Nocturnal Animals (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Von Opfern und Tätern, Jägern und Gejagten

Die Tiere der Nacht, die Tom Ford (A Single Man) in seinem zweiten Film beobachtet, sind menschlicher Art. In der Dunkelheit laufen sie umher. Die einen, weil sie es lieben, anderen aufzulauern und sie zu jagen. Die anderen, weil sie die unglücklichen Geschöpfe sind, die das Schicksal in der tiefen Nacht zur falschen Zeit an den falschen Ort gebracht hat. Opfer und Täter, Jäger und Gejagte.

Susan Morrow (Amy Adams) ist eine anerkannte Künstlerin, die in L.A. zusammen mit ihrem Business-Ehemann Hutton (Armie Hammer) lebt. Und sie ist todunglücklich. Ihre Kunst ist ihr egal, das große Haus isoliert sie eher von der eigentlichen Welt, der Reichtum nutzt ihr nichts und ihr Ehemann ist emotional und physisch konstant abwesend. „Genieß doch lieber die Absurdität und dieses Leben. Denn unser Leben ist unverschämt einfach im Gegensatz zu dem der anderen Menschen, die in der echten Welt leben“, rät ihr ein Freund. Aber Susan mag das nicht so recht gelingen. Immer wieder muss sie an ihre Jugend denken, als sie in Texas lebte und mit Edward (Jake Gyllenhaal), einem jungen, sensiblen Schriftsteller verheiratet war. Wie sehr sie ihn liebte, diesen romantischen, stillen Mann, und wie sehr sie ihm damals wehgetan hatte. Und plötzlich taucht Edward wieder in ihrem Leben auf. In Form eines blauen Buches. Es ist ein Manuskript, das er ihr gewidmet hat. Nocturnal Animals heißt es, in Anlehnung an den Namen, den er ihr gab, weil sie nachts nie schlafen konnte. Susan beginnt zu lesen.

Und der Film schwenkt um in die Geschichte innerhalb der Geschichte: Tony (Jake Gyllenhaal) fährt mit Frau (Isla Fisher) und Kind durch die Nacht. Sie sind in Texas, irgendwo auf dem Land, wo es nicht einmal Telefonempfang gibt. Dort treffen sie auf ein Auto mit drei jungen Männern, die sofort aggressiv werden und die Familie von der Straße drängen. Tony versucht, seine Familie zu schützen, kann aber nicht verhindern, dass Frau und Tochter entführt werden. Er selbst entkommt nur knapp und holt die Polizei. Tage später finden er und Lieutenant Andes (Michael Shannon) die nackten, geschändeten Leichen …

Susan ist stark berührt von Edwards Buch, das Rückblenden zu ihrem Leben mit ihm auslöst, in denen ihre Geschichte näher beleuchtet wird. Eine Geschichte, die mehr Ähnlichkeiten zu Edwards Buch aufweist, als ihr lieb ist.

Was Tom Ford hier mit seinem zweiten Film geschaffen hat, ist unglaublich. Nicht nur vermag er drei Geschichten inhaltlich perfekt zu einer zu verweben, ohne jemals zu überfordern, oberflächlich zu werden oder den Faden zu verlieren, sondern der Modedesigner und Filmemacher fügt den Stoff auch und vor allem emotional perfekt zusammen. Die Geschichten bedingen und befruchten einander. Sie sind mehr als die Summe ihrer Teile und erst in ihrer Gesamtheit zeichnen sie ein Bild von unglaublicher emotionaler Tiefe. Nocturnal Animals ist gleichsam eine Art Meta-Thriller und ein Drama, das sich im Kern mit Liebe und Loyalität befasst, die immer weniger wert zu sein scheinen in einer Welt, in der scheinbar fast alles ersetz- und verbesserbar geworden ist. Hier gibt es Edwards Idealismus, den Susan für Materialismus und Sicherheit aufgegeben und regelrecht zerstört hat, indem sie ihn verlassen und zuvor durch ihre kritische Einstellung schon immer gezeigt hat, dass sie kein Vertrauen in seine Fertigkeiten als Schriftsteller hat. Das Buch, das er ihr 19 Jahre später schickt und das sie so sehr berührt, ist seine, wie sich später herausstellt durchaus perfide, Rache.

