Sully (2016)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Held wider Willen

Dass Clint Eastwoods jüngste Regiearbeit lediglich den Spitznamen ihrer Hauptfigur als Titel führt, kommt nicht von ungefähr. Chesley ‚Sully‘ Sullenberger (Tom Hanks mit weißer Haar- und Bartpracht) möchte ein Mensch wie jeder andere sein. Ein Mann, der nicht als Held gesehen werden will, auch wenn sein Handeln eindeutig heroische Züge trägt. Immerhin gelang es dem erfahrenen Piloten im Januar 2009 nach einem Vogelschlag, der beide Triebwerke beschädigt hatte, die von ihm gesteuerte US-Airways-Maschine sicher auf dem Hudson River notzuwassern. Eine fliegerische Meisterleistung, die allen Passagieren und Crewmitgliedern das Leben rettete. Eastwoods Film basiert auf Sullenbergers Autobiografie und ist bemüht, unterschiedliche Aspekte zusammenzubringen. Beleuchtet werden die Persönlichkeit des Protagonisten, seine Reaktion auf das einschneidende Erlebnis, die dramatischen Minuten selbst und die Untersuchungen, die das National Transportation Safety Board (NTSB) nach dem glücklichen Ausgang ins Rollen brachte.

Während die Öffentlichkeit Sullenbergers Tat überschwänglich feiert, müssen sich der Pilot und sein Erster Offizier Jeff Skiles (Aaron Eckhart) vor einem Ermittlungskomitee erklären, da das riskante Landemanöver möglicherweise unnötig war. Ausgewertete Daten und Simulationen legen den Schluss nahe, dass die Maschine ihren Startflughafen LaGuardia oder den nahegelegenen Teterboro Airport rechtzeitig hätte erreichen können, bevor es zu einem Absturz gekommen wäre. Eine Behauptung, die dem Protagonisten schwer zu schaffen macht. Ebenso wie die noch nicht verarbeiteten Ereignisse vom 15. Januar und die plötzlich über ihn hereinbrechende Aufmerksamkeit. Er sei „ein Mann, der lediglich seinen Job mache“, betont Sully während eines Fernsehinterviews. Doch das sehen Medien und Bevölkerung ganz anders. Immer wieder erfährt er unerwartete Zuneigung, beispielsweise als ihn eine Hotelmanagerin innig umarmt. Die Lawine an Dankesbekundungen ist dem Gefeierten jedoch alles andere als geheuer. Das verrät schon ein Blick in das Gesicht von Hauptdarsteller Tom Hanks, der auch diesen Film mit seinen Jedermann-Qualitäten erdet.

Einmal mehr bringt es der stets bescheiden auftretende Hollywood-Star fertig, hinter seiner Rolle zu verschwinden, sodass der Zuschauer einen noch stärkeren Bezug zu seiner Figur aufbauen kann. Jede Sekunde nimmt man Hanks den innerlich aufgewühlten Piloten ab, der mit den Folgen seiner Rettungsaktion hadert. Momente starker Unruhe – Sully beginnt etwa mit einem Absturz-Albtraum, der an die Terroranschläge vom 11. September denken lässt – werden mit präzisem Mienenspiel und einem Anschwellen der Geräuschkulisse eingefangen, hätten aber ruhig noch häufiger in den Blick geraten dürfen. Überflüssig wirken dagegen die kurzen Rückblenden in die Ausbildungszeit der Hauptfigur, die man rasch wieder vergessen hat. Ergiebiger sind im Vergleich die Telefongespräche zwischen Sullenberger und seiner Ehefrau Lorraine (Laura Linney), mit denen der Film emotionale Akzente setzt, ohne in billige Sentimentalität zu verfallen.

Führt man sich vor Augen, dass die Geschehnisse weithin bekannt sind, muss man dem mittlerweile 86-jährigen Clint Eastwood ein großes Lob aussprechen. Schließlich schafft es der Altmeister, die Minuten vor dem abgewendeten Unglück packend und intensiv zu inszenieren. Die Anspannung im Cockpit und die Panik unter den Passagieren übertragen sich auf den Zuschauer und nehmen mitunter regelrecht beklemmende Züge an. Bei aller Zurückhaltung, die den Protagonisten kennzeichnet, steht angesichts der hochkomplizierten Notlandung und seines Einsatzes bei der Evakuierung der Fluggäste außer Frage, dass Eastwood in Sullenberger einen Mann sieht, dem großes Lob gebührt. Zu einer unreflektierten Heldenshow verkommt die Aufarbeitung allerdings nicht, da auch andere Personen und Perspektiven Berücksichtigung finden. Unter anderem ein Lotse, der verzweifelt versucht, eine sofortige Landung in LaGuardia oder Teterboro möglich zu machen, und die Küstenwache, die nach der Notwasserung schnell zur Hilfe eilt. Übertrieben pathetische Gesten werden meistens ausgespart, weshalb es etwas irritiert, dass Sully mit einem allzu salbungsvollen Abspanntext endet.

Einen schalen Beigeschmack hinterlässt in jedem Fall die Darstellung des NTSB, das den Piloten – so hat es den Anschein – um jeden Preis diskreditieren will. Auch wenn der Film die Mitglieder des Komitees keineswegs dämonisiert und in den Befragungen einige spannende Argumente zu Tage fördert, macht es sich das Drehbuch etwas zu einfach. Gerade im letzten Drittel, wenn Sully und sein Kollege Skiles bei einer öffentlichen Anhörung Stellung beziehen, entsteht der Eindruck, dass auf der Gegenseite durchweg inkompetente Bürokraten sitzen. Ein erzählerisches Defizit, das die Qualitäten des Films nicht vergessen macht, wohl aber dazu beiträgt, dass Sully nicht als bestes Eastwood-Werk in die Geschichte eingehen wird.
 

Sully (2016)

Dass Clint Eastwoods jüngste Regiearbeit lediglich den Spitznamen ihrer Hauptfigur als Titel führt, kommt nicht von ungefähr. Chesley ‚Sully‘ Sullenberger (Tom Hanks mit weißer Haar- und Bartpracht) möchte ein Mensch wie jeder andere sein. Ein Mann, der nicht als Held gesehen werden will, auch wenn sein Handeln eindeutig heroische Züge trägt.

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