Loving (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Macht der Liebe

Nachdem Jeff Nichols mit Midnight Special bei der Berlinale 2016 einen Mainstream-Science-Fiction-Film abgeliefert hat, kehrte er nur drei Monate später in Cannes mit Loving zu seinen Wurzeln zurück und erzählt abermals eine Geschichte zweier „einfacher Leute“ wie er es bereits in Shotgun Stories, Mud und Take Shelter getan hat. Der Regisseur kommt selbst aus einfachen ländlichen Verhältnissen, und man merkt seinen Filmen an, dass hier wirklich sein Herz schlägt. Loving ist genau, was der Titel des Filmes verspricht – liebevoll. Und zugleich stark, passioniert und ungeheuer relevant.

Loving verweist auf den Nachnamen der Eheleute Mildred (Ruth Negga) und Richard Loving (Joel Edgerton), die in Virginia in den 1950er Jahren heiraten. Ihr Plan: Sie wollen ein paar Kinder in die Welt setzen, eine kleine Farm aufbauen und friedlich bis an ihr Lebensende zusammenleben. Aber der Staat Virginia hat andere Pläne. Kurz nach der Hochzeit stürmt die Polizei nachts in Haus und verhaftet sie. Der Grund: Gemischtrassige Ehen sind in Virginia verboten. Und Richard ist weiß, Mildred afroamerikanischer und indianischer Abstammung, geheiratet haben sie im Nachbarstaat. Auf dieses Verbrechen stehen ein bis fünf Jahre Gefängnis für beide. Doch Mildred ist hochschwanger, daher sind sie gezwungen, sich auf einen Deal einzulassen. Sie müssen keine Gefängnisstrafe absitzen, dürfen aber nicht weiter als Paar in Virginia bleiben, wo beide geboren und aufgewachsen sind, sondern werden des Staates für 25 Jahre verwiesen. Schweren Herzens verlassen sie ihre Familien, ihre Wurzeln und auch das Land, das Richard gekauft hat, und ziehen nach Washington in die Stadt. Dort verbringen sie fünf Jahre und bekommen zwei weitere Kinder. Doch vor allem Mildred fühlt sich entwurzelt und leidet. In ihrer Verzweiflung schreibt sie Robert Kennedy, dem damaligen Justizminister der Vereinigten Staaten, einen Brief und schildert den Fall. Dieser verweist ihn an Anwälte der Bürgerrechtsbewegung, die daraus einen Präzedenzfall machen, der die gesamte Gesetzeslage für immer kippen soll. Unterdessen ziehen die Lovings heimlich zurück nach Virginia, weil sie die Entwurzelung nicht mehr ertragen.

Wieder widmet sich ein Film der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und deren Geschichte beziehungsweise Einzelfällen, die letztendlich dazu beigetragen haben, ein ganzes System von staatlicher Unterdrückung und Rassismus zu kippen. Die Zeiten für solche Filme könnten kaum besser sein, da Nationalismus und Rassismus wieder auf dem Vormarsch (nicht nur) in den USA sind und sich gleichzeitig mit Black Lives Matter eine neue Bürgerbewegung gebildet hat. Nun neigen solchen Filmen oft dazu, dass sie eher pathetisch oder in großen Gesten und großen Geschichten die historischen Momente aufarbeiten. Doch Nichols geht einen viel cleveren und integrativen Weg. Er bricht das lange Leiden der Lovings und den langen Weg bis zum Supreme Court auf den Kern herunter, der universell verständlich und überhaupt das Wichtigste ist: das Recht zu lieben und zu heiraten, wen man möchte. Und auch bei ihm gilt: Inmitten der Befreiungskämpfe der LGBT-Bewegung in den USA und vielen anderen Ländern könnte diese Botschaft relevanter nicht sein.

Beständig bleibt Nichols bei dem Ehepaar. Er begleitet und porträtiert sie mit dem größten Respekt und der größten Individualität, er macht sie niemals zu einem Fall oder einem Beispiel für das größere Ganze. Richard ist ein stiller und einfacher, aber guter Mann. Er baut Häuser, repariert Autos und liebt Mildred. Sie ist wiederum eine feinfühlige und sanfte Frau, die mit ihrer inneren Stärke die gesamte Familie aufrechterhält. Zusammen sind die beiden keine außergewöhnlichen Helden. Sie suchen nicht das Rampenlicht. Sogar das Angebot, bei der Anhörung des Supreme Courts dabei zu sein, schlagen sie aus. Sie sind einfach nur Mildred und Richard, die in aller Bescheidenheit mit Würde zusammen sein wollen und dafür einen langen Kampf auf sich nehmen. Nichols beschreibt nicht den Kampf der Anwälte. Bis auf drei ganz kurze Szenen werden die Streitigkeiten vor Gericht ausgeschlossen. Loving bleibt unterdessen im Alltag des Ehepaares und zeigt, wie es durch die Jahre stetig von der Angst und dem Verlust geprägt wird, die man ihm angetan hat.

Wenn man die Umstände betrachtet, ist ihre Liebe ein politischer Akt. Doch dieser drückt sich im Kleinen aus. Er findet sich in den Momenten, in denen Richard wie ein Wilder als Maurer schuftet, um seine Familie zu versorgen, und dabei ständig über seine Schulter schauen muss, aus Angst, die Polizei taucht wieder auf. Er ist in Mildreds Blick, wenn sie Sirenen hört, und in ihrer Traurigkeit, wenn sie in der Stadt nur Pflastersteine und keine Pflanzen sieht. Er ist in der Umarmung, die sich die beiden geben, und in den Händen, die sie einander halten, wenn sie gedemütigt werden. Und genau das ist die Stärke von Nichols Werk. Es ist ein einfacher, zurückhaltender und leiser Film, der gleichsam zutiefst humanistisch, stets unaufgeregt und respektvoll gegenüber seinen Figuren ist, indem er die politischen und rechtlichen Implikationen transzendiert.

Loving spricht einzig die Sprache von Menschenwürde, Anstand, Bescheidenheit und Liebe. Das ist nicht aufregend oder gar revolutionär, aber das sind die Eigenschaften, von denen diese Welt dringend mehr gebrauchen kann.

Loving (2016)

Nachdem Jeff Nichols mit „Midnight Special“ bei der Berlinale 2016 einen Mainstream-Science-Fiction-Film abgeliefert hat, kehrte er nur wenige Monate später in Cannes mit „Loving“ zu seinen Wurzeln zurück und erzählt abermals eine Geschichte zweier „einfacher Leute“ wie er es in „Shotgun Stories“, „Mud“ und „Take Shelter“ bereits getan hat. Der Regisseur kommt selbst aus einfachen ländlichen Verhältnissen, und man merkt seinen Filmen an, dass hier wirklich sein Herz schlägt. „Loving“ ist genau, was der Titel des Filmes verspricht – liebevoll.

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