Original Copy - Verrückt nach Kino

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Kino als gelebte Utopie

Als während der Abendvorstellung einmal der Film reißt, bricht ein Tumult los im Saal. Die Zuschauer grölen, schlagen auf die Rückenlehnen vor sich ein. Die Sitze sind im Boden verankert, damit sie nicht in Richtung Leinwand geschmissen werden können. Es ist ein Aufruhr, der in keinem Verhältnis zu dem Interesse steht, das dem Alfred Talkies sonst entgegengebracht wird, einem alten Kino im Zentrum der Metropole Mumbai. Auf der Straße vor dem staubig verwinkelten Kolonialstilgebäude schlafen nachts Obdachlose, tagsüber nehmen die Passanten kaum Notiz, der große Saal füllt sich selten. Nur ein Bauunternehmer hat Interesse an dem Haus: er will dort, an der Grenze zum ehemaligen Rotlichtviertel, einen luxuriösen Apartmentblock hochziehen.
Das Alfred Talkies ist ein Familienunternehmen: Besitzerin Najma Loynmoon übernahm das Kino von ihrem Großvater, dem Gründer, der sie als Frau dafür eigentlich ungeeignet hielt. Ein Familienunternehmen ist auch Original Copy, ein Vater-Sohn-Projekt, um genau zu sein. Die Dokumentarfilmer Georg Heinzen und Florian Heinzen-Ziob wollten ein Portrait über den letzten Plakatmaler Indiens drehen. Aber man kann nicht Sheikh Rehman portraitieren, ohne gleichzeitig auch über das Kinosterben zu reden. Ohne darüber zu sprechen, wie wenig Anerkennung sein Beruf findet. Dass Filmkopien immer teurer werden und immer kaputter sind. Dass Rehmans Kollegen auch in leitenden Positionen weniger verdienen als kleine Ladenbesitzer. Man kann ihn auch nicht portraitieren, ohne sich darüber zu wundern, dass das Alfred Talkies entgegen aller Widerstände trotzig seinen Posten hält. Dass man dort, um rechtzeitig alle Angestellten zu bezahlen, lieber Geld anderswo leiht als die Kunden zu betrügen. Die Leben und Geschichten innerhalb dieses alten Filmtheaters verbinden sich zu einer Daseinsform, die eigentlich ziemlich nah an eine Utopie heranreichte, nagte nicht Tag für Tag von außen die Realität an ihr.

Ein bisschen schwermütige Romantik schwingt wohl schon per se mit, wenn es ums Kino geht. Aber den Kämpfen, die die Mitarbeiter im Alfred Talkies ausfechten, würde es nicht gerecht, ihren Alltag nur heillos zu romantisieren. Georg Heinzen und Florian Heinzen-Ziob zeigen sie in all ihren Zwängen, lassen sich auch nicht von charismatischen Einzelpositionen vereinnahmen. Sheikh Rehman, meist mit freiem Oberkörper und Zigarette zwischen den Fingern, darf unwirsch auf seinen Boss schimpfen, weil der seinem künstlerischen Genie Grenzen setzt. Ein paar Minuten später erklärt dann eben jener, der Kinomanager Huzefa Bootwala, dass er der miserablen wirtschaftlichen Lage wegen gezwungen sei, dem Publikum zu geben, was es will. Genrefilme voller Action, mit einem siegreichen Helden und einer schönen Heldin, gern auch ein bisschen sentimental, aber in Maßen. Die Plakate müssten das auf den ersten Blick ankündigen. „Wir tun das hier, weil wir es tun müssen.“

Es macht gleichermaßen die Faszination des Alfred Talkies wie auch die des Sheikh Rehman aus, dass sich trotzdem immer ein Weg findet, um die eigene Vision, den eigenen Stil dem rauen Tagesgeschäft unterzumogeln. Anhand eines einzigen alten Posters kann Rehman nicht nur Filmhandlungen herunterbeten, sondern auch komplette Interpretationen darlegen. Die Kamera findet immer wieder den Weg zurück in seine Werkstatt unterm Dach, wo er grelle Farben anrührt, weiße Raster auf die Rückseite alter Werbeplakate pinselt, auf denen später überlebensgroße Heldinnen und Bösewichte prangen, Kampfszenen und Tänzerinnen. Selbst hier im hintersten Winkel dringt noch der Lärm der angrenzenden Kreuzung auf die Tonspur, eine stete Erinnerung an das Leben, das draußen ungerührt weiter tobt. Rehman gibt Ratschläge, viele davon ungefragt, bellt die Auszubildenden an und trauert um die Abwesenheit seiner eigenen Söhne, die ihr Glück lieber in Professionen mit einem gesicherten Einkommen suchen, statt von ihm das Kunsthandwerk der Plakatmalerei zu erlernen.

Die Essenz dieser aus der Zeit gefallenen Sisyphusarbeit steckt in den letzten fünf Minuten von Original Copy. Das Plakat, dessen schrittweiser Entstehung wir anderthalb Stunden lang beigewohnt haben, wird nur sieben Tage nach seiner Fertigstellung wieder vom prominenten Platz über dem Eingang abgenommen. Programmwechsel. Eine dünne Farbschicht in blassem Ocker bedeckt bald die Helden des letzten Films, es folgt das nächste Raster, die nächsten überlebensgroßen Gesichter. Die Kunst des Sheikh Rehman ist kurzlebig wie das Geschäft mit dem Kino, flüchtig wie das projizierte Filmbild.

Original Copy - Verrückt nach Kino

Als während der Abendvorstellung einmal der Film reißt, bricht ein Tumult los im Saal. Die Zuschauer grölen, schlagen auf die Rückenlehnen vor sich ein. Die Sitze sind im Boden verankert, damit sie nicht in Richtung Leinwand geschmissen werden können. Es ist ein Aufruhr, der in keinem Verhältnis zu dem Interesse steht, das dem „Alfred Talkies“ sonst entgegengebracht wird, einem alten Kino im Zentrum der Metropole Mumbai.
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