Steven Spielberg, hat man ihm das Gefühl, dass dieser Mann nicht nur in seinen Filmen in einer anderen Welt lebt. In jedem seiner bisherigen Werke verstand es Anderson, mit Sinn für absurden Witz, einer kindlichen Einbildungskraft und bizarren Figuren einen in sich abgeschlossenen Kosmos zu entwerfen, der allenfalls Anklänge an unsere reale Welt bot.

Auch in seinem neuen Film Grand Budapest Hotel ist dies wieder so — der Film wirkt wie ein irrer Trip mit einer erlesenen Allstar-Crew in ein Fantasie-Europa, in dem sich Monty Python, Hergé, die Commedia dell’arte und der Jahrmarkstingeltangel des frühen 20. Jahrhunderts ein Stelldichein geben und den Zuschauer auf eine Reise durch eine bewegte Zeit jagen. Wobei allerdings der Name des Hotels der einzige Hinweis auf einen realen Ort ist. Der Rest des trotz seiner fast zwei Stunden Laufzeit recht kurzweilig geratenen Films enthält allenfalls Verweise auf das, was die Amerikaner gerne als „old europe“ bezeichnen.

Die Geschichte beginnt im „Grand Budapest Hotel“, einem einstmals prachtvollen Etablissement, das nun aber in den 1960er Jahren, in denen die Handlung einsetzt, sichtbar bessere Zeiten gesehen hat. Statt des Prunks der Goldenen 1920er und 1930er Jahre herrscht nun der real existierende Sozialismus als ästhetisches Prinzip vor. Die früher an eine Zuckerbäckerfantasie erinnernde Fassade trägt ein trauergraues Gewand und auch in der einstmals prächtigen Lobby findet sich vor allem der Plaste-und-Elaste-Mief der kommunistischen Planwirtschaft. Hier begegnet ein junger Schriftsteller (Jude Law) eines Abends einem einsamen alten Herren, bei dem es sich nach Auskunft des Portiers um den früheren Besitzer Zero Moustafa (F. Murray Abraham) handelt. Weil der Speisesaal spärlich belegt ist, kommen die beiden ins Gespräch und so erfährt der Autor um die Geschichte Zeros und seines Lehrmeisters, des früheren Concierge des Hotels Gustave H. (Ralph Fiennes). Jener hatte in den seligen Zeit vor dem Ausbruch des großen Krieges mit Charme, Diskretion, aber auch unter Zuhilfenahme seiner körperlichen Vorzüge und seiner Beliebtheit bei den Damen und Herren mit großem Geschick die Fäden im Hotel gezogen und wäre so beinahe in den Besitz eines wertvollen Renaissance-Gemäldes gekommen. Was vor allem daran lag, dass er der steinalten und sehr vermögenden Madame Desgoffes & Taxis (herrlich verunstaltet mit viel Mut zur Hässlichkeit: Tilda Swinton) zu (sexuellen) Diensten war. Dass aber nun ausgerechnet ein Lakai das wertvolle Bild erben sollte, ist so gar nicht nach dem Sinn Dmitris (Adrian Brody), des Sohnes der Verblichenen. Dann gerät Monsieur Gustave in die Hände der Besatzungstruppen, die seine Heimat Zubrowka (eine Mischung aus Österreich und diversen Ländern Osteuropas) gerade erobert haben und alles scheint nach den Plänen des jungen Dmitri zu gehen. Was dieser allerdings nicht weiß: Der geschmeidige Concierge hat sein Eigentum mit Hilfe seines getreuen Assistenten Zero (Tony Revolori) längst in seinen Besitz gebracht. Als Gustave dann mit einigen Knastkumpanen aus dem Gefängnis entfliehen kann, beginnt eine abenteuerliche Jagd nach dem Bild, in die auch ein finsterer Auftragskiller (Willem Dafoe) und die Besatzungstruppen verwickelt sind.

Wer die Filme Wes Anderson kennt, ahnt schnell, dass dies die verzwickte Handlung nur annähernd wiedergibt. Denn nach wie vor ist der Filmemacher mit dem Herzen eines Kindes von einem solch großen Spieltrieb beseelt, dass er seine Geschichte mit unglaublich vielen Wendungen, Anspielungen, Querverweisen und Travestien ausstattet, dass wirklich keine Minute der Langeweile auftaucht. In atemberaubenden Tempo vollziehen sich hier Zeitsprünge, entrollen sich menschliche Dramen, die kurz darauf schon wieder vom nächsten kleinen Detail, von der nächsten Slapstick-Einlage oder einer sonstigen Volte abgelöst werden. Anderson zieht in diesem Film wirklich alle Register, setzt auf wilde Farbkompositionen, Weitwinkel-Großaufnahmen, die das Groteske der Charaktere betonen, arbeitet unverhohlen mit Rückprojektionen, baut rasante Verfolgungsjagden auf Skiern und Schlitten ein, die nachbearbeitet sind, um das Comichafte der Situation sichtbar zu machen und erschafft Bilder, die an manchen Stellen fast schon wie Anlehnungen an Terry Gilliams Cut-out Animationen für Monty Python’s Flying Circus erinnern.

