Tausend Augen

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Ödnis der Sehnsucht

Sie sind heutzutage absolut aus der Mode gekommen, die klassischen Peepshows mit Münzeinwurf, die moralisch wie rechtlich schon immer heftig umstritten nunmehr beinahe gänzlich aus den erotischen Zonen der Städte verschwunden sind. In Tausend Augen von Hans-Christoph Blumenberg aus dem Jahre 1984 bildet ein derartiges Etablissement das Szenario einer kleinen Geschichte im Hamburger Milieu, die eher atmosphärisch als dramatisch angelegt ist. Es herrscht die Stimmung einer unterkühlten, unbestimmten Melancholie, bei Zeiten flankiert vom kruden Humor mehr oder minder offensichtlicher Zitate aus dem Filmuniversum, die von schrägen kleinen Auftritten einschlägiger Repräsentanten wie Wim Wenders unterstützt werden.
Im nächtlichen Hamburg ist die ernsthafte, aparte Gabriele (Barbara Rudnik) mit dem Taxi von ihrer luxuriösen Wohnung zu ihrer Arbeit in einer Peepshow unterwegs – und umgekehrt. Es ist stets derselbe Taxifahrer Schirmer (Peter Kraus), der sie Nacht für Nacht chauffiert und formvollendet begleitet, den Wagenschlag öffnet und auch schon mal einen Schirm hält. Er entlässt die junge Frau, die tagsüber Meeresbiologie studiert, in die Welt der ungezählten Blicke, die begehrlich den Bewegungen ihres entblößten Körpers folgen, und dort holt er sie ab, zur Rückkehr in ihre zurückgezogene Existenz. Eine gewachsene Beziehung besteht zwischen den beiden, deren Distanziertheit durch kleine Vertraulichkeiten abgemildert wird.

Gabriele braucht Geld, das ist offensichtlich, denn Vergnügen bereiten ihr die Auftritte in der umlungerten Kabine keines, jedoch das Beisammensein mit den Kolleginnen in den Pausen als einzige Geselligkeit in ihrem Leben. In ihren Gedanken weilt die einsame Frau in den Armen ihres Liebsten im fernen Australien, wohin sie sich sehnsüchtig zurückwünscht, doch noch reichen die Mittel nicht für die kostspielige Reise. Eines Nachts nähert sich ihr der seltsame Geschäftsführer Arnold (Armin Mueller-Stahl) an und weiht sie in die kriminellen Machenschaften ein, die im Hinterzimmer der Peepshow laufen. Der ältere Mann fühlt sich von der kühlen Gabriele angezogen und offeriert ihr eine lukrativere Tätigkeit. Es wird deutlich, dass er sie heimlich auch außerhalb des Geschäfts beobachtet und sich wünscht, sehr eng mit ihr in Beziehung zu treten. Doch seine ehemalige Geliebte Vera (Karin Baal), die ebenfalls im Etablissement arbeitet, bekommt Wind von seiner schroffen Werbung um Gabriele und intrigiert …

Tausend Augen ist von einer gewaltigen Tristesse geprägt, die sich leider auch auf die Dramaturgie und das Spiel der Akteure legt, das zu keinem Zeitpunkt wirklich kongruiert oder gar zündet. Es herrscht das große Nebeneinanderher, das in seiner Fadheit jedoch nicht die Qualitäten einer stilistischen Finte birgt, sondern vielmehr eine ebenso wenig unterhaltsame wie berührende Atmosphäre der Stumpfheit produziert, die sich selbst in potentiellen Spannungsmomenten dämpfend auswirkt. Kein Aspekt der trüben Geschichte wird letztlich fokussiert, vermeintliche Drama- oder Thrillerkomponenten erscheinen ungeschickt und zusammenhanglos und die filmgeschichtlichen Anspielungen wie die spröde Bemühung, Bedeutung in ein fragmentarisches Ideengebilde zu hauchen. Es ist die große Stärke des Films, der seine erfreulichen melancholischen Ansätze rasch gleichgültig verpuffen lässt, dass zumindest die Dialoge wohlweislich knapp gehalten sind. Wird auch hier der Versuch unternommen, die öde und damit eine stark vernachlässigte Seite der Sehnsucht zu beleuchten, so scheitert dieser an der beinahe durchweg abwesenden Intensität in Inszenierung wie Schauspiel, und es ist geradezu tröstlich, einige der Akteure bereits in unvergleichlich stärkeren Rollen gesehen zu haben.

Tausend Augen

Sie sind heutzutage absolut aus der Mode gekommen, die klassischen Peepshows mit Münzeinwurf, die moralisch wie rechtlich schon immer heftig umstritten nunmehr beinahe gänzlich aus den erotischen Zonen der Städte verschwunden sind.
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