Finding Vivian Maier (2013)

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Die Frau der vielen Bilder

Der Deal sollte sein Leben verändern. Auch wenn ihm das nicht auf den ersten Blick klar war. Auf einer Zwangsversteigerung in Chicago hat John Maloof 2007 ein Schnäppchen gemacht: eine Kiste voller Negative für 380 Dollar. Als Vorsitzender eines Heimatvereins in Chicago war der 30-Jährige auf der Suche nach historischem Bildmaterial für ein Buch, das er herausbringen wollte. Die 100.000 Negative, die er in der ersteigerten Kiste vorfand, taugten nicht für das Buch, also packte er sie erst einmal zur Seite. Zum Glück hat er sie dann wieder hervorgezogen, denn die Bilder haben sehr wohl dazu getaugt, Fotografie-Geschichte neu zu schreiben.

Gemacht hat die Bilder eine Frau, deren fotografisches Talent zeitlebens unentdeckt blieb und die nun in einem Atemzug mit Alt-Meistern der Straßenfotografie wie Robert Frank oder Henri Cartier-Bresson genannt wird: Vivian Maier, oder auch Vivian Meyer, oder vielleicht Mayer…

Die Identität der Frau hinter der Kamera blieb lange schemenhaft im Dunkeln. Ihre Fotos jedoch versetzten schon kurz nachdem Maloof erste Scans auf seinen Blog hochlud die Öffentlichkeit in helle Aufregung. Das waren nicht irgendwelche Schnappschüsse, sondern Fotografien von außergewöhnlicher Ausstrahlung und Professionalität. Wer also ist diese Frau, deren Bilder nun posthum in aller Welt ausgestellt werden? John Maloof begab sich selbst auf die Suche. Nicht nur nach weiteren Negativen und Fotos, sondern nach der Person hinter der Kamera. Auf die Spur kam er ihr erst durch eine Todesanzeige im Jahr 2009.

Der Dokumentarfilm Finding Vivian Maier ist die Geschichte einer posthumen Annäherung an ein Phantom. Eine Frau, die 100.000 Foto-Negative, 700 Rollen unentwickelten Farbfilm, 2000 Rollen unentwickelten s/w Film und zudem 8- und 16-mm Filme hinterließ. Eine leidenschaftliche Fotografin, die mit der Kamera durch die Straßen streifte – und ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen verdiente. Ihre einstigen Schützlinge und deren Angehörige sind nun unter denen, die vor der Kamera Licht in das Leben dieser ungewöhnlichen Frau bringen. Denn Vivian Maier verschloss nicht nur ihre Fotos vor der Welt, sondern verbarg auch ihre Persönlichkeit vor ihrem Umfeld.

Finding Vivian Maier erzählt ungemein spannend verdichtet zwei Geschichten: Zum einen die von John Maloofs Entdeckung der Fotos und seiner Recherchen in Sachen Vivian Maier. Maloof selbst führt vor der Kamera und aus dem Off durch seine Suche und durch den Film. Gemeinsam mit Charlie Siskel, der Michael Moores Bowling for Columbine produziert hat, hat er Finding Vivian Maier als Regie-Duo umgesetzt. Die Story, wie Maloof diesen Schatz an Bildern hob, ist an sich schon spannend, wird jedoch in den Schatten gestellt von der Lebensgeschichte der Vivian Maier. Denn diese taugt zu einem wahren Mystery-Thriller – und als solcher wird sie auch dramaturgisch geschickt präsentiert. Eine Geschichte, die so außergewöhnlich ist, dass es gar nicht als zu aufdringlich rüberkommt, wenn der Film sie in konventioneller US-amerikanischer Dokumentarfilm-Machart mit viel Off-Kommentar und noch mehr mitreißender Musik erzählt. Die Geschichte selbst ist vielschichtig und spannend, der Film erzählt sie in perfekter Dramaturgie – und das macht Finding Vivian Maier zu einem unbedingt sehenswerten Dokumentarfilm.

Aus der Geschichte der Fundstücke schälen die Filmemacher Stück für Stück eine Lebensgeschichte heraus. Mit jedem Mosaiksteinchen wird das Bild komplexer. Je mehr der Film enthüllt, desto interessanter, widersprüchlicher und mysteriöser wird diese Person, bei der anfangs noch nicht einmal sicher ist, wie ihr echter Name lautet, geschweige denn auf welche Herkunft ihr Akzent hindeutet. Die Menschen, in deren Häusern sie jahrelang als Nanny gelebt hat, deren Kinder sie betreut hat – kannten sie sie wirklich?

Ähnlich wie in Searching for Sugar Man begibt sich der Zuschauer auf die Fährte einer eigenwilligen Persönlichkeit. Der Musiker Rodriguez „Sugar Man“ verschwand plötzlich, Vivian Maier dagegen scheint nie wirklich als Person greifbar gewesen zu sein. Und anders als bei Malik Bendjellouls Oscar-prämiertem Dokumentarfilm wird der Zuschauer in Finding Vivian Maier der Protagonistin nie wirklich begegnen. Sie bleibt ein Phantom. Eines, von dem es einige selfies gibt. Eines, dessen Blick auf die Welt in ihren Bildern überlebt hat.

Jetzt hat sie dank der John Maloof Collection ein Zuhause im Internet, wo die ganze Welt ihre Bilder sehen kann. Aber hätte sie das gewollt? Das fragt sich auch John Maloof und sicher ist er sich nicht. So wie er (und der Zuschauer) Vivian Maier kennengelernt haben, ist das eine berechtigte Frage – und ein Glück, dass er trotz dieser Zweifel ihren versteckten Schatz ans Licht gebracht hat.
 

Finding Vivian Maier (2013)

Der Deal sollte sein Leben verändern. Auch wenn ihm das nicht auf den ersten Blick klar war. Auf einer Zwangsversteigerung in Chicago hat John Maloof 2007 ein Schnäppchen gemacht: eine Kiste voller Negative für 380 Dollar. Als Vorsitzender eines Heimatvereins in Chicago war der 30-Jährige auf der Suche nach historischem Bildmaterial für ein Buch, das er herausbringen wollte.

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Meinungen

Julia Schenke · 06.07.2014

Wunderbarer Film, der neugierig auf ihre Fotos und ihre Biografie macht!!!!!