Jackie (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf Oscar-Kurs

Sie war die ungekrönte Königin der USA, die erste wirkliche First Lady im Weißen Haus, eine Stilikone und ein Vorbild für die Frauen ihrer Zeit: Jackie Kennedy. Und sie wurde noch viel mehr für ihr Land – ausgerechnet durch eines der tragischsten Ereignisse der 1960er Jahre: die Ermordung ihres Mannes am 22. November 1963 in Dallas, Texas. Der chilenische Filmemacher Pablo Larraín schildert in seinem mitreißenden Drama Jackie die sieben Tage, die dem Attentat folgen – es ist sowohl für Jackie Kennedy wie auch für den Zuschauer eine echte Tour de force, die zwischen Fassungslosigkeit, Trauer, Wut und dem Kampf um die Kontrolle in einer absoluten Ausnahmesituation oszilliert und ein gleichermaßen stilisiertes wie vielschichtiges Porträt einer Frau und einer Nation im Ausnahmezustand darstellt.

Die Rahmenhandlung des Films und der erzählerische Ausgangspunkt werden bestimmt vom Besuch des LIFE-MAGAZINE-Journalisten Theodore H. White bei der Witwe in Hyannis Port eine Woche nach den schrecklichen Ereignissen. In einem ausführlichen Interview gibt Jackie Kennedy Einblicke in ihren Gemütszustand, lässt sich tief in die Seele blicken und versteht es vor allem wie bereits in den Tagen zuvor, beim Kampf um das Gedenken an ihren Mann trotz ihrer Trauer in der schlimmsten Zeit ihres Lebens eine schier übermenschliche Stärke zu entwickeln und die Zügel fest in der Hand zu halten. Immer wieder füttert sie White mit intimsten Informationen an, um dann im nächsten Moment klar zu machen, dass sie selbstverständlich genau das gerade Eingestandene nicht in dem Interview lesen möchte. Von diesem Interview ausgehend kehrt der Film in Rückblenden immer wieder auf die Ereignisse unmittelbar nach dem Attentat zurück, wobei die Schüsse selbst und der tödlich getroffene Präsident erst in den letzten Minuten des Films zu sehen sind. Stattdessen umkreist die Kamera unablässig Jackie Kennedy (Natalie Portman, die hier eine der besten schauspielerischen Leistungen ihrer gesamten Karriere abliefert), blickt forschend in ihr blutverschmiertes Gesicht, zeigt auf schmerzliche Weise direkt – häufig in einer zentralen Frontalaufnahme – das vom Schrecken gezeichnete Antlitz einer Frau, der gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wir befinden uns mittendrin in der schockierten Atmosphäre der Air Force One auf dem Rückflug aus Texas, bei dem der Sarg das unsichtbare Zentrum der Gesellschaft ist, werden Zeuge, wie noch an Bord der bisherige Vizepräsident Lyndon B. Johnson als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereinigt wird, hören das fassungslose Stottern und Gestammel Jackies, der es kaum gelingen mag, die Fassung wiederzuerlangen. In impressionistisch aneinandergereihten Miniaturen folgen die Rückkehr ins Weiße Haus, das sie nun schnellstmöglich verlassen muss, die Konfrontation mit den Kindern, die noch nichts vom Tod des Vaters wissen, die Begegnung mit Bobby Kennedy (Peter Saarsgard) und die Konflikte um Details der Trauerfeier und der Bestattung, in denen sie sich immer wieder gegen enorme Widerstände durchsetzen muss, um diesem Ereignis ihren Stempel aufzudrücken. Ergänzt werden diese Szenen und die Interviewsituation durch Ausschnitte aus einem von Pablo Larraín aufwendig nachinszenierten Film, in dem die frischgebackene First Lady der USA den CBS-Journalisten Charles Collingwood (und mit ihm 50 Millionen US-Amerikaner) am 14. Februar 1962 live durch das Weiße Haus führte und sichtlich stolz die Veränderungen präsentierte, die sie dort vollbracht hatte. Bis in die Unschärfen des Bildes und die Verwaschenheit des Tones hinein gelingt Larraín hier die Rekonstruktion eines filmhistorischen Dokuments –das wäre schon allein für sich genommen eine inszenatorische Meisterleistung. Dies ist allerdings nur ein kleiner Baustein der Größe und außerordentlichen Qualität, die Jackie auszeichnet.

Beginnend mit Portmans außerordentlichen und sehr ambivalent angelegten Interpretation Jackie Kennedys über Mica Levis unglaublich intensiver und meisterhaft reduzierter Filmmusik und Stéphane Fontaines beeindruckender Kameraarbeit bis hin zu einem unglaublich kompakten und vielschichtigen Drehbuch (Noah Oppenheim) ist Jackie ein Film geworden, der in jeder nur erdenklichen Hinsicht, in allen Haupt- und Nebenrollen und in sämtlichen Belangen nahezu perfekt geraten ist. Mit anderen Worten: Ein echtes Meisterwerk voller großer emotionaler Momente und klugen Beobachtungen. In gewisser Hinsicht gleicht der Film dem Gegenstand, den er beschreibt und interpretiert: Wie Jackie Kennedy ist auch Pablo Larraín ein Teilnehmender und ein Manipulator von hohen Gnaden, ein Meister des doppelbödigen Spiels und ein Mensch, der uns tief in sein Herz und seine Seele hineinschauen lässt.

Neben Toni Erdmann ist Jackie einer der besten Filme der Festival-Saison 2016. Und es sollte schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht einer der beiden (oder besser beide noch) am 26. Februar 2017 im Dolby Theatre in Hollywood einen Academy Award in Empfang nehmen können. Im Kino darf sich die Zuschauerschaft jedenfalls so oder so auf ein Fest freuen.
 

Jackie (2016)

Sie war die ungekrönte Königin der USA, die erste wirkliche First Lady im Weißen Haus, eine Stilikone und ein Vorbild für die Frauen ihrer Zeit: Jackie Kennedy. Und sie wurde noch viel mehr für ihr Land – ausgerechnet durch eines der tragischsten Ereignisse der 1960er Jahre: die Ermordung ihres Mannes am 22. November 1963 in Dallas, Texas. Der chilenische Filmemacher Pablo Larraín schildert in seinem mitreißenden Drama „Jackie“ die sieben Tage, die dem Attentat folgen …

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