The Fear of 13

Eine Filmkritik von Marie Anderson

True storytelling is the telling of life

Nach über zwanzig Jahren Haft im Todestrakt von Pennsylvania reicht der wegen Vergewaltigung und Mordes zum Tode verurteilte Nicholas Yarris bei Gericht das Gesuch ein, nun doch endlich hingerichtet zu werden. Das langjährige, verzweifelte Engagement, seine Unschuld bezüglich der abscheulichen Verbrechen an Linda Mae Craig im Jahre 1981 zu behaupten und zu beweisen, hat Nick Yarris zu diesem Zeitpunkt verlassen. Er hat resigniert und fordert die Vollstreckung seines Gerichtsurteils ein, was auch einen Akt der Anklage eines Systems markiert, das die gesetzlich legitimierte Tötung eines Menschen in ein unerträglich zähes und qualvolles Prozedere von Vagheit und Verzögerung einbettet. Längst ist er nicht mehr der heranwachsende, bildungsferne und drogensüchtige Kriminelle, der im Sumpf der Justiz unwegsamerweise derbe über einen dringenden Mordverdacht gestrauchelt ist, sondern ein reichlich reflektierter, gereifter Mann Anfang vierzig, der sein halbes Dasein in strafender Gefangenschaft verlebt hat. Nick Yarris’ erbetene Exekution bleibt jedoch aus, und wenig später kann das fortschrittlch entwickelte Verfahren der DNA-Analyse seine Unschuld beweisen.
Einen Dokumentarfilm in Form eines umfangreichen Interviews, ohne Fragen und ohne sichtbares Gegenüber, der zuvorderst von der so subjektiven wie eindringlichen autobiographischen Narration seines Protagonisten getragen wird, hat der Journalist und Filmschaffende David Sington mit The Fear of 13 inszeniert. Nachgestellt sitzt hier der tatsächliche David Yarris wieder in seiner Zelle vor der Kamera und erzählt in dieser signifikant konstruierten Atmosphäre seine Geschichte, die über ihre Dimension eines eklatanten Justizirrtums hinaus seine emanzipatorische Entwicklung hin zu einer Form der persönlichen Freiheit jenseits der staatlichen Repressionsmacht beinhaltet. Doch wie ist es möglich, dass ein unschuldig zum Tode verurteilter junger Mensch, der im Gefängnis Gewalt und Ohnmacht erfährt, ein inneres Exil betreten kann, in dem er geistige Erfrischung, Entfaltung und schließlich sogar tröstliche Liebe erleben kann? Die Erklärung dafür stellt gleichzeitig die banale, doch beseelte Botschaft dieses Dokumentarfilms dar und referiert in einem verschlungenen Pfad auf ihren seltsamen Titel, der auf das Phänomen der Triskaidekaphobie verweist, der Angst, dass von der Zahl 13 eine unglücksspendende Kraft ausgeht: Die Beschäftigung mit Bildung im Allgemeinen und speziell mit Literatur vermag es, einem Menschen in der Krise eine Welt der Erholung, des Trostes und der mentalen Mobilisation zu eröffnen.

Einem Rap oder einem Mantra gleich intoniert der Gefangene Anordnungen von Begriffen und Erklärungen, die er aus einem Wörterbuch klaubt, repetitiv, spielerisch wie ein Kind, um sich selbst in der monotonen Abgeschiedenheit seiner Isolation zu unterhalten: „Robber is a triskaidekaphobic. Robber is afraid of the number 13. Robber does not understand …“ Es sind diese Schilderungen der Selbstrettung sowie solche über zutiefst berührende Begebenheiten im rauen Knastalltag, die The Fear of 13 zu einem dichten Kammerspiel der Emotionen werden lassen, innerhalb einer schwelend realistischen Narration. Wenn Nick Yarris beispielsweise von seinen zwei schwulen Mithäftlingen Butch und Wesley erzählt, die innerhalb des Gefängnisses mit seiner behaupteten Akzeptanz von Homosexualität ein kleines, für eine Weile unbehehelligtes Glück erleben, schimmert eine schlichte, sanfte Schönheit durch den Panzer von Sanktion, Strafe und Segregation.

