Antichrist (2009)

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Therapie im Wald

Ist dieser Film eine Beleidigung für die Zuschauer? Eine Attacke auf eingeschliffene Sehgewohnheiten und andere Konventionen des Kinos? Eine Provokation um der Provokation willen? Oder steckt doch mehr dahinter? Lars von Triers Antichrist ist ganz sicher eines – eine Tour de force für den Zuschauer.Er wird einer knapp zweistündigen Strapaze ausgesetzt, die nur schwer zu ertragen ist. Eine Spirale aus Gewalt, Sex und Grauen – von Lars von Trier hat man kaum etwas anderes erwartet. Antichrist, der seine Weltpremiere in Cannes feierte, dort für reichlich Furore sorgte und seiner Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg die Silberne Palme einbrachte, startet im September auch in den deutschen Kinos. Und wird dort sicher für ähnlich heftige Reaktionen sorgen bei der Presse und dem Publikum von Cannes, das die Vorführungen an der Croisette sichtlich verstört verließ.

Es geht los mit dem Allerschlimmsten, was Eltern passieren kann: dem Tod ihres Kindes. Ein Paar (Er: Willem Dafoe, Sie: Charlotte Gainsbourg) hat Sex unter der Dusche, währenddessen steigt das Kind aus seinem Bettchen, klettert auf das Fensterbrett und rutscht ab. All das ist sehr langsam in Zeitlupe gedreht und unterlegt mit einem Requiem. Visuell ist dieser Prolog großartig. Die Bilder gehen so dermaßen unter die Haut, dass einem beim Zuschauen der Atem stockt. Doch die Grausamkeit fängt hier erst an.

Es folgt Kapitel 1: Trauer. Bei der Beerdigung des Kindes weint er, sie bricht zusammen und landet schließlich im Krankenhaus. „Aber Trauer ist keine Krankheit“, weiß er besser und nimmt sie wieder mit nach hause. Er ist Therapeut und will sie selbst therapieren. Wie auf kaltem Drogenentzug vegetiert sie vor sich hin, ist verzweifelt und hat Angst. Am meisten Angst hat sie vor dem Garden Eden. Das ist ein Wald, in dem sich ein Holzhäuschen befindet, in dem einmal mit ihren Sohn gewesen ist. Und weil man Angst am besten mit Angst bekämpfen sollte, will er sie genau an diesen Ort zurück bringen.

Kapitel 2: Angst. Ankunft im Wald und Fortsetzung der Therapie. Sie sind mutterseelenallein mit ominösen Geräuschen und seltsam verstümmelten Tieren, Unheil hängt schwer wie eine dicke Gewitterwolke in der Luft. Rauschen und Knistern in der Tonspur. Man ahnt nichts Gutes, aber die beiden sind nicht zum Spaß hier. Als er sie nach ihren Träumen fragt, antwortet sie: „Träume sind nicht relevant in der modernen Psychologie. Freud ist tot.“ Sein therapeutischer Ansatz scheint nicht zu fruchten. Sie macht ihm immer heftigere Vorwürfe.

Kapitel 3: Verzweiflung. Spätestens hier werden zart besaitete Zuschauer den Kinosaal verlassen. Qual, Folter, Verstümmelung und dazwischen immer wieder Sex und Masturbation. Weil sie denkt, dass er sie verlassen will, richtet sie ihn zugrunde. Man will gar nicht so genau hinschauen, wenn sie mit einem Holzblock auf ihn einschlägt. Und wenn in Kapitel 4, das sich „Die drei Bettler“ nennt, beide halbtot in der Ecke liegen und sich gegenseitig bemitleiden, wünscht man sich eigentlich nur noch ein schnelles Ende des Films. In dem ganzen Grauen gibt es auch ein paar Momente, die einen zum Lachen bringen, z.B. wenn er sie in der deutschen Synchronisation bittet, das Ding an seinem Bein abzumachen und sie darauf antwortet: „Ich finde den Schraubenschlüssel nicht.“ Dann grenzt so ein Dialog schon ans Lächerliche.