Was Ford hier macht, ist nicht unähnlich seines vorigen Filmes. Sowohl Susans Story als auch Edwards Buch sind klassische Geschichten, die das Kino schon oft erzählt hat. Die eine kommt aus dem Melodram der 1950er Jahre – die einsame Frau am Rande des Zusammenbruchs –, die andere aus einem Noir-Thriller ebenfalls der 1940er/50er Jahre – der ehrliche Mann, der alles verliert und Rache sucht. Ford nimmt diese Genres und ästhetisiert sie bis zum Äußersten. Hier stimmt alles, von der Ausstattung über die Farbe bis hin zur perfekten Kameraführung und dem Schnitt. Und er nimmt diese Geschichten ernst und gibt ihnen alles an Schönheit und Perfektion. Das klappt hervorragend: Während solch massive Stilisierung oftmals zu Kälte und Oberflächlichkeit führt, ist sie hier das Vehikel, das dem Stoff noch mehr Glaubhaftigkeit und Tiefe verleiht.

All das macht Nocturnal Animals zu einem herausragenden und zutiefst befriedigenden Filmerlebnis, bei dem man mit jedem Atom und in jeder Sekunde spürt, wie machtvoll und allumfassend das Medium Film als Kunstform und als Geschichtenvermittler doch sein kann. Mehr kann man sich von einem Film gar nicht wünschen.
 

Nocturnal Animals (2016)

Die Tiere der Nacht, die Tom Ford („A Single Man“) in seinem zweiten Film beobachtet, sind menschlicher Art. In der Dunkelheit laufen sie umher. Die einen, weil sie es lieben, anderen aufzulauern und sie zu jagen. Die anderen, weil sie die unglücklichen Geschöpfe sind, die das Schicksal in der tiefen Nacht zur falschen Zeit an den falschen Ort gebracht hat. Opfer und Täter, Jäger und Gejagte.

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Meinungen

Martin Zopick · 05.11.2019

Der zweite Film von Tom Ford und der ist gar nicht mal so schlecht. Über weite Strecken spannend. Nur über das Ende kann man sich genüsslich streiten über Gesehenes oder Angedeutetes. Es gibt viele symbolträchtige Querverbindungen zwischen den zwei Handlungsebenen, auf denen die Geschichte erzählt wird. Außerdem noch Mutter – Tochter Probleme sowie nette Klischees.
Wohlhabende Galeristin Susan (Amy Adams) hat alles und ist doch unglücklich. Ihr Ehemann, ein Beau, betrügt sie. Ihr Ex Tony (Jake Gyllenhaal) schickt ihr das Manuskript seines ersten Romans, der den Titel des Films trägt. Susan liest ihn und wir erleben die Szenen voller Gewalt: Tony und seine Familie werden von drei gewaltbereiten Jungs angegriffen, Frau und Tochter vergewaltigt und erschlagen. Diese Schiene ist durchaus beängstigend, die ausbrechende Brutalität überzeugt. Es sind Ray, Lou und Turk. Man kann sie nachtaktive ‘Tiere‘ nennen. Mit Hilfe von Detektive Bobby Andes (Michael Shannon) werden diese Tiere ausfindig gemacht und illegal zur Strecke gebracht. Tony schwankt zwischen Rache und Bestrafung, dem totkranken Andes ist der Verlust seiner Lizenz egal. Soweit, so gut, so spannend! Doch die Finalrunde bleibt irgendwie offen. Man sieht nicht alles so genau. Man ahnt, dass Tony erblindet (?), aber kommt er um oder nicht? Eine Mail von ihm vereinbart ein Wiedersehen mit Susan. Kommt er oder kommt er nicht? Auf alle Fälle kein zuckersüßes Happy End: Susan wartet, vergießt ein paar Tränchen, grübelt…Hat vielleicht sogar Erkenntnisse: war ihr Mann Hutton (Armie Hammer) doch ein Arschloch? Die Zuschauer dürfen diskutieren. Spannende Unterhaltung mit klasse Schauspielern und einem diskussionsfördernden Schluss.

