Molière auf dem Fahrrad

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Wechselfälle und Rollenspiele des Lebens

Wenn ein Theaterstück, ein Buch oder ein Gemälde in einem Spielfilm oder Filme im Film auftauchen, dann findet meist ein Kommentar der einen Handlung auf die andere statt: eine Spiegelung, ein Zerrbild, eine Umkehrung. Das hat man auch im Kopf, wenn man sich Molière auf dem Fahrrad von Philippe Le Guay anschaut. Allerdings ist fraglich, wie viele deutsche Zuschauer tatsächlich mit der filminternen Inszenierung von Molières Der Menschenfeind anfangen können — aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig.
Molière ist Frankreichs wichtigster Dramatiker und der Le Misanthrope ou l’Atrabilaire amoureux (1667) eins seiner wichtigsten Stücke. Wohl auch deshalb hat es Gauthier Valence (Lambert Wilson), ein populärer Fernsehserienstar, immer gereizt, den Menschenfeind Alceste zu mimen, wenn nicht gar selbst auf der Bühne zu inszenieren. Den Vertrag mit dem Theater hat er schon in der Tasche, doch fehlt ihm noch der passende Darsteller für die Rolle des Philinte, für die er den Schauspielerkollegen und langjährigen Freund Serge Tanneur (Fabrice Luchini) gewinnen möchte. Gauthier sucht Serge in dessen Landhaus auf der Île de Ré am Atlantik auf, in das er sich nach dem selbstverkündeten Ruhestand zurückgezogen hat.

Doch Serge will sich nur schwer dazu bewegen lassen, in die Welt der Schauspielerei zurückzukehren. Er hat die Nase voll von Beruf, Milieu und den Kollegen, denen er Narzissmus und Lügerei nachsagt — ähnlich wie Alceste im Menschenfeind, der ein ebenfalls ja bekanntlich negatives Menschenbild hegt. Schnell ist man versucht, Parallelen zwischen Stück und Film zu ziehen, auch wenn das nicht immer ganz gelingen mag.

Viel besser lässt sich der Film genießen, wenn man sich auf die Freundschaftsgeschichte zwischen Serge und Gauthier einlässt, da ist der Film am überzeugendsten. Gauthier überredet Serge, beim Proben die Rollen immer wieder zu wechseln: Mal ist Serge Alceste, mal spielt Gauthier den Menschenfeind. Und auch das ist äußerst spannend: Der Figurenwechsel im Stück im Film, die Interpretationen der Schauspieler, die Diskussionen um das Wie des Spiels. Letztendlich überzeugt der Film aber durch seine ihm eigenen Figuren: die Figur des Gauthier, die durch geschicktes Handeln eigentlich immer bekommt, was sie erreichen will, und Serge, der mit der Schauspielerei noch nicht ganz abgeschlossen hat und in der Phase der erneuten Identitätsfindung steckt, in die ein Mensch gerät, wenn sich seine Lebenssituation ändert.

Molière auf dem Fahrrad ist ein anspruchsvoller Film, gerade auch dann, wenn er in die Sprache des Theaters aus dem 17. Jahrhundert wechselt, und die Szenen, in denen die Figuren das Stück proben, sind lang — aber eben auch reizvoll, wenn man sich für das Theater generell interessiert. Und es ist ein guter Film, vielleicht auch deshalb, weil einem die Figuren — mit all ihren Widersprüchen und Marotten — irgendwie doch ans Herz wachsen.

Molière auf dem Fahrrad

Wenn ein Theaterstück, ein Buch oder ein Gemälde in einem Spielfilm oder Filme im Film auftauchen, dann findet meist ein Kommentar der einen Handlung auf die andere statt: eine Spiegelung, ein Zerrbild, eine Umkehrung. Das hat man auch im Kopf, wenn man sich „Molière auf dem Fahrrad“ von Philippe Le Guay anschaut. Allerdings ist fraglich, wie viele deutsche Zuschauer tatsächlich mit der filminternen Inszenierung von Molières „Der Menschenfeind“ anfangen können — aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig.
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Meinungen

Martin Zopick · 30.01.2021

Ein abgedrehter Titel für einen abgedrehten Film und eine überschaubare Zielgruppe. Der große Molière hat von Haus aus mit dem Fahrrad so viel zu tun wie Taube mit Schwerhörigkeit.
Zwei Freunde Serge (Fabrice Luchini, auch Drehbuch) und Gautier (Lambert Wilson) kennen sich von früher, haben sich aus den Augen verloren, treffen sich auf der Ile de Ré und versuchen durch Leseproben Molières Menschfeind bühnenreif zu machen. Gautier muss Serge immer wieder überreden. Die Proben sind der rote Faden des Films, ebenso wie die häufigen Fahrradtouren. (Originaltitel!) Dabei fließen die Dialoge von der latenten Animosität der beiden in der momentanen Situation in den Text von Molière über. Gautier ist ein erfolgreicher TV Star, den jeder kennt. Er prügelt sich mit dem Taxifahrer (Stéphan Wojtowicz) auf dem Marktplatz, weil der ihm Hilfe zugesagt hatte, die Freunde verlieben sich in die Maklerin Francesca (Maya Sansa) und geben dem Nachwuchssternchen Zoé (Laurie Bordesoules) Tipps für eine Filmkarriere als Pornostar. Der Kick ist, dass beide abwechselnd Alcestes Rolle übernehmen (Originaltitel). Als die Verträge unter Dach und Fach sind, kommt es auf einer Party zum Streit zwischen Serge und Gautier und damit zum endgültigen Bruch der beiden, weil Serge darauf besteht den Alceste immer zu spielen und das Wechselspiel zu beenden.
Als Finale spielt Gautier auf der Bühne den Menschfeind und hat einen Hänger, während Serge am Strand sitzt und Molière zitiert ‘Es sind die Menschen, die die wahren Wölfe sind.‘ Nette Idee, amüsant gemacht für Literaturliebhaber. Der Versuch durch das Drumherum ‘Butter bei die Fische zu bekommen‘ ist aber nur suboptimal gelungen.