Helle Nächte (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Auf der Suche nach einer Verbindung

Eine Baustelle ist am Anfang von Thomas Arslans Helle Nächte zu sehen, Kräne, Sand und halb fertige Gebäude. Der Bauingenieur Michael (Georg Friedrich) sitzt in seinem Büro und schaut. Die Monitore seiner Rechner sind aus, er scheint in Gedanken versunken, schweigsam schauend. Auch in seiner Wohnung spricht er zunächst nicht, liegt neben seiner Freundin im Bett und kehrt ihr den Rücken zu.

Dann sitzt er irgendwann in seinem privaten Arbeitszimmer, greift zum Telefon und ruft seine Schwester an, um ihr zu sagen, dass ihr Vater gestorben sei. Er hatte zuletzt in Norwegen gelebt, deshalb will er nun dort hinfahren, um alles zu regeln. Seine Schwester wird nicht mitbekommen, sie will sich mit dem Vater schlussendlich nicht aussöhnen. Aber Michael fährt, kurz vorher sagt ihm seine Freundin noch, dass sie für ein Jahr nach Washington gehe. Er interpretiert es als Verlassen, sie sagt, sie ist lediglich für ein Jahr weg.

Schon diese ersten Minuten von Helle Nächte machen deutlich, dass Michael ein schweigsamer, ja fast stoischer Mensch ist, der weder über Gefühle noch Gedanken redet. Und doch merkt man in jeder Minute, dass ihn etwas beschäftigt, dass der Verlust des Vaters und die drohende Trennung von der Freundin ihn nachdenklich werden lassen. Aber er weiß nicht recht, wie er darauf reagieren soll. Helle Nächte ist nach Wilde Maus der zweite Wettbewerbsbeitrag mit Georg Friedrich und hier bestätigt er noch einmal seine Ausdrucksstärke, das mühelose Changieren zwischen Schweigsamkeit und Ausbrüchen. Michael reist schließlich nach Norwegen mit seinem 14-jährigen Sohn Luis (Tristan Göbel), zu dem er bisher kaum Kontakt hatte. Erst schauen sie sich das Haus des Großvaters an, dann fragt Michael seinen Sohn, ob sie noch eine Tour durch den Norden das Landes fahren. Offenbar ist es ein spontaner Entschluss, aber schließlich verbringen sie die nächsten Tage auf der Straße.

Ein Roadtrip ist ein beliebtes filmisches Mittel, um eine Reise ins Innere, in Vergangenes mit einem Wandel für die Zukunft zu verbinden. Oft wird die Fahrt in dem Auto mit Gesprächen und Streitigkeiten, mit skurrilen bis einschneidenden Erlebnissen verbunden, die je nach Ausrichtung des Films metaphorische bis kathartische Folgen haben. Aber nicht, wenn ein schweigsamer Mann und ein verstockter Teenager auf Reisen gehen – und wenn Thomas Arslan Regie führt, der nach Gold einen weitaus reduzierteren und weitaus besseren Film vorlegt.

Die Reise von Michael und Luis verläuft, wie Reisen durch Norwegen eben verlaufen: sie mieten ein Auto, zelten an Seen, durchstreifen die Wälder, fahren durch dichten Nebel, gehen durch Regen, schwimmen im See und wandern mehr oder weniger freiwillig durch die einsame Landschaft. Die Gespräche von Michael und Luis sind dabei absolut alltagstauglich und realitätsnah. Auf Michaels Fragen gibt Luis Antworten, die zumeist aus einem Wort bestehen, auf Nachfragen reagiert er unwirsch. Insbesondere am Anfang wird deutlich, dass sie keine Alltagsrituale miteinander verbinden, ja dass sie gar nicht wissen, wie sie sich im Alltag miteinander verhalten sollen. Aber je länger die Reise dauert, desto näher kommen sie langsam zumindest im Ansatz einem Vater-Sohn-Verhältnis – oder wenigstens zu einem selbstverständlicheren Umgang: zu Luis‘ patzigen Antworten kommen Witze über Michaels Alter, Luis beharrt trotzig darauf, nicht als Kind behandelt zu werden. Es ist eine Annäherung, die eben unvermeidlich ist, wenn man zusammen in einem Auto oder in der einsamen Natur Zeit miteinander verbringt. Und als Michael dann die Gelegenheit nutzt, um vergangene Dinge anzusprechen, reagiert Luis eben wie 14-Jährige reagieren: verstockt, unwillig und unvernünftig. Deshalb bleibt auch hier glücklicherweise das große Drama aus.

Helle Nächte konzentriert sich völlig auf die Beziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn, die realitätsnah und überzeugend geschildert wird. Dazu trägt entscheidend bei, dass Tristan Göbel (Tschick) sehr gut in die Rolle des maulfaulen Luis passt – und Georg Friedrichs Gesicht mit jedem Tag und jeder aufgrund der Helligkeit schlecht verbrachten Nacht müder wird. Zudem bietet der Norden in Norwegen für diese Reise eine perfekte Kulisse, ohne symbolisch zu werden. Vielmehr glaubt man sich durch die Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider oftmals sehr nah dabei. Man sitzt mit Michael und Luis im Auto, man durchwandert die karge Landschaft. Daher überzeugt Helle Nächte insgesamt durch die Natürlichkeit, die Wirklichkeitsnähe – und Georg Friedrich.

Helle Nächte (2017)

Eine Baustelle ist am Anfang von Thomas Arslans „Helle Nächte“ zu sehen, Kräne, Sand und halb fertige Gebäude. Der Bauingenieur Michael (Georg Friedrich) sitzt in seinem Büro und schaut. Die Monitore seiner Rechner sind aus, er scheint in Gedanken versunken, schweigsam schauend. Auch in seiner Wohnung spricht er zunächst nicht, liegt neben seiner Freundin im Bett und kehrt ihr den Rücken zu.

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