Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Der letzte Weg

Was Autor und Regisseur Uberto Pasolini mit diesem Film bietet, ist – und da ist der Originaltitel weit passender – ein Stillleben. Es sind die tristen Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen, die ruhigen, unbewegten Momente im Leben des Mr. May, die tagtägliche Routine eines leeren Lebens, die den Film so schwermütig werden lässt.
Mr. May (Eddie Marsan) ist für die Stadt tätig. Er kümmert sich um die Verstorbenen, die keine Angehörigen mehr haben. Oder anders gesagt: Er sucht nach Angehörigen, auch wenn es schlecht aussieht, noch welche zu finden. Zugleich bereitet er alles für die Beerdigungen vor – und nur zu oft ist er der Einzige, der dem Verstorbenen das letzte Geleit gibt. Wegen Einsparungen hat Mr. May nun erfahren, dass er gekündigt wird, aber einen letzten Fall muss er noch bearbeiten. Er sucht nach Angehörigen und Freunden von Billy Stoke, ein Mann, den er nie getroffen hat, und der ihm doch näher ist als alle Lebenden.

Ein lebensbejahender Film ist Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit nicht. Das kann er vielleicht auch nicht sein, mit einem Protagonisten, der losgelöst vom Leben ist und dem nur die Toten geblieben sind. Eddie Marsan porträtiert einen Menschen, der seine Arbeit gewissenhaft und gründlich macht, der darüber hinaus aber auch nichts hat. Es ist eine freudlose Existenz, ein Leben ohne Familie, ohne Freunde, ohne Hobbys, ohne irgendeinen Funken Hoffnung. Mehr als einmal hat man das Gefühl, dass Mr. May sich den Toten nicht nur näher fühlt, er möchte sich ihnen auch anschließen. In einer besonders eindrucksvollen Szene lässt Pasolini sogar glauben, am Ende seines Weges würde die Figur sich aufhängen. Aber dann findet er doch einen anderen, nicht minder traurigen Schlusspunkt.

Pasolini befasst sich mit einem Thema, vor dem die Menschen am liebsten die Augen verschließen. Sterben muss jeder, sich damit auseinandersetzen will jedoch kaum jemand. Wer möchte schon an all die Menschen denken, die alleine sterben und ihren letzten Weg auch ebenso alleine antreten? Nur Menschen wie Mr. May denken an diese Verblichenen. Sie versuchen, ein Leben zu konstruieren, Menschen zu finden, die dem Verstorbenen etwas bedeutet haben, und denen der Tote etwas bedeutet. Aber wenn jemand alleine und verlassen stirbt, dann hat das meistens einen Grund.

Auf seiner letzten Reise, seiner letzten Mission, wenn man so will, kommt Mr. May einem Mann nahe, der nach allem, was man hört, nicht gerade der freundlichste Geselle auf Gottes weitem Acker gewesen ist, aber ihm fühlt er sich verbunden. Es ist vielleicht auch der Abschied von seinem Beruf, der ihn dazu bringt, über die Pflichterfüllung hinaus noch aktiv zu werden, um nur einmal zu obsiegen. Über den Tod, über das Vergessen, über die leeren Trauermessen. Und das gelingt ihm auch, aber Pasolini kontrastiert Mr. Mays Erfolg mit seinem persönlichen Versagen. Es ist ein bitterer Moment, der Endpunkt eines ereignislosen, leeren Lebens, an das sich niemand erinnern wird.

Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit

Was Autor und Regisseur Uberto Pasolini mit diesem Film bietet, ist – und da ist der Originaltitel weit passender – ein Stillleben. Es sind die tristen Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen, die ruhigen, unbewegten Momente im Leben des Mr. May, die tagtägliche Routine eines leeren Lebens, die den Film so schwermütig werden lässt.
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Meinungen

Martin · 06.12.2023

Für mich, der ich an schwersten Depressionen leide und mit meiner extremen Sensibilität tagtäglich zu kämpfen habe, ist dieser Film eine Art Hilfe. Er hilft mir, die Schleusen zu öffnen und hemmungslos zu weinen. Ich entdecke so viele Parallelen zu meinem "Leben", fühle mich Mr. May nah und irgendwie verbunden. Dieser Film lässt mich hoffen, dass am Ende doch jemand da sein wird.

Chris · 13.11.2014

Ein traurig schöner Film, der nicht mit einem Einheitsbrei-Ende aufwartet und sehenswert ist! Ein agierender Eddie Marsan welcher es schafft, auch mit kleinen Gesten und eher zaghaft eingesetzter Mimik und Gestik, zu überzeugen...

Andrula · 18.09.2014

Dieser kleine, leise Film hat mich unglaublich berührt und mit Tränen und einem Lächeln zurückgelassen. So traurig und doch so voller kleiner zutiefst berührender Momente über das Leben an sich. Wunderschön auch die Musik. Danke für diesen Film, der einen das Leben lehrt.