Snowden (2016)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Vom Patrioten zum Staatsfeind

Oliver Stone ist wieder da! Nach einigen weniger überzeugenden Filmen meldet sich der einstige Querdenker des amerikanischen Unterhaltungskinos mit einem sehenswerten Politthriller zurück, der den Lebensweg des Whistleblowers Edward Snowden und seinen folgenreichen Entschluss, fragwürdige Geheimdienstpraktiken anzuprangern, auf packende Weise illustriert. Bezeichnend für die zuweilen unbequeme Stoßrichtung des Films ist die Tatsache, dass der Oscar-prämierte Regisseur vor allem auf deutsche Produktionspartner angewiesen war, um sein Projekt überhaupt realisieren zu können. Die großen US-Studios lehnten eine Beteiligung dankend ab, was einem Armutszeugnis gleichkommt, aber genauso die anhaltende Brisanz der ‚Causa Snowden‘ in Amerika unterstreicht. Auch drei Jahre nach den aufsehenerregenden NSA-Enthüllungen gilt der im russischen Exil ausharrende junge Mann als feiger Nestbeschmutzer und seelenloser Staatsfeind.

Oliver Stones und Kieran Fitzgeralds Drehbuch, das auf Anatoly Kucherenas Roman Time of the Octopus und der Faktenbeschreibung Edward Snowden: Geschichte einer Weltaffäre von Luke Harding basiert, nähert sich seinem Protagonisten auf zwei Erzählachsen, die irgendwann zusammenlaufen. Skizziert wird zum einen der private und berufliche Werdegang des Whistleblowers (angenehm natürlich und glaubwürdig: Joseph Gordon-Levitt), der zunächst als strammer Patriot in Erscheinung tritt, den die Terroranschläge des 11. Septembers nachhaltig geprägt haben. Da er für das Militär körperlich ungeeignet ist, bewirbt sich der Computerspezialist bei der CIA, wo er in Corbin O’Brian (Rhys Ifans) einen einflussreichen Mentor findet. Nach einem anspruchsvollen Trainingsprogramm, das der hochveranlagte Snowden bravourös absolviert, darf sich der IT-Fachmann über erste Auslandseinsätze – etwa in der Schweiz – freuen, die ihm allerdings vor Augen führen, dass die internationalen Geheimdienste ohne Genehmigung eine umfassende Überwachung der Bevölkerung betreiben.

Der zweite Handlungsstrang entführt den Zuschauer gleich zu Anfang in ein Hotel in Hongkong, in dem sich der flüchtige Edward Snowden im Sommer 2013 versteckt hält. Eben hier kommt es zu einem konspirativen Treffen mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras (Melissa Leo) und den Journalisten Glenn Greenwald (Zachary Quinto) und Ewen MacAskill (Tom Wilkinson), denen der mittlerweile abtrünnige Geheimdienstmitarbeiter Beweisdateien für das zweifelhafte Vorgehen der Sicherheitsbehörden überreichen will.

Durch die Verzahnung beider Ebenen entwirft das Biopic ein kontrastives und facettenreiches Bild seiner Hauptfigur. Wirkt Snowden in den mitunter klaustrophobischen Hotelszenen stets misstrauisch, um nicht zu sagen paranoid, erscheint er bei seinem CIA-Einstieg wie ein naiver Bursche, der seinem Land bestmöglich dienen will und die Politik der Bush-Regierung nicht weiter hinterfragt. Im Gegensatz dazu präsentiert sich seine Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley) als Verfechterin liberaler Grundsätze und schafft es im weiteren Verlauf, Edwards konservative Haltung aufzuweichen. Anders als man es vielleicht vermuten könnte, nimmt sich Stone immer wieder Zeit, die Beziehung des Paares genauer zu beleuchten. Vor allem den Druck und die Spannungen, die dadurch entstehen, dass Snowden mit niemandem außerhalb des Sicherheitsapparates über seine höchst sensible Computerarbeit sprechen darf. Lindsay, die ihrem Freund in der Realität bis ins russische Exil gefolgt ist, verkommt angesichts der wiederholten intimen Beobachtungen nicht zu einer eindimensionalen Stichwortgeberin, sondern entwickelt durchaus Eigenleben.

