Schuld sind immer die Anderen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schuld und Sühne

Eigentlich erscheint es ja auf den ersten Blick unverdient, dass ein jugendlicher Intensivstraftäter wie Ben (Edin Hasanovic) eine zweite Chance erhält. Das liegt weniger an den Taten, die er begangen hat als vielmehr daran, dass er Einrichtungen des freien Vollzugs und Resozialisierungsmaßnahmen für „Schwuchtelkram“ und „Opferkacke“ hält. Dass Ben das Angebot des Sozialarbeiters Niklas (Marc Ben Puch) dennoch annimmt, liegt also weniger an seiner Überzeugung. Sondern schlicht daran, dass er so schnell wie möglich aus dem Knast raus will und möglicherweise sogar darauf spekuliert, dass er aus dem freien Vollzug leichter ausbüxen kann.
In der Einrichtung, in die Ben dann gebracht wird, dem „Waldhaus“, herrschen strenge Regeln. Flüche und Schimpfereien sind ebenso verboten wie jegliche Form des Körperkontaktes, zudem gibt es ein rigides System der gegenseitigen Kontrolle, Gruppengesprächsrunden und vieles andere, das Ben zunächst suspekt erscheint. Als er dann auf Eva (Julia Brendler), Niklas´ Frau und „Hausmutter“ des Heimes trifft, ist Ben wie vom Donner gerührt. Die Frau ist nämlich eines seiner Opfer und verlor durch Bens Brutalität, wie er später erfahren muss, ihr ungeborenes Kind – eine Erfahrung, unter der sie noch heute leidet. Doch sich zu seiner bislang ungesühnten Tat zu bekennen, soweit ist Ben einfach noch nicht. Stattdessen kämpft er vorerst mit dem neuen Leben, das ihn dazu bringen will, endlich sein Dasein auf die Reihe zu bekommen und für seine Taten die Verantwortung zu übernehmen. Und auf Dauer, so macht er die Erfahrung, lässt sich das Band zwischen Täter und Opfer nicht so ohne weiteres ignorieren – zumal dann nicht, wenn man so schwere Schuld auf sich geladen hat wie er…

Es dauert eine Weile, bis man sich in diesen Film hineingefunden hat, weil man sich am Anfang des Eindrucks nicht erwehren kann, als operiere dieses durchaus spannende Drama auf dem schmalen Grat zwischen sozialem Realismus und der bloßen Repräsentation von Klischees, wie sie beinahe schon prototypisch geworden ist für das junge engagierte Kino aus Deutschland. Dass sich in der ländlichen Idylle des Waldhauses ein Opfer und ein Täter einander gegenüberstehen, ist zudem nicht besonders glaubwürdig – selbst wenn das Drehbuch diesen Umstand plausibel zu vermitteln weiß. Irgendwann aber verschwindet hinter dem sich entspinnenden Psychoduell von Täter und Opfer, bei dem sich die alten Rollen umzukehren scheinen, das Artifizielle und Konstruierte des Plots und bekommt eine Dimension, die weit über das Reale und die (womöglich müßige) Frage von Wahrscheinlichkeiten und Authentizitäten hinausweist.

Dass dieser Spagat gelingt, liegt vor allem am intensiven Spiel der beiden Kontrahenten Edin Hasanovic und Julia Brendler. Ihre Blickkontakte, ihr gegenseitiges Abmessen und Lauern, die kleinen Fallen, die Eva ihrem Übeltäter stellt, gehören gerade wegen des Verzichts auf jede offensichtliche Form der Gewalt zu den absoluten Höhepunkten dieses Films. Ein weiterer Pluspunkt: Lars-Gunnar Lotz und seine Drehbuchautorin Anna-Maria Prassler behalten ihren mutigen Balanceakt bis zum Ende des Films bei und erliegen nicht der Versuchung, die finale Konfrontation Bens mit seinen Taten als Anlass für ein inszeniertes Happy-End zu wählen. Schade nur, dass andere Konventionen des von Fernsehredaktionen maßgeblich mitgestalteten deutschen Debütfilms nicht ebenso konsequent umgangen wurden – die fast schon obligatorische Liebesgeschichte zwischen Ben und einer Praktikantin ist ohne jede Bedeutung für die Entwicklung der Geschichte, stattdessen wäre es viel interessanter gewesen, den Konflikt zwischen dem Straftäter und seinem Zimmergenossen Tobi (Pit Bukowski) weiter zu vertiefen. Lässt man diese lässlichen Sünden aber beiseite und konzentriert sich auf die Intensität des grundlegenden Konflikts zwischen Ben und Eva, ist Lotz ein ebenso sperriges wie sehenswertes Drama über Schuld und Sühne gelungen.

Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass Schuld sind immer die Anderen, der seine Premiere im Januar 2012 beim Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken feierte, beim Filmfest Emden-Norderney gleich drei Auszeichnungen erhielt. Man darf gespannt sein, ob sich dieser Erfolg noch ausbauen lässt – derzeit läuft der Film beim 8. Festival des deutschen Films und konkurriert dort um den Filmkunstpreis des Festivals.

Schuld sind immer die Anderen

Eigentlich erscheint es ja auf den ersten Blick unverdient, dass ein jugendlicher Intensivstraftäter wie Ben (Edin Hasanovic) eine zweite Chance erhält. Das liegt weniger an den Taten, die er begangen hat als vielmehr daran, dass er Einrichtungen des freien Vollzugs und Resozialisierungsmaßnahmen für „Schwuchtelkram“ und „Opferkacke“ hält. Dass Ben das Angebot des Sozialarbeiters Niklas (Marc Ben Puch) dennoch annimmt, liegt also weniger an seiner Überzeugung.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Katrin · 23.01.2015

Tolle schauspielerische Leistung von Edin Hasanovic - ohne Frage.
Leider wird der Film aber dem Berufsstand der Sozialarbeiter / Sozialpädagogen so gar nicht gerecht, wirft eher ein ziemlich schlechtes Licht. Das ist schade, hier wurde viel Potenzial vergeben. Wenn sich eine Sozialarbeiterin so unprofessionell im Rahmen einer solchen Maßnahme verhalten würde, würde so eine Einrichtung im besten Fall sofort geschlossen werden. Auch die unkommentierte Distanzlosigkeit der Studentin der Sozialen Arbeit ist kaum auszuhalten. Wenn man sich an der Realität orientieren möchte, wie die Macher angeben, dann gehören die Rollen m.E. weitaus differenzierter ausgeleuchtet. Zumindest auf Seiten der, im wahren Leben oftmals viel professionelleren, Sozialen Arbeit.

Thomas · 20.07.2014

Sehr gute und reflektierte Rezension von Herrn Kurz.
Es ging mir beim Anschauen des Films genauso wie dem Rezensenten, denn ich befürchtete ebenfalls eine der üblichen sozialromantischen Darstellungen mit Klischee-Happy-End.
Da mich das Thema aber interessierte (bin eher Gegner als Befürworter des Täter-Opfer-Ausgleichs), habe ich durchgehalten und wurde durch einige großartige schauspielerische Leistungen belohnt.

Wenn man die beschriebenen unglaubwürdigen Konstrukte ignorieren kann, ist das ein sehr sehenswerter Film, der die Schwierigkeiten und die Komplexität des Themas sehr gut ausleuchtet.

Lisa Film · 25.04.2013

Dieser Film ist für mich zu konstruiert und vorhersehbar. Die schauspielerische Leistung von dem Jungen ist hervorzuheben, aber ansonsten gefällt mir die Art der aufgesetzten Inszenierung überhaupt nicht. Außerdem ist das KEIN Kinofilm. Ich finde, von der Aussage, von den Bildern, der Regie und dem Drehbuch ist das ein durchschnittlicher, deprimierender Fernsehfilm. Leider nicht mehr.

Wolfgang · 23.01.2012

Toller Film - grandioses Schauspielerensemble, glaubhaft und packend inszeniert, der beste Film beim diesjährigen Filmvestival Max Ophüls Preis!