German Angst

Eine Filmkritik von Festivalkritik Rotterdam 2015 von Beatrice Behn

Ein Triptychon des leisen Grauens

Expressionistische, phantastische, gruselige Filme — das war im Deutschland der 1920er Jahre einst eine Strömung, die viel zum späteren Genrefilm beitrug und die damals ihresgleichen suchte. Man denke nur an Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu oder Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari. Doch diese Zeiten sind lange her und das deutsche Genrekino dümpelt seit langer Zeit bis auf einige kleinere Ausnahmen vor sich hin und bleibt oftmals weit hinter Produktionen aus anderen Ländern zurück.
German Angst ist ein Triptychon, das auf drei echten Nachrichtenmeldungen basiert, die freilich recht eigen interpretiert werden. Dabei wird eines schnell klar: Die Filme versuchen wieder an die expressionistische Phase anzuknüpfen und gleichsam den inzwischen obligatorischen internationalen Standard zu halten. Ein Unternehmen, das im Großen und Ganzen gut gelingt, was zwar zu hoffen, aber nicht unbedingt zu erwarten war. Denn zahleiche deutsche Genrefilme kopieren vor allem amerikanische Werke, indem sie ihre Struktur, ihre Machart, ihre Thematiken benutzen, jedoch stets Intention, Passion und das kinematographische Fleisch in Form einer guten Geschichte mit ausgefeilten Charakteren vernachlässigen. Und häufig reichen die Ergebnisse (im günstigsten Fall) nur für ein „ganz gut… für einen deutschen Film“ bis hin zu weitaus vernichtenderen Urteilen.

Jörg Buttgereit hat Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre mit Nekromantik, Nekromantik 2 und Todesking Underground-Kultklassiker des Horrorfilms geschaffen. Obwohl die Einordnung Horrorfilm hier zu kurz greift. Vielmehr verband Buttgereit Genrekino mit Avantgardekino und machte sich einen Ruf als „Punk-Surrealist“. German Angst beginnt mit seinem Kurzfilm Final Girl — ein eher stiller Auftakt. Eine hässliche, weiße Gardine hinter einem Fenster. Hinter dem Fenster, in Nahaufnahme, ein Meerschweinchen. Es atmet schwer und glotzt ein ungefähr 14 Jahre altes, schlafendes Mädchen an. Sie erwacht. Ist sie das Final Girl? Die Wohnung ist ein Dreckstall. Im Radio eine Nachricht von einem Mann, der seine Frau zerstückelt hat. Er dachte, so heißt es in dem Bericht, er sei Jesus und seine Frau der leibhaftige Teufel. Ein Off-Kommentar erzählt von Meerschweinchenpflege. Nebenbei nimmt das Mädchen eine Geflügelschere und geht ins elterliche Schlafzimmer. Dort liegt ein Mann, ihr Vater, gefesselt. Sie sitzt auf ihm, schaut sich seinen Penis an. Der Off-Kommentar erklärt, wie man ein Meerschweinchen genau kastriert…

Make a Wish von Michal Kosakowski wendet sich einem jungen Paar polnischer Abstammung zu, das taubstumm ist. Bei einem Spaziergang stoßen die beiden auf eine Ruine und wollen sie erkunden. Sie wandern durch alte Industriehallen und küssen sich. Er schenkt ihr einen roten Talisman und erzählt von dessen Magie: Einst rettete er seine Großmutter vor den Nazis, die gerade ihre gesamte Familie abgeschlachtet hatten, indem sie sich wünschte, ihr Vater würde ihr helfen. Dieser und der Kommandeur der Nazitruppe tauschen daraufhin ihre Körper. Der Vater tötet die Nazis und rettet das Kind. Ein Muster, das in der Jetztzeit des Filmes seine Wiederholung finden könnte. Denn ein paar Neonazis bedrohen plötzlich das Liebespaar und schlagen das Mädchen zusammen. Auch sie wünscht sich einen Körpertausch. Doch die Geschichte des Talisman wurde nicht zu Ende erzählt…

Andreas Marschall interpretiert unterdessen Hans Heinz Ewers Alraune und tritt damit in eine lange Tradition, schließlich wurde diese Geschichte in Deutschland schon in den Jahren 1918, 1919, 1928, 1930 und 1952 verfilmt. Wenn auch nicht so explizit wie hier. Ein Modefotograf wird von seiner Freundin verlassen und stürzt sich ins Nachtleben. Dort trifft er Kira, die ihn um den Verstand bringt. Er folgt ihr zu einem privaten Club, in dem er Mitglied auf Lebenszeit werden muss. Hier raucht er Mandragora und erlebt sexuelle Lust wie nie zu vor. Doch diese Erfahrung hat ihren Preis…

Marschalls und Buttgereits Filme sind durchaus gelungene und atmosphärisch dichte Erzählungen, die subkutan tatsächlich sehr an die expressionistischen Zeiten erinnern. Dabei überrascht vor allem, dass Buttgereit viel leiser und etwas weniger splatterig daher kommt, als man es von ihm erwarten würde. Und gerade dieses Leise, diese Suggestion, gepaart mit vielen extremem Nahaufnahmen lassen den Film unter die Haut gehen. Hinzu kommt, dass das in allen Teilen hervorragende Sound Design hier am meisten hervorsticht. Man kann sogar hören, wie die Fasern des Teppichs den einen Blutstropfen, der auf sie herabgefallen ist, aufsaugen. Es knistert. Laut und metallisch hingegen ist die Partynacht in Alraune, die ein stetiges Fiepen mitbringt, wie ein Tinnitus, wenn man aus dem Club kommt. In Kosakowskis Make a Wish ist es vor allem der Hall der Tritte und Schreie. Sein Beitrag schafft es jedoch nicht, einen ähnlich starken Sog zu erzeugen, wie die beiden anderen. Die weitläufige Location verschluckt förmlich die Akteure, die vor allem auf der Seite der neonazistischen Aggressoren zu grob gezeichnet sind. So bleibt sein Film immer einen Hauch zu aufgesetzt und künstlich, der Zuschauer bleibt außen vor, denn statt die Genre- und Erzählkonstruktion zu erfühlen, erfasst er sie vielmehr kognitiv. Schade eigentlich, denn vor allem Make a Wish ist ja, wenn man den Titel einmal ganz eng interpretieren darf, eine deutsche Angst, die dieser Tage wieder sehr an Bedeutung zugenommen hat und dieses Werk in eine unangenehme Nähe zur Realität rückt.

Dennoch ist German Angst ein wunderbarer und erleichternder Beitrag in Sachen deutsches Genrekino, der selbst für Nichtkenner und Freunde dieser Filmkunst unterhaltsam oder wenigstens lehrreich ist. Denn man lernt hier zumindest etwas über die richtige Meerschweinchenpflege. Und vielleicht auch ein bisschen mehr über die eigenen Ängste.

(Festivalkritik Rotterdam 2015 von Beatrice Behn)

German Angst

Expressionistische, phantastische, gruselige Filme — das war im Deutschland der 1920er Jahre einst eine Strömung, die viel zum späteren Genrefilm beitrug und die damals ihresgleichen suchte. Man denke nur an Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ oder Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Doch diese Zeiten sind lange her und das deutsche Genrekino dümpelt seit langer Zeit bis auf einige kleinere Ausnahmen vor sich hin und bleibt oftmals weit hinter Produktionen aus anderen Ländern zurück.
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