Dramaturgisch betrachtet erweist sich der Film nur scheinbar als simpler, direktiver Monolog, der aus der Illusion eines journalistischen Gegenparts heraus unmittelbar auf sein Publikum transferiert wird. Die bewusst als zutiefst subjektiv intendierte Sichtweise bricht jedoch permanent in eine grob skizzierte, ständig zurückweichende Handlung ein und überlagert diese, deren Impressionen einer angedeuteten Nachinszenierung der Geschichte den Geist und die Deutungsmacht einer persönlich glorifizierten wie dämonisierten Vergangenheit zum Ausdruck bringen. Karg und nicht selten banal erscheinen die Bilder in ihrem Ausschnittscharakter, mitunter Stillleben gleich, von der ungeheuren Wirkungsmacht der Worte erschaffen und getragen. Ein leerer, stets erneut symbolhaft fokussierter Stuhl in einem nackten Raum etwa erscheint als puristisches Motiv einer Kulisse, die nicht die Bedeutsamkeiten abbildet, sondern die klaffende Leere darum und dahinter, eine markante Metapher der Platzierung der Häftlinge in einen Bannort der Abweichung.

Hier dominiert die eloquente Rede und mit ihr Nick Yarris als Protagonist seiner eigenen Lebensgeschichte, als mal raunender, mal auftönender und wachsend faszinierender Beschwörer von Flucht und Verfolgung, von Gefangenschaft, Isolation und Verzweiflung, aber auch der heilsamen Kraft von Literatur – und schließlich Liebe. Nach zwei Jahren der absoluten Stille in seiner einsamen Zelle entdeckt dieser Mann inmitten des Tiefpunkts seines tragischen Schicksals die erhabene, rettende Macht des Wortes und der Narration, die ihn auf Basis seiner allenfalls grundlegenden schulischen Bildung in ein schier unerschöpfliches Universum von inspirativen Gedanken und Geschichten stürzt – eine Wohltat, die sich zu einem Segen auswächst.

Bei allen mitklingenden Betrachtungen über die Justiz, den Todestrakt, die Bedingungen der Häftlinge und im Besonderen der persönlichen Lebensgeschichte Nick Yarris’ stellt der Dokumentarfilm The Fear of 13 zuvorderst eine eindringliche, ungewöhnlich präsentierte und heftig berührende Liebeserklärung an die großartige Kraft von Literatur dar, die es vermag, einen verzweifelten, verlorenen Menschen am Rande der Selbstaufgabe aufzufangen und seinem desolaten Dasein eine förderliche, frohe und freiheitliche Dimension zu verleihen. Da reihen sich Bücher in der Zelle, die Millionen von Menschen unterhalten, getröstet, bezaubert und verstört haben, der Geist von Harper Lee, Homer, Mark Twain, Charles Dickens und etlichen anderen Autoren durchströmt den Todestrakt, während Nick Yarris in retrospektiver Reflexion von seiner mentalen und emotionalen Befreiung berichtet: „True storytelling is the telling of life“, resümiert der einst unschuldig Verurteilte, der über 8000 Tage im Gefängnis verbrachte und heute mit seiner eigenen kleinen Familie in Großbritannien lebt. Dass und wie er die gewaltigen Holprigkeiten und Abgründe seines Lebens schildert, zeugt nicht zuletzt davon, dass er sich selbst zu einem hervorragenden Erzähler entwickelt hat, dessen Narration noch lange nachhallt.

The Fear of 13

Nach über zwanzig Jahren Haft im Todestrakt von Pennsylvania reicht der wegen Vergewaltigung und Mordes zum Tode verurteilte Nicholas Yarris bei Gericht das Gesuch ein, nun doch endlich hingerichtet zu werden. Das langjährige, verzweifelte Engagement, seine Unschuld bezüglich der abscheulichen Verbrechen an Linda Mae Craig im Jahre 1981 zu behaupten und zu beweisen, hat Nick Yarris zu diesem Zeitpunkt verlassen.
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