Ich und Earl und das Mädchen (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Hunger nach Anerkennung

Ein großer Hype beim Sundance Film Festival lässt ja immer aufhorchen. Und wenn dort ein Film dieses Jahr abgeräumt hat, dann Ich und Earl und das Mädchen. Für ihn gab es nicht nur stehende Ovationen, sondern gleich noch den Publikumspreis und den „Großen Preis der Jury“. Doch danach wurde es eigenartig still um diesen Film. Nachdem er nach Cannes untypischerweise nicht eingeladen wurde, ist er erst jetzt in Locarno wieder aufgetaucht. Das ist ein kleines Mysterium – bis man Alfonso Gomez-Rejons Erstlingswerk dann gesehen hat und versteht, wie das passieren konnte.

Greg Gaines (Thomas Mann, nicht verwandt mit dem Autoren) ist ein schlaksiger Teenager im besten Alter für Misanthropie. Er ist ein Außenseiter in der High School oder besser ein Alles-Seiter, denn er hat das perfekte System entwickelt, um mit allen Cliquen freundlich verbandelt zu sein, aber zu keiner dazuzugehören. Sein einziger Freund ist Earl. Mit dem macht Greg gerne hausgemachte Filme und hängt in der Mittagspause ab. Ansonsten hat er aber auch mit ihm eher wenig zu tun. Und dann gibt es da noch Rachel (Olivia Cooke), die Tochter der besten Freundin seiner Mutter. Und die hat Leukämie. Und stirbt vielleicht bald daran. Und da seine Mutter ein großes Herz hat, zwingt sie Greg dazu, mit Olivia abzuhängen, während sie ihre Chemotherapie macht.

Das klingt alles sehr nach Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Allerdings ersetzt Alfonso Gomez-Rejon sämtlichen schmalzigen Pathos durch jugendliches Cool. Es ist ein erschöpftes und billiges stilistisches Mittel, Krebs-Dramen mit Rührseligkeit und großen Gesten vollzuschmieren. Hier ist Ich und Earl und das Mädchen sehr viel cleverer und konzentriert sich auf eine sehr feinfühlige Mischung aus typischem Coming-of-Age, viel liebevollem Humor, der meist auf Situationskomik und der Absurdität eines nahenden Todes in so jungem Alter fußt, und realistischem Drama rund um Rachel und ihre Krankheit. Dabei lässt der Film auch nicht die Auswirkungen auf das Umfeld der Kranken aus. Vor allem Greg muss sich völlig neu orientieren, ist er doch eigentlich nur ein egozentrischer Teenager, beschäftigt mit der ewigen Nabelschau. Jetzt muss er schneller erwachsen werden als ihm lieb ist und er selbst damit klar kommen würde.

So gesehen kann man gut verstehen, dass das Publikum in Sundance für Ich und Earl und das Mädchen empfänglich war. Das Gefühl von Ehrlichkeit und Introspektion erinnert an den großen Klassiker Breakfast Club. Aber leider werden diese Ansätze zerstört. Das große Problem des Films und die Ursache des schnell verpufften Hypes liegt in seiner Coolness. Ich und Earl und das Mädchen leidet an seiner Oberflächlichkeit, seinen unendlichen popkulturellen Ergüssen und seinem unstillbaren Hunger nach Anerkennung. Er will, so könnte man konstatieren, letztendlich doch zur coolsten Clique dazugehören und tut alles, um aufgenommen zu werden. Fast alles wird zu einer Referenz, zu einer Geste, einem Klischee, einer Erinnerung an andere Filme, Bücher und Comics. Ganz wie die kleinen Filme, die Greg und Earl nebenbei drehen. Sie sind lustige, poppige und etwas verschwurbelte Kopien der großen Klassiker. Erfrischend beim ersten Mal, aber nicht neu, nicht eigen und alsbald recht abgenutzt, denn man hat das alles schon einmal gesehen und gehört – und noch dazu ist alles so glatt, dass man auf der auf Hochglanz polierten Oberfläche nicht nur verharrt, sondern wegrutscht. Des Weiteren beeinträchtigt diese Herangehensweise auch die Entwicklung der Hauptfiguren. Man muss sich schon die Frage stellen: Wer ist Earl eigentlich? Außer Gregs Freund? Und was macht Olivia noch aus, außer dass sie Blutkrebs hat? Man weiß es nicht. Aber sie sind cool.

Damit stellt sich der Film ein Bein. Je cooler, desto weiter entfernt vom Organischen des eigenen Seins und desto schwieriger für den Zuschauer, eine echte emotionale Verbindung aufzubauen. Und das bei einem Coming-of-Age Film, der auch noch ein solch schweres Thema verhandelt.

(Festivalkritik Locarno 2015 von Beatrice Behn)

Ich und Earl und das Mädchen (2015)

Ein großer Hype beim Sundance Film Festival lässt ja immer aufhorchen. Und wenn dort ein Film dieses Jahr abgeräumt hat, dann „Ich und Earl und das Mädchen“. Für ihn gab es nicht nur stehende Ovationen, sondern gleich noch den Publikumspreis und den „Großen Preis der Jury“. Doch danach wurde es eigenartig still um diesen Film.

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