Allerdings gibt es auch eine Kehrseite des Detailreichtums und der verrückten Einfälle — und die gehen eindeutig zu Lasten der Figuren. Weil Anderson wie ein verrückter Magier immer wieder neue Charaktere ins Spiel bringt und sich beinahe schon einen Jux daraus macht, welcher bekannte Schauspieler sich denn nun hinter der jeweiligen Maskerade verbirgt, bleibt man auf Distanz zu den Hauptpersonen, bei denen zudem Gustave so ambivalent gezeichnet ist, dass er nicht uneingeschränkt zum Sympathieträger taugt. Auch sein Gehilfe Zero bekommt nicht die Tiefe, die dazu nötig wäre, dass man sich in diesen Film und seine zweifelsohne verrücktes Personal rettungslos verliebt. Am Ende fühlt man sich zwar über fast zwei Stunden bestens unterhalten, hat das Ganze aber schnell wieder vergessen.

Mit seinem enormen Staraufgebot und der wilden Mixtur aus Trash, Geschichtsaufarbeitung und Hochkultur (im Abspann steht zu lesen, die Geschichte sei vom Werk Stefan Zweigs beeinflusst) bietet der Film Glamour, Rasanz und wilde Fabulierlust — und über allem schwebt ein leichter Hauch von Nostalgie und die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, nach ihrer Pracht, ihrer Größe, ihrer Dekadenz. Es ist, wenn man so will, auch eine Sehnsucht nach einem Kino, wie es derzeit abhanden zu kommen scheint: Detailverliebt, charmant, vollgestopft mit guten Ideen, handwerklichen Raffinessen, einer Liebe zum Dekor und Kostüm, das die Wirklichkeit nicht stur nachbildet, sondern sie bis an die Grenzen der eigenen Phantasie trägt. Schade eigentlich nur, dass es dieser knallbunten Köstlichkeit an der nötigen Substanz fehlt. Das fällt einem allerdings erst dann auf, wenn man das Kino wieder verlassen hat — zuvor amüsiert man sich allein aufgrund des hohen Tempos und der fantastischen Bilderwelten Andersons bestens.
 

The Grand Budapest Hotel (2014)

Wes Anderson ist das große Spielkind unter den Filmregisseuren. Viel mehr noch als bei dem anderen Peter Pan des Kinos, Steven Spielberg, hat man ihm das Gefühl, dass dieser Mann nicht nur in seinen Filmen in einer anderen Welt lebt. In jedem seiner bisherigen Werke verstand es Anderson, mit Sinn für absurden Witz, einer kindlichen Einbildungskraft und bizarren Figuren einen in sich abgeschlossenen Kosmos zu entwerfen, der allenfalls Anklänge an unsere reale Welt bot.

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Meinungen

David · 07.05.2021

Der Film ist meiner Meinung nach, eine absolute Meisterleitung.

Nicht nur die Kostüme, die Hotelkullisse oder die irrsinnigen Dialoge verleihen dem Meisterwerk seinen Charme, sondern ganz besonder M. Gustave und sein Lobbyboy, durch ihre schauspielerische Leistung.

Verstehe die Enttäuschung hier nicht. Ich war restlos von dem Film begeistert.

daniel · 04.04.2014

film war nicht so toll wie die anderen anderson filme... eher so lala

Achim Keiper · 30.03.2014

Schade schade schade.

Eigentlich ein super Film. Schön verrückt, gute Schauspieler, wunderschöne Bilder, unterhaltsame, lustige Story.

Aber leider wurde der Film in Amerika produziert: In den 100 Minuten habe ich ca. ein Dutzend Mal sehen müssen wie jemandem ins Gesicht geschlagen wurde, habe ungefähr ein halbes Dutzend Morde gesehen, habe gesehen wie eine Katze aus dem Fenster geschmissen wurde, und wie einem Mann die Finger abgehackt wurden.

Passt nicht für eine "Komödie". FSK 6 ist eine pädagogische Straftat.

kim · 25.03.2014

Berichtigung: ernste Dinge des Lebens

Kim · 25.03.2014

Film ist lustig und unterhaltsam. Ein wenig verunsicherend ist der plötzliche Wechsel von Klamauk zu den ersten Dingen des Lebens, wie Krieg, Flucht und faschistische Gewalt.
Mein deutsches Herz freut sich wider der Geschichte, wenn im englischen Original eineinhalb Sätze deutsch gesprochen wird, und zwar richtiges. Das ist selten in US-Filmen.
Ansonsten ein richtiger Puppenhausfilm, den man mit guter Laune verlässt, da ja eh alle irr sind und eh alles wurst ist.