Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Eine Filmkritik von Claire Horst

… und trotzdem ist es dort ziemlich eng

Es ist die ungewöhnlichste Wohngemeinschaft der Welt: In der Grabeskirche streiten Christen verschiedener Konfessionen seit Jahrhunderten um Gebetszeiten, Eingänge und den Zugang zum Grab Jesu.
Mitten in Jerusalem steht das größte Heiligtum der christlichen Welt, die Grabeskirche. In ihr sind Mönche sechs verschiedener Religionen zu Hause: griechisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Franziskaner, syrische Christen, armenische Christen, äthiopische Abessiner und ägyptische Kopten. Was sich zunächst anhört wie eine praktisch gelebte Ökumene, ist das genaue Gegenteil von friedlicher Koexistenz. Regisseur und Kameramann Hajo Schomerus porträtiert sechs Männer, die erbittert um die Vormachtstellung der jeweils eigenen Gemeinde kämpfen.

Schomerus‘ Faszination für diesen besonderen Ort überträgt sich schnell auf die Zuschauer. Wenn die Kamera die Kirche im Morgengrauen von Außen einfängt, wirkt sie wie ein unbeschreiblich friedlicher Ort. Vielleicht ist eine der Gemeinden im Gebet zu hören, sonst wirkt es hier still und andächtig. Doch sobald der Arbeitstag beginnt, stehen auch die Besucherschlangen vor der Tür. Eine Gruppe junger Soldaten besichtigt die Grabeskirche als Teil ihrer Ausbildung. „Lasst die Waffen bei denen, die draußen warten“, und „Drinnen wird nicht geraucht!“, schärft ihre Leiterin ihnen ein. In der Kirche weist sie als erstes auf „so ein Ding“ in der Ecke hin, mit dem die Katholiken Musik machen – eine Orgel. „Und wer ist hier begraben?“, fragt einer der Soldaten. Es ist ein spannender Einblick in das Nebeneinanderleben der verschiedenen Konfessionen im „heiligen Land“, der sich hier bietet. Geografische Nähe bedeutet nicht unbedingt Interesse – und noch viel weniger Verständnis füreinander.

Genau das wird auch aus den Äußerungen der Kirchenbewohner deutlich. Wenn die Orgel spiele und die anderen ihre Gottesdienste nicht mehr durchführen könnten, sei es noch schöner als sonst, Katholik zu sein, findet Pater Robert Jauch. Sowieso seien alle christlichen Konfessionen im Katholizismus aufgehoben. Warum die anderen da überhaupt Ansprüche erheben, scheint er nicht nachvollziehen zu können.

In einer ähnlich machtvollen Situation ist Patriarch Theophilos III. Die griechisch-orthodoxen Mönche sind die Herren über den Zugang zum Grab. Über die anderen Mönche kann er nur schmunzeln. Sie verfügen nur über kleine Ecken in der Kirche, die sie gegeneinander erbittert verteidigen. Den Äthiopiern geht es am schlechtesten. Weil sie vor Jahrhunderten ihre Steuern nicht bezahlen konnten, verloren sie ihren Anspruch und leben jetzt in einem Anbau auf dem Dach. Die Erde sei sowieso ein Jammertal, trösten sie sich, und die Belohnung erhalte man im Jenseits. Mit den anderen streiten sie sich um jede Kerze und schrecken weder davor zurück, Gläubige der anderen Gemeinden zu verjagen, wenn ihre Gebetszeit herum ist, noch davor, das Innere der Kirche zu verändern, etwa Inschriften nachzuziehen – jedem Restaurator würde sich der Magen umdrehen.

Jeder Quadratzentimeter der Kirche steht einer der Gruppen zu, Gebetszeiten sind nach einem komplizierten System geregelt, und in jeder Nische wird eifersüchtig darauf geachtet, dass auch nicht eine Kerze von den anderen beansprucht wird. Nicht eingehaltene Putzpläne können dazu führen, dass sich Rechte verschieben, jeder Feiertag führt zu Veränderungen im Gebetsplan.

Der einzige, der sich über die ständigen Machtkämpfe noch wundert, ist Bruder Jayasaleem, ein Franziskaner aus Indien. Er lebt erst seit wenigen Wochen in der Kirche. Jayasaleems Anstrengung, in der erzwungenen Wohngemeinschaft etwas Positives zu sehen, ist rührend. Er bemühe sich, wenigstens immer passend „Buon Giorno“ und „Good Morning“ zu sagen, erklärt er, „but I am not fully successful“. Denn die meisten der hier Lebenden sind an einem solchen Austausch gar nicht interessiert. Pater Robert etwa verfolgt andere Ziele: Er möchte heilig werden. Und das scheint am besten im Alleingang möglich.

Aussagen wie diese sind die besten Momente des Films. Man fragt sich, was diese Männer unter ihrem Glauben überhaupt verstehen. Der gemeinsame Glaube an den christlichen Gott verbindet sie jedenfalls nicht. Ihnen beim Aufzählen der Gemeinheiten zuzuhören, die die anderen wieder veranstaltet haben, fühlt sich an, als versuche man, einen Spielplatzstreit zu schlichten. Manchmal ist das zum Lachen, manchmal tieftraurig – etwa wenn eine Osterprozession in einen Faustkampf ausartet.

Von diesem Machtkampf sind auch muslimische Nachbarn nicht ausgeschlossen. Zwei palästinensische Familien teilen sich – ebenfalls seit Jahrhunderten — das Recht, die Tür zur Kirche täglich auf- und zuzuschließen: Die eine bewahrt den Schlüssel, die andere darf ihn benutzen. Auch unter ihnen herrscht Streit darüber, welches Recht das ältere und bedeutendere ist. Deshalb zeigen sie dem Regisseur ihre Medaillen und Fotos mit prominenten Würdenträgern – welche sind größer, wer ist wichtiger?

Zwischen den Interviews mit den Religionsvertretern zeigt Schomerus immer wieder die Außenansicht der Kirche. Ihre sanfte Architektur steht in schroffem Gegensatz zu den Kämpfen, die sich in ihrem Inneren abspielen. Diese langen Einstellungen beweisen zwar, welch ein ruhiger Ort die Kirche eigentlich sein könnte, langweilen leider aber auch. Trotz seiner hochspannenden Geschichte und der charismatischen Figuren ist dem Regisseur deshalb kein durchgehend fesselnder Film gelungen. Zu wenig Experimentierfreude zeigt er, stattdessen verlässt er sich ganz auf seine Protagonisten. Trotzdem ist Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen ein lohnender Film. Er bietet Aufschlüsse über die menschliche Natur und ihre Schwächen — vor denen auch angehende Heilige nicht gefeit sind.

Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Es ist die ungewöhnlichste Wohngemeinschaft der Welt: In der Grabeskirche streiten Christen verschiedener Konfessionen seit Jahrhunderten um Gebetszeiten, Eingänge und den Zugang zum Grab Jesu.
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