Rabbi Wolff

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Der lachende Rabbi

Rabbi Wolff trägt viele Plastiktüten und eilt zum Flugzeug. In den Tüten sind Zeitungen, und während Rabbi Wolff am Flughafen warten muss, legt er seine Füße zu einem Yoga-Schneidersitz übereinander und beginnt mit der Lektüre. Rabbi Wolff ist 87 Jahre alt und wohl der ungewöhnlichste Rabbiner, den es gibt. Als Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern pendelt er zwischen den jüdischen Gemeinden in Rostock, Schwerin und Wismar – aber er lebt in einem Häuschen nördlich von London. Was bedeutet, dass er einmal pro Woche von England nach Norddeutschland fliegt. Und Rabbi Wolff ist noch viel mehr unterwegs. Britta Wauer ist William Wolff, wie der Rabbi eigentlich heißt, für ihren Dokumentarfilm Rabbi Wolff überallhin gefolgt: In die jüdischen Gemeinden nach Schwerin und Rostock, zum Besuch seiner Verwandten in Haifa und Jerusalem, zum Pferderennen nach Ascot. Denn der Rabbi versteht es, sein Leben in vollen Zügen zu genießen.
Wer Wauers letzten Film Im Himmel, unter der Erde gesehen hat, kennt Rabbi Wolff bereits. In dem Dokumentarfilm spricht er über den Jüdischen Friedhof Weißensee. Bei den Vorführungen ihres Films sei Wauer dann so oft auf den Rabbi angesprochen worden, dass ihr irgendwann klar wurde: Über ihn muss man einen eigenen Film machen.

Ganz zart und langsam zeichnet Wauer das Bild dieses ungewöhnlichen Menschen. Sie lässt sich Zeit, ihn vorzustellen. Erst nach und nach entblättert sich seine Lebensgeschichte. Dass man sie trotzdem gern verfolgt, liegt neben der Kameraarbeit von Kaspar Köpke und der manchmal schon slapstickhaft anmutenden Montage von Berthold Baule auch am großen Charisma des Protagonisten.

Dieser kleine alte Mann mit dem schwarzen Hut und den perfekten englischen Gentleman-Anzügen hat immer gute Laune, ist immer präsent und geistig sowie emotional bei den Menschen, mit denen er unterwegs ist. Wenn er spricht, vergisst man, dass er bereits 87 Jahre alt ist. Denn dann leuchten seine Augen – zudem spricht er ein wohlgewähltes Deutsch. Als Junge ist er in Berlin aufgewachsen, 1933 floh er mit seiner Familie erst nach Amsterdam, später dann nach London. Dort studierte und arbeitete er. Bis zu seinem 50. Lebensjahr war er Journalist und berichtete für den Daily Mirror aus dem britischen Unterhaus. Erst mit 50 Jahren beschloss er, seinen Traum, Rabbi zu werden, wahr zu machen.

Er ist ein liberaler Vertreter des Judentums, was ihn zu einer Ausnahme macht in seinen Mecklenburger Gemeinden, die zumeist aus orthodoxen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion bestehen. Dennoch wirkt er in seinen Ansprachen und seinem Tun wie der perfekte weise Nathan, den sich auch Lessing nicht besser hätte ausmalen können. Wauer schafft es hier, auch einen Einblick in das jüdische Leben in Ostdeutschland zu geben, das erst nach der Wende wieder aufzuleben begann. Doch er bleibt eher marginal, denn vor allem zeichnet der Film ein Porträt William Wolffs zu zeichnen.

Auch wenn man sich manchmal wünscht, dass er noch mehr zu Wort kommen würde. Sein Alltag wird zwar sehr detailliert dokumentiert, seine Lebensgeschichte aber, die so voller Anekdoten steckt, bleibt manchmal nur eine Andeutung. Dennoch gelingt es Wauer, diesen Menschen so einzufangen, wie er ist. In einer der letzten Szenen des Films geht Wolff in seiner englischen Heimat über eine butterblumenübersäte Pferdekoppel. Mit zufriedener Mine steht er mitten in der saftigsten Natur und ruft mit der Freude eines Kindes: „Das ist ja wunderbar! Wunderbar!“ Vielleicht ist das der Schlüssel zum Glück: Das Leben jeden Tag aufs Neue mit den neugierigen Augen eines Kindes zu sehen und sich von der Schönheit kleiner Dinge überwältigen lassen. Rabbi Wolff dabei zusehen zu können, ist ebenfalls ganz wunderbar.

Rabbi Wolff

Rabbi Wolff trägt viele Plastiktüten und eilt zum Flugzeug. In den Tüten sind Zeitungen, und während Rabbi Wolff am Flughafen warten muss, legt er seine Füße zu einem Yoga-Schneidersitz übereinander und beginnt mit der Lektüre. Rabbi Wolff ist 87 Jahre alt und wohl der ungewöhnlichste Rabbiner, den es gibt. Als Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern pendelt er zwischen den jüdischen Gemeinden in Rostock, Schwerin und Wismar – aber er lebt in einem Häuschen nördlich von London.
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Meinungen

Camilla Rothe · 17.04.2016

Ein grossartiger Film - voller Weisheit, Warmherzigkeit und Humor!