Eine bretonische Liebe (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Beaucoup d'amour

Eine bretonische Liebe – der Titel lässt eine lokale Romanze vermuten. Doch das Werk von Regisseurin und Ko-Drehbuchautorin Carine Tardieu erzählt nicht nur von einer Liebe, sondern von vielen. Etwa von der Liebe eines Vaters zum Kind – sei es zur eigenen, (fast) erwachsenen Tochter oder zu dem Sohn, von dessen Existenz der Erzeuger bisher gar nichts wusste, oder aber zu dem Sohn, der sich nicht als das eigen Fleisch und Blut erweist. Ferner schildert der Film tatsächlich eine klassische Liebesgeschichte zwischen Mann und Frau, legt den beiden jedoch einen Stein in den Weg, der deutlich schwerer ist als das Geplänkel, mit dem RomCom-Paare üblicherweise zu kämpfen haben.

Im Zentrum des Geschehens steht der Minenräumer Erwan (François Damiens), der einst in Krisenregionen als Bombenentschärfer tätig war, bis seine Frau an Lungenkrebs erkrankte und starb und er deshalb dauerhaft in Frankreich blieb, um sich um die gemeinsame Tochter Juliette (Alice de Lencquesaing) zu kümmern. Diese ist nun im Alter von 23 Jahren nach einem One-Night-Stand schwanger. Als Erwan und sie einen DNA-Test machen, um sich über genetische Defekte in der Familie zu informieren, stellt sich heraus, dass Erwans Vater Bastien (Guy Marchand) nicht dessen leiblicher Vater ist. Erwan engagiert daraufhin eine Privatdetektivin (Brigitte Roüan), um seinen biologischen Vater ausfindig zu machen – und diese stößt rasch auf Joseph (André Wilms), welcher Erwans verstorbene Mutter kurz vor deren Hochzeit mit Bastien kennenlernte. Eine Begegnung mit Joseph führt bald zu einer Annäherung zwischen den beiden Männern – doch dann muss Erwan erfahren, dass Josephs Tochter Anna (Cécile de France) ausgerechnet jene Frau ist, mit der er sich gerade verabredet hat und zu der er sich überaus hingezogen fühlt.

Aus diesem Stoff könnte man eine wuchtige Tragödie mit hochemotionalen Momenten machen oder eine boulevardeske Komödie mit albernen Verstrickungen. Carine Tardieu vermeidet erfreulicherweise beide Extreme und zeigt stattdessen Menschen, die glaubhaft versuchen, mit ihrer Situation zurechtzukommen – und sich dabei wirklich bemühen, Verantwortung für andere, vor allem aber für das eigene Handeln zu übernehmen. Der Film verfügt über eine angenehme Leichtigkeit, allerdings ohne es sich, seinem Personal oder uns als Publikum jemals allzu leicht zu machen. Für seine Wendepunkte – wenn Geheimnisse offenbart werden und Wirrungen ans Licht kommen – wählt das Werk meist unerwartete Wege; statt Enthüllungen künstlich hinauszuzögern, werden sie erstaunlich schnell und unaufgeregt zur Sprache gebracht. Zudem gibt Eine bretonische Liebe all seinen Figuren den nötigen Raum; neben dem familiären und amourösen Gefühlschaos des Protagonisten geht es ebenso um das Empfinden der beiden Väter in Erwans Leben sowie um Annas seelischen Zustand. Überdies wird parallel von Juliettes Schwangerschaft erzählt, bei welcher die Frage nach der Vaterschaft nicht so unklar ist, wie Juliette zunächst behauptet. In sämtlichen Strängen ist das Schauspiel überzeugend; insbesondere André Wilms (Le Havre) liefert als Joseph eine sehr anrührende Leistung, in welcher die Einsamkeit, der Witz und der Pragmatismus seiner Rolle durchschimmern.

Die Liebesanbahnung zwischen Erwan und Anna beginnt betont unromantisch – bei einem Wildunfall auf nächtlich-verregneter Landstraße. François Damiens (Verstehen Sie die Béliers?) und Cécile de France (Der Junge mit dem Fahrrad) können die Faszination, die sich zwischen den möglichen Halbgeschwistern entwickelt, vor allem durch Blicke nachvollziehbar vermitteln – und demonstrieren im Finale, dass man gleichzeitig traurig und glücklich sein kann. Durchweg gelingt dem Film diese Balance zwischen leiser Tragik und schöner Komik; er füttert uns nicht mit süßlichen feel-good-Zutaten, sondern interessiert sich aufrichtig für das Nebeneinander von positiven und negativen Gefühlen, die mit Enttäuschungen (im wörtlichen Sinne) sowie mit neuen Erfahrungen einhergehen.
 

Eine bretonische Liebe (2017)

„Eine bretonische Liebe“ – der Titel lässt eine lokale Romanze vermuten. Doch das Werk von Regisseurin und Ko-Drehbuchautorin Carine Tardieu erzählt nicht nur von einer Liebe, sondern von vielen.

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Meinungen

Martin Zopick · 06.12.2020

Mit lockerer Hand hat Regisseurin Carine Tardieu eine vielseitig verschlungene Familiengeschichte inszeniert, in der Witwer Erwan (Francois Damiens) erkennt, dass Bastien (Guy Marchand), sein bisheriger Vater nicht sein leiblicher ist. Das ist anscheinend Joseph (André Wilms). Parallel dazu verläuft die Suche nach dem Vater von Juliettes (Alice de Lencquesaig) Baby, Erwans Tochter. Der findet sogar Didier (Estéban) einen jungen Mann, der sich bereit erklärt, Juliette zu heiraten. Erwan trifft Anna (Cécile de France), die Tochter von Joseph und es bleibt lange Zeit offen, ob sie Geschwister sind oder nicht.
Mit der sprichwörtlichen Leichtigkeit der Bretagne laufen sich alle Beteiligten immer wieder über den Weg: die zwei optionalen Väter von Erwan: Bastien und Joseph. Und auch Erwan trifft sich mal mit jedem einzelnen, mal mit allen gemeinsam. Dabei werden nach der bekannten Salami-Taktik immer weitere Details der möglichen Vaterschaften enthüllt. Dabei trifft doch der Originaltitel genau ins Schwarze ‘Befreit mich vom Zweifel‘. Kleine spaßige Asides treffen z.B. auf eine Patientin von Anna zu: eine ältere Dame (Anna Gaylor) könnte fast eine Verschwörungstheoretikerin sein.
Selbst als das Kuvert von Annas Vaterschaftstest vorliegt, macht es Tardieu nochmal kurz spannend, weil alle um den heißen Brei herumreden, bis das Drehbuch den Wünschen des Publikums nachkommt und wir wissen, wie eine bretonische Liebe tickt. Das gesamte Promi-Team bringt’s bis zum Schluss in dieser herrlichen Komödie um einen eigentlich ernsten Hintergrund.

Hannes · 27.12.2017

Moin Hajo! Oben, rechts neben dem Wecker, einfach mal auf die Lupe klicken. ;-)

Hajo Schneider · 24.12.2017

Ich möchte den Film mit dem blöden deutschen Titel gerne sehen - aber wo?
"Ôtez-moi d'un doute" hätte man anders und besser übersetzen können und müssen!