Wie diese brutale Angelegenheit zwischen den beiden endet, soll hier nicht verraten werden. Man kommt jedenfalls total verdattert und entrückt aus dem Kino und braucht eine Weile, um wieder in der Realität anzukommen. Der Ursprung des Films, der übrigens Andrej Tarkowski gewidmet ist, liegt in einer schweren Depression Lars von Triers. Der Film war eine Art Selbsttherapie für ihn. Nur dass man als Zuschauer auch eher deprimiert aus dem Film kommt und etwas zum Aufheitern braucht, hat er dabei wohl nicht bedacht. Anderseits muss es einer erstmal schaffen, einen so zu berühren und zu beschäftigen.

In einem Interview spricht Lars von Trier über die kognitive Therapie, die er selbst seit zwei Jahren anwendet, um seine Depression zu bekämpfen. Panik soll durch Erfahrung bekämpft werden. Es ist die gleiche Therapie, die in Antichrist angewendet wird. Da jedenfalls vom Therapeuten an seiner eigenen Frau, obwohl man ja keine Angehörigen therapieren soll.

Loben muss man den Film vor allem für seine visuellen Qualitäten. Die Bilder stammen von Anthony Dod Mantle, dem Kameramann von Slumdog Millionär. Vor allem die Bilder des Prologs sind wunderschön anzusehen und angesichts ihres grausigen Inhaltes kaum zu ertragen. Wie er die Natur einfängt, wie er Schönheit und Grauen gleichzeitig festzuhalten vermag, ist nur selten so wundervoll im Kino zu sehen. Und obwohl man mitten in der Natur, in der Freiheit ist, wird man so ein klaustrophobisches Gefühl nicht los und fühlt sich ständig eingesperrt wie in einem Gefängnis. Das ist schon grandios. Ob man den Rest aushält oder vor so viel Horror dann doch aus dem Kino flüchtet, liegt vor allem an der eigenen Leidensfähigkeit. Denn gegen das Grauen, das Lars von Trier in diesem Film auf die Leinwand gezaubert hat, nehmen sich die meisten Horrorfilme vergleichsweise harmlos aus.
 

Antichrist (2009)

Ist dieser Film eine Beleidigung für die Zuschauer? Eine Attacke auf eingeschliffene Sehgewohnheiten und andere Konventionen des Kinos? Eine Provokation um der Provokation willen? Oder steckt doch mehr dahinter? Lars von Triers Antichrist ist ganz sicher eines – eine Tour de force für den Zuschauer.Er wird einer knapp zweistündigen Strapaze ausgesetzt, die nur schwer zu ertragen ist. Eine Spirale aus Gewalt, Sex und Grauen – von Lars von Trier hat man kaum etwas anderes erwartet.

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Meinungen

günter · 11.10.2009

tolle bilder, schöner film! der film hat eine harte szene, ansonsten keine "schlimmen" bilder, lohnt sich!

Frank aus Berlin · 19.09.2009

Tolle Bilder. Absolut sehenswerter Film. Kann nicht nachvollziehen diesen Film mit Horror in Verbindunug zu bringen, auch wenn es gegen Ende hart wird-die langsam aufbauende Spannung ist fesselnd. Ein Meisterwerk!

Michael · 11.09.2009

Den Film auf keinen Fall in diesem Kino ansehen. Die Originalfassung (auch vom Verleih MFA so angegeben) läuft 108 Minuten. Hier nur 95 Minuten. Dadurch ist der Film völlig verstümmelt und entspricht in keinster Weise mehr dem ursprünglichen Film, den Lars von Trier erstellt hat.

Resler Dlubis · 22.04.2009

Ich kann es kaum erwarten in den Film zu kommen habe als Komparse mitgespielt wäre toll wenn Ich mich sehen würde freue mich schon darauf