Mit ganzer Kraft (2013)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Gemeinsam stark

Nils Taverniers Mit ganzer Kraft handelt von der Willensstärke eines vermeintlich Schwachen – vom Überwinden des angeblich Unüberwindbaren. Das Werk kann daher als „message movie“ bezeichnet werden: als Film, der sein Publikum unterhalten möchte, dabei aber zugleich eine wichtige Botschaft transportieren will. In vielen Fällen führt eine solche Ambition zu einem allzu „gut gemeinten“ Ergebnis, in welchem recht erfolglos versucht wird, mit einer plakativen Inszenierung und pathetischen Dialogen das Mitgefühl des Zuschauers zu wecken. Doch Tavernier setzt erfreulicherweise nicht auf billige Sentiments: Keinerlei Pathos wabert hier durch die Sätze des Drehbuchs, das der Filmemacher gemeinsam mit Laurent Bertoni und Pierre Leyssieux geschrieben hat – und keine Darstellungsklischees haben in der Umsetzung des Stoffes Anwendung gefunden. Anrührend, aber nicht rührselig wird so von einer Familie und ihren Herausforderungen erzählt – und davon, dass weit mehr möglich ist, als man gemeinhin zu glauben wagt.

Die Familie Amblard lebt in den französischen Alpen. Der Sohn Julien (Fabien Héraud) ist 17 Jahre alt und sitzt aufgrund einer angeborenen Lähmung im Rollstuhl. Während sich seine Mutter Claire (Alexandra Lamy) um ihn kümmert und obendrein als Friseurin tätig ist, entzieht sich Juliens Vater Paul (Jacques Gamblin) meist dem familiären Leben und der Verantwortung für sein Kind, indem er Arbeitsaufträge außerhalb des Heimatortes annimmt. Doch auch als Paul seinen Job verliert, bleibt er auf Distanz zu Julien. Dieser fasst daraufhin einen Entschluss: Er will mit seinem Vater (der einst als Hobby-Leichtathlet aktiv war) als Team beim „Ironman“-Triathlon mitmachen, welcher in knapp neun Monaten in Nizza stattfinden wird. Paul und Claire halten diese Idee zunächst für völlig abwegig – Julien ist allerdings nicht bereit, seinen Plan aufzugeben.

Tavernier wurde für seine Story von der wahren Geschichte eines US-Amerikaners inspiriert, der zusammen mit seinem behinderten Sohn an sportlichen Wettkämpfen teilgenommen hat. Mit ganzer Kraft ist sowohl ein Sport- als auch ein Familienfilm. Als ersterer ist er in dramaturgischer Hinsicht weitgehend konventionell – nach einer sorgfältigen Exposition beginnt das Training, in welchem sich Paul und Julien aufeinander einlassen müssen, ehe es nach der Bekämpfung von inneren und äußeren Widerständen den 16-Stunden-Triathlon in den Disziplinen Schwimmen, Fahrradfahren und Laufen zu meistern gilt. Die Bilder, die in diesen Sportfilm-Passagen entstehen, sind indes schlicht atemberaubend: Von den ersten Bergpass-Fahrten des Duos (mit einem Spezial-Fahrrad) über den aus der Vogelperspektive aufgenommenen „Ironman“-Start von etwa 2700 Athleten, die sich in die Wellen stürzen (wobei Paul Julien in einem Schlauchboot hinter sich herzieht) bis hin zum finalen Marathonlauf, bei welchem Julien von Paul geschoben wird – stets haben Tavernier und Kameramann Laurent Machuel faszinierende kinematografische Wege aufgetan, um das Geschehen einzufangen.

Als Familiendrama weiß Mit ganzer Kraft wiederum durch präzise Figurenzeichnung und engagierte Interpreten zu überzeugen. Fabien Héraud ist eine echte Entdeckung, weil er die Entschlossenheit und Beharrlichkeit Juliens optimal vermittelt – während Jacques Gamblin die Erziehung des Herzens, die der anfangs abweisende Paul durchlebt, glaubwürdig darzustellen vermag. Wiewohl sich der Fokus auf Vater und Sohn richtet, hinterlassen auch die Szenen mit Alexandra Lamy als Claire einen starken Eindruck – da die (über-)fürsorgliche Mutter nach 17 Jahren das Loslassen lernen muss. Ferner wird der engen Bande zwischen Julien und seiner älteren Schwester Sophie (Sophie de Fürst) und dem ausgelassenen Verhältnis zwischen dem jugendlichen Rollstuhlfahrer und seinem besten Freund Yohan (Pablo Pauly) Raum gegeben. Taverniers Werk ist ein beachtlicher, schöner, von Optimismus durchwirkter Film, der zeigt, was sich mit gemeinsamen Kräften erreichen lässt.
 

Mit ganzer Kraft (2013)

Nils Taverniers „Mit ganzer Kraft“ handelt von der Willensstärke eines vermeintlich Schwachen – vom Überwinden des angeblich Unüberwindbaren. Das Werk kann daher als „message movie“ bezeichnet werden: als Film, der sein Publikum unterhalten möchte, dabei aber zugleich eine wichtige Botschaft transportieren will.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen