El Olivo - Der Olivenbaum

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von der Tristesse eines prozessualen Werteverlusts

Wenn am 27. Juli das diesjährige Fünf Seen Filmfestival in der Schlossberghalle Starnberg festlich seine Pforten eröffnet, wird via Liveschaltung auch die spanische Filmemacherin Icíar Bollaín diesem Events beiwohnen und die illustren Gäste dieser Veranstaltung willkommen heißen. Denn es ist ihr neuster Film El Olivo – Der Olivenbaum, den Matthias Helwig als Leiter für die Eröffnung des Filmfestivals ausgewählt hat.
Erinnert man sich an die Stimmungen und Emotionen aus seiner Kindheit, ist es nicht selten ein ganz bestimmter Ort oder Platz, von dem eine besondere Symbolik hinsichtlich signifikanter Erlebnisse und Erfahrungen ausströmt. Für die so empathische wie energische Alma (Anna Castillo, als Kind: Inés Ruiz), die gerade in ihren frühen Zwanzigern bevorzugt den einen und anderen kritischen Blick auf ihre spanische Familie und deren Lebensweise und -verhältnisse wirft, ist dies zweifellos ein mit zweitausend Jahren geradezu biblisch betagter Olivenbaum. Dieser Fels in der Brandung ihrer Kindheit wird vor allem von ihrem Großvater Ramón (Manuel Cucala) in höchstem Maße geschätzt und sozusagen zum lebendigen Monument der Familie erhoben – bis seine Söhne ihn als außerordentliche Einnahmequelle eines Tages schlichtweg ohne sein Einverständnis verscheuern. Für den alten Herrn markiert dieser Verlust den Beginn einer schwelenden Lethargie, die viele Jahre später gar in der Verweigerung von Nahrung gipfelt, so dass die mittlerweile erwachsene Alma aus inniger Verbundenheit mit ihrem Großvater und aus Angst vor seinem Siechtum den waghalsigen Entschluss fasst, den Baum wieder herbeizubringen, der allerdings nunmehr im Foyer einer deutschen Firma sein Dasein in Funktion eines naturalistischen Logos fristet …

Allein die derben, oftmals gar unflätigen Kommunikationen in Almas Familie bringen deutlich die lang angestauten, massiven und teilweise verborgenen Spannungen der Protagonisten zum Ausdruck, in deren Zentrum vordergründig die Sorge um den alten Ramón steht, der verbittert über ebendiese Entwicklungen seine Lebensäußerungen immer stärker einschränkt. Diese passive Weigerung, sich dem modernen, zerfasernden Rhythmus einer wachsend egomanisch orientierten und lieblos-funktionalistischen Gesellschaft anzupassen, wandelt Alma als junge, idealistische Frau für sich in kompromisslosen Aktionismus um, der es vermag, das gesamte System einmal kräftig aufzumischen. Die Bewegung, die sie damit startet, lässt El Olivo zu einem Roadmovie in ziemlich aussichtsloser Mission geraten, die jedoch so ganz nebenbei manch engagierte Solidarität erzeugt.

Während sich Alma unter der waghalsigen Vorspieglung unberechtigter Hoffnungen gemeinsam mit ihrem Onkel Alcachofa (Javier Gutiérrez) und ihrem Arbeitskollegen Rafa (Pep Ambròs), der sie insgeheim verehrt, in einem illegal ausgeborgten Laster auf den Weg ins deutsche Düsseldorf macht, um den Olivenbaum nach Haus zu holen, erhält sie sowohl Unterstützung von ihren Freundinnen Wiki (María Romero) und Adelle (Paula Usero) als auch von einer Gruppe engagierter deutscher Frauen, so dass der hilfreiche Hintergrund anwächst. Denn es sind mehr der Mut und die Entschlossenheit, die hier die Dynamik entstehen lassen, und weniger ein gut vorbereiteter, strategischer Plan, was den Grundtenor und die Intention des Films widerspiegelt: Befindlichkeiten und Emotionen dazustellen und atmosphärisch auszulösen, auch mittels entsprechend sentimentvoller musikalischer Gestaltung.

Da wird mitunter ein recht ungewöhnliches Deutschlandbild in El Olivo transportiert, das beinahe ehrfürchtig anmutet und auf das europäische Gefälle hinsichtlich materieller Ressourcen hinweisen könnte, denkt man allein an die anhaltende Chancenarmut von spanischen Jugendlichen bezüglich eines dauerhaft günstigen Zugangs zum Arbeitsmarkt. Aktuelle Kommunikationsformen wie Nachrichten über das Netz werden selbstverständlich als Ausprägung modernen, globalen Austausches zuvorderst unter jungen Leuten installiert, so dass der Film auch formal einen gewissen Zeitgeist transportiert, der auch neue politische Interaktionen repräsentiert. Die Balance zwischen dem Persönlichen und dem Politischen gerät recht ausgewogen, wobei der Schwung der Geschichte allerdings bisweilen unter dieser Konstruktion leidet, deren Konzept manchmal bedauerlicherweise wie ein ebensolches auch sichtbar wird.

Vor allem gegen Ende und direkt im Finale versäumt es El Olivo nicht, bei allen idealistischen Ansätzen auch einen realistischen Habitus an den Tag zu legen, der einer gewissen Tragik nicht entbehrt und doch auch unterwegs in humorige Aspekte sowie am Schluss in einen zaghaften Optimismus zu münden vermag, was eine kostbare Qualität des Films darstellt. Die Geschichte nach dem Drehbuch des Philosophen Paul Laverty, der bereits die Skripte zu Filme wie Ich, Daniel Blake / I, Daniel Blake, Looking for Eric und Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel / The Angels’ Share verfasst hat und sozusagen der Stammschreiber des Regisseurs Ken Loach ist, fördert durchaus einige Berührungen und Nachdenklichkeiten hervor, mäandert jedoch in ihrer Inszenierung mitunter allzu strikt an einer Themenvielfalt entlang, die in diesem Rahmen nur marginal zur Entfaltung gelangen kann. Dennoch ist El Olivo ein gleichermaßen sehenswerter wie wichtiger Film, der einen Wertekanon in den Fokus rückt, dessen prozessualer Verlust in seiner komplexen Bedeutung gerade erst in Ansätzen auch filmisch sichtbar wird und eine würdige Tristesse verströmt.

El Olivo - Der Olivenbaum

Wenn am 27. Juli das diesjährige Fünf Seen Filmfestival in der Schlossberghalle Starnberg festlich seine Pforten eröffnet, wird via Liveschaltung auch die spanische Filmemacherin Icíar Bollaín diesem Events beiwohnen und die illustren Gäste dieser Veranstaltung willkommen heißen. Denn es ist ihr neuster Film „El Olivo – Der Olivenbaum“, den Matthias Helwig als Leiter für die Eröffnung des Filmfestivals ausgewählt hat.
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Meinungen

Martin Zopick · 17.03.2022

Iciar Bollain ist ein wundervoller Film gelungen, der eine Story hat mit einem rührenden Schluss neben einer Botschaft, die sich von der Philosophie der Olivenbäume herleitet.
In Rückblenden wird die enge Beziehung zwischen Alma (großartig Anna Castillo) und ihrem Großvater Ramon (eindrucksvoll Manuel Cucala) erzählt. Als die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten beschließt, einen zweitausend Jahre alten Olivenbaum an einen Konzern in Deutschland zu verkaufen, verweigert Ramon jegliche Kommunikation und Alma beschließt den Baum zurück zu holen.
Die ernsten Untertöne wie die leise Kritik an den Global Players stören den komödiantischen Charakter des Films ebenso wenig wie die gehaltvollen Dialoge über Zivilcourage oder die Aussichtslosigkeit des Unternehmens, das nur mittels Verschweigen der vollen Wahrheit, sprich Lügen, ins Werk gesetzt wird. Alma und ihre beiden Mitstreiter Onkel Alca (Javier Gutierrez) und ‘Beinaheliebhaber‘ Rafa (Pep Ambros) fetzen sich bis zur Schmerzgrenze und wenn es gar nicht mehr weitergeht und alles aus zu sein scheint, gibt es eine längere Pause zum Nachdenken und dann lachen alle drei wieder. Das ist symptomatisch für den ganzen Film.
Es wäre unrealistisch gewesen, wenn der übermächtige Finanzriese den Olivenbaum wieder rausgerückt hätte, das musste Alma wohl erst vor Ort erfahren. Leider ist das auch Opas Ende. Doch ein neuer Olivenbaum wird gepflanzt – ein Zweig vom alten – mit den hoffnungsvollen Worten ‘Der Alte stand die letzten zweitausend Jahre. Hoffen wir, das die nächsten 2000 besser werden.‘ Dem kann man sich nur anschließen.

Konstantin · 25.08.2016

Der Olivenbaum ist einfach ein großartiger, wunderbarer Film. Absolut und uneingeschränkt zu empfehlen. Unbedingt anschauen!