Auch wenn der Film die Wandlung des Protagonisten recht klassisch aufzieht und ihn Stück für Stück an der Richtigkeit der Ausspähoffensiven zweifeln lässt, wird dem Publikum ein Held mit Ecken und Kanten serviert. Des Öfteren spürt man den süßen Geschmack der Macht, dem sich der junge Mann nicht entziehen kann. Die aussichtsreiche Karriere, mit der O‘Brian ihn lockt, ist verführerisch und lässt sich nur schwer ausschlagen, wenn man den Fuß einmal in der Tür hat. Snowdens Wirken fängt Stone episodenhaft ein, zaubert trotz aller Vereinfachungen aber einige beunruhigende Aspekte zu Tage: Das Streben nach größtmöglicher Sicherheit darf in den Augen der Geheimdienste offenbar alle gesetzlichen Regeln sprengen und höhlt sogar den uramerikanischen Freiheitsgedanken aus. Besonders greifbar wird der ausufernde Kontroll- und Überwachungswahn, als wir erfahren, dass die Vereinigten Staaten jederzeit das japanische Stromnetz mit einer Malware lahmlegen könnten, sollte das asiatische Land als Verbündeter wegbrechen. Vorsorge ist besser als Nachsorge!

Hoch anrechnen muss man dem Regisseur, dass die Ereignisse fesselnd bleiben, obwohl der Zuschauer ihren Ausgang bereits kennt. Fiebrig-spannend ist beispielsweise die Flucht aus dem Hotel in Hongkong, nachdem Snowden seine brisanten Daten übergeben hat. Äußerst beklemmend wirken die Momente, in denen der zweifelnde Computerspezialist von seinem Mentor in die Mangel genommen wird. Verbal rückt der hochrangige Beamte seinem Schützling bei einer Videokonferenz auf die Pelle. Und auch optisch scheint das riesenhafte Gesicht des misstrauischen CIA-Mannes auf der Leinwand den Verhörten regelrecht zu erdrücken.

Dramatische Verdichtungen und erzählerische Freiheiten – Stichwort: Zauberwürfel als Versteck für den Datenchip – sind fester Bestandteil der von Stone vorgelegten Aufarbeitung. Schließlich ist Snowden anders als der Oscar-gekrönte Citizenfour, der den Whistleblower auf seiner Flucht zeigt, kein Dokumentarfilm, sondern ein Unterhaltungsprodukt mit aufklärerischer Note. Gleichwohl erlaubt sich Stone am Ende einen kleinen Überraschungscoup, über dessen Wirkung sich nach dem Kinobesuch trefflich diskutieren lässt.
 

Snowden (2016)

Oliver Stone ist wieder da! Nach einigen weniger überzeugenden Filmen meldet sich der einstige Querdenker des amerikanischen Unterhaltungskinos mit einem sehenswerten Politthriller zurück, der den Lebensweg des Whistleblowers Edward Snowden und seinen folgenreichen Entschluss, fragwürdige Geheimdienstpraktiken anzuprangern, auf packende Weise illustriert. Bezeichnend für die zuweilen unbequeme Stoßrichtung des Films ist die Tatsache, dass der Oscar-prämierte Regisseur vor allem auf deutsche Produktionspartner angewiesen war, um sein Projekt überhaupt realisieren zu können.

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Meinungen

andreas · 11.11.2016

Sehr gute filmerische Leistung. Spannend, wahrscheinlich nahe an dem Wirklichem und informativ. Die ganze Tragweite des Handelns der Datensammel-Junkies wird deutlich und Leute dies`begriffen haben, was es heißt Menschenprofile zu erstellen benutzen kein Handy, Smartphone oder was es sonst noch so gibt , mehr.

Nur Dienstboten müssen ständig erreichbar sein!

Sascha · 10.11.2016

Der Kritik von C. Diekhaus kann ich mich voll anschließen. Obwohl man "alles kennt" keine Sekunde langweilig.