Heide Limpert · 13.10.2019

“Nocturnal Animals“ – ja, es ist ein Tom Ford Film: Getragen durch eine Bild-Ästhetik, die schmerzt. Schönheit und Hässlichkeit stehen so dicht und leidvoll beieinander, wer versteckt sich hier hinter wem? Wer diesen Film schauen möchte, unbedingt. Der Film zwingt zu einem veränderten Sehverhalten. Verwirrend, dass sich die 3 Erzählebenen nicht mit einander verschmelzen wollen – jede agiert für sich. Die beiden Protagonisten (Adams und Gyllenhaal) wirken wie "Stilelement" in einem Fotojournal. Es hat nicht gestört. Beabsichtigt? Man weiß es nicht.
Tom Ford und das Genre "Film": Ein Treffer, der irritiert, der Stilisierung und Ästhetik wie eine wohlschmeckende "Sauce" über den Film schwappt. Schön.

Sascha · 05.01.2017

Zu den u.g. Kommentaren:
meiner Meinung nach lässt der Film mehrere Interpretationen zu! ;-)
Aber das macht die Sache ja spannend und diskutabel und zu einem Film, den man definitiv nicht so schnell vergißt!
Mir hat es jedenfalls Lust gemacht, mir demnächst die literarische Vorlage zuzulegen.
Die Anfangssequenz ist schon, sagen wir mal, irritierend aber der Film an sich m.E. klasse und lohnenswert! Vorausgesetzt, man mag David Lynch Filme. Wer die nicht mag, soll sich das Kinogeld besser für einen anderen Streifen sparen.

MrWest · 30.12.2016

Also ich hab den Film verstanden und fand ihn grandios. Das Buch überträgt sich auf die Figuren und auf die Vergangenheitsszenen. Ja, er hat Zeitsprünge und wechselt zwischen Fiktion und Realität, aber ein Unterschied ist erkennbar.
Ebenfalls ist der Zusammenhang auch ersichtlich und lässt den Film im Großen & Ganzen sehr toll wirken.

Kim · 27.12.2016

Ich fande den Film viel zu langweilig und an den meisten Stellen viel zu ausführlich und Detailliert. Außerdem hat mich der Film mehr verstört als es einer bisher getan hat.
Es war nicht einmal so, dass man sich gegruselt hat, sondern ich war einfach nur verstört und verwirrt. Alles war durcheinander und man hat den Sinn des ganzen Films nicht wirklich verstanden. Ich kann ihn leider nicht empfehlen.

Daniel · 25.12.2016

Komme gerade aus dem Film ... Kann obenstehende gute Kritik leider nicht teilen. Ich finde den Plot letztlich nur verstörend. Die Ästhetisiserung von Gewalt, insb. sexueller Gewalt, finde ich abstoßend. Ich kann leider auch nicht erkennen, inwieweit die drei erzählten Geschichten miteinander verwoben sind. Wenn, dann an der Oberfläche. Mehr nicht. Überhaupt ist die Geschichte für sich genommen schlichtweg platt. Gewinnbringend mögen die besonderen Filmeinstellungen sein. Solche gibt es aber in anderen Filmen - da fehlen dann allerdings nackte Vergewaltigungstote (Mutter und Tochter), die man auf ein rotes Sofa drappiert hat. Wer das ansprechend findet, okay, der sollte sich den Film anschauen.