Tallulah

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Wahrhaftige im Überzogenen

Im Jahre 2007 feierte der Film Juno seine Weltpremiere in Colorado: ein tragikomisches Werk über die vielen Facetten von Mutterschaft mit Ellen Page in der Titelrolle und Allison Janney in einem Nebenpart. Anfang 2016 erlebte der Film Tallulah seine Uraufführung in Utah: ein tragikomisches Werk über die vielen Facetten von Mutterschaft mit Ellen Page in der Titelrolle und Allison Janney in einem Nebenpart. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Sian Heder – die Regisseurin und Drehbuchautorin von Tallulah – versucht, eine Erfolgsformel zu kopieren. Die Parallelen zwischen dem einstigen Festivalhit und Heders Langfilmdebüt sind allerdings eher oberflächlicher Natur; überdies basiert Tallulah auf dem 15-Minüter Mother, den Heder bereits 2006 als Writer-Director realisierte.
Im Zentrum der Geschichte steht die titelgebende Heldin (Page), die mit ihrem Freund Nico (Evan Jonigkeit) in einem alten Van durchs Land reist und ihre Freiheit genießt – was nicht selten auch Diebstahl mit einschließt. Als Tallulah Nicos Wunsch, zu seiner Mutter Margo (Janney) nach New York City heimzukehren und sesshaft zu werden, ablehnt, lässt Nico sie ohne Verabschiedung zurück – woraufhin die junge Frau Margos Apartmenthaus aufsucht. Da Nico jedoch nicht dort ist und sie von seiner Mutter entschieden zurückgewiesen wird, streift Tallulah durch ein Hotel in der Stadt und landet im Zimmer der wohlhabenden Carolyn (Tammy Blanchard), die sie für eine Angestellte hält und ihr Geld anbietet, damit sie auf ihre etwa einjährige Tochter Madison aufpasst. Als Carolyn nach einigen Stunden in volltrunkenem Zustand zurückkommt und einschläft, fasst Tallulah den Entschluss, Madison mitzunehmen. Bald steht sie erneut vor Margos Tür – und behauptet, dass die Kleine Margos Enkelin ist.

Heders Film weist ohne Zweifel diverse dramaturgische Unebenheiten auf und fordert von seinem Publikum die Bereitschaft, sich auf eine Protagonistin einzulassen, die zuweilen zu einer äußerst unüberlegten Handlungsweise neigt und zur Kidnapperin wird. Als Teil des Autor_innen-Teams der hervorragenden Netflix-Serie Orange Is the New Black hat Heder indes schon bewiesen, dass sie aus dem Absurd-Überzogenen stets das Menschliche, Wahrhaftige herausarbeiten kann und mit ambivalenten Frauenfiguren umzugehen weiß. Dies zeigt sich auch in Tallulah. Die Rollen von Page und Janney mögen zunächst allzu plakativ als Kontrastpaar angelegt sein, doch Heder erzeugt durch ihre gewitzten Dialoge sowie ihre Begabung, die Chemie zwischen den beiden Darstellerinnen zur Geltung zu bringen, sehr schöne Dramedy-Momente, in denen man nachvollziehen kann, dass die zwei Frauen einander näherkommen und sich gegenseitig guttun.

Heder findet passende Wege zu vermitteln, dass Tallulah bei aller Unwahrscheinlichkeit Muttergefühle für Madison entwickelt – wenn die rastlose Drifterin etwa feststellt, dass das kleine Mädchen „the coolest, weirdest thing you’ve ever seen“ ist. Ellen Page trifft in solchen Passagen immer den richtigen Ton und macht ihre Sache überaus gut. Zum heimlichen Star des Films wandelt sich jedoch Allison Janney, die nicht nur Kommentare wie „Were you raised by wolves?“ wunderbar trocken vortragen und aus Margos unentschlossenem Flirt mit dem Pförtner (Félix Solis) eine bemerkenswert lustige Szene entstehen lassen kann, sondern auch die Tragik ihrer Figur perfekt zu transportieren vermag – insbesondere in einer Sequenz, in welcher Margo mit dem neuen Glück ihres Ex-Gatten (John Benjamin Hickey) konfrontiert wird. Schade ist, dass Nico und somit auch dem Mutter/Sohn-Verhältnis geringe Beachtung zukommt. Man könnte es als konsequent bezeichnen, dass den Männern in diesem Film mit zwei zentralen weiblichen Figuren kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird – wodurch Tallulah als Pendant zu den zahllosen ‚Männerfilmen‘ verstanden werden kann, in denen das weibliche Personal zumeist marginalisiert wird; es hätte sich aber womöglich durchaus gelohnt, es diesen Werken nicht mit umgekehrten Vorzeichen gleichzutun, zumal Evan Jonigkeit in den wenigen Szenen, die ihm zur Verfügung stehen, eine wirklich überzeugende Interpretation des jungen Ausreißers liefert. Als weitere eindrückliche Nebenfigur muss die umnebelte High-Society-Dame Carolyn genannt werden, die als extrem unsympathische, karikatureske Rabenmutter eingeführt wird, um später – nicht zuletzt aufgrund des Talents von Tammy Blanchard – an erstaunlicher Tiefe zu gewinnen. Dank einer solchen Vielschichtigkeit tritt hier ein außergewöhnlicher, wagemutiger Film zutage.

Tallulah

Im Jahre 2007 feierte der Film „Juno“ seine Weltpremiere in Colorado: ein tragikomisches Werk über die vielen Facetten von Mutterschaft mit Ellen Page in der Titelrolle und Allison Janney in einem Nebenpart. Anfang 2016 erlebte der Film „Tallulah“ seine Uraufführung in Utah: ein tragikomisches Werk über die vielen Facetten von Mutterschaft mit Ellen Page in der Titelrolle und Allison Janney in einem Nebenpart. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Sian Heder – die Regisseurin und Drehbuchautorin von „Tallulah“ – versucht, eine Erfolgsformel zu kopieren.
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