On the Milky Road (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwischen den Fronten

Was war Emir Kusturica doch sauer, als das Filmfestival in Cannes es 2016 wagte, ihn mit seinem neuen Film nicht in den Wettbewerb an der Croisette einzuladen. Ganz sicher, so gab er kund, sei an diesem Versäumnis seine Freundschaft mit Vladimir Putin schuld. Und so hatte das Festival schon seinen ersten Skandal, obwohl es noch gar nicht begonnen hatte. Ein Glück für das Filmfestival in Venedig, dass es die Chance nutzte und den Regisseur in den Wettbewerb einlud. Denn dessen neuer Film knüpft tatsächlich an die früheren Werke Kusturicas an, der seit knapp zehn Jahren nicht mehr auf der Leinwand präsent war. Etwas mehr als zwei Stunden lang wird hier gelacht, getanzt, geliebt, musiziert und jede weitere Zuckung des menschlichen Daseins ausgekostet, so dass die trotz der dunklen Thematik stets spürbare Lebensfreude, die der Film ausstrahlt, einfach ansteckend wirkt.

Dabei ist der Hintergrund der Geschichte eigentlich denkbar düster: Kostja (gespielt vom Regisseur selbst) ist ein Milchmann, der traumatisiert vom Tod seines Vaters jeden Tag aufs Neue die Frontlinien der beiden Bürgerkriegsparteien durchbricht, um seine Milch an den Mann zu bringen. Dann soll er unter die Haube, doch statt in seine zukünftige Ehefrau verguckt er sich ausgerechnet in jene Frau (Monica Bellucci), die den Bruder seiner Auserwählten heiraten soll. Hinter der ist außerdem noch ein britischer KFOR-General her, der der Schönen so sehr verfallen war, dass er für sie seine Frau umbrachte und dafür in den Knast kam. Das Blöde dabei: Nach drei Jahren ist der ranghohe Militär wieder raus aus dem Gefängnis und schickt nun nach dem Waffenstillstand eine Spezialeinheit los, um die Angebetete wieder zu ihm zu bringen – und zwar tot oder lebendig. Also flieht das Liebespaar vor den Häschern und kann dabei auf die tatkräftige Mithilfe einiger Tiere wie einer Schlange, einem Falken und einer Schafsherde zählen.

Und natürlich gibt es in dieser staunenswerten Fabel über die Liebe noch viel mehr zu sehen und zu entdecken: Beispielsweise eine irrlichternde Uhr, die Menschen beißt, die akrobatischen Einlagen einer Ex-Kunstturnerin, Menschen, die fliegen, rauschende Feste im Balkan-Beat sowie eine lupenreine Westernkulisse mit exzentrischen Bauten (wir erinnern uns, dass der Balkan ja schon einmal die Kulisse für eine filmische Erzählung aus den USA bot, über einen gewissen und überaus edlen Apachenhäuptling namens Winnetou). All dies verrührt Kusturica mit leichter Hand zu einem brodelnden Gebilde, das irgendwo zwischen magischem Realismus, Splatterelementen und greller Farce, Liebesgeschichte und Western/Eastern, Märchen und Kommentar zur Geschichte einzuordnen ist und das manchmal fast wirkt, als hätten Marc Chagall und Álex de la Iglesia einen Film zusammen gedreht und dabei verdammt viel Spaß gehabt.

In Venedig, so hörte man, habe es danach heftige Diskussionen über die politische Agenda Kusturicas gegeben, die angeblich aus dem Film herauszulesen sei und die an die einstige großserbische Haltung anknüpfe, die der Regisseur früher gerne mal kundtat. Mir scheint solch eine Interpretation reichlich überzogen. Vielmehr meldet sich Emir Kusturica nach langen Jahren der Abwesenheit mit einem herrlich bunten Film zurück, in dem er seine Fabulierkunst vergangener Zeiten einer gelungenen Frischzellenkur unterzieht. Und bei all den Spekulationen über die Motivation: Vielleicht wollte er auch nur im Sinne François Truffauts schöne Frauen schöne Dinge machen lassen.

On the Milky Road (2016)

In drei Teilen erzählt Emir Kusturica die wichtigen Perioden eines Mannes und seines Landes. Die Zeit des Krieges, die Zeit des Verliebens und die Zeit als Mönch, in der er auf sein Leben zurückblickt.

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Meinungen

Michael Fürst · 01.10.2017

Der erste Teil des Films ist wirklich originell und wundervoll. Dann wird es für meinen Geschmack aber unangenehm und unnötig gewalttätig und eklig blutrünstig. Schade.

Christoph Schneidt · 20.09.2017

Auf Grund von "SchwarzerKater-WeißeKatze", den ich sehr originell und witzig fand, habe ich mir gestern "On the milky road" angesehen. Ich bin nach der Schießerei bei dem "Fest" vor dem ständigen "Rumgeballere" und aberwitzig martialischen Geschehen aus dem Film geflohen.Von wegen "Etwas mehr als zwei Stunden lang wird hier gelacht ,getanzt,geliebt, musiziert und jede weitere Zuckung des menschlichen Daseins ausgekostet "wie es in einer Kritik und im Prospekt zum Film heißt.
Ich hatte was anderes erwartet.