Ein Aufstand alter Männer

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Tough Old Folks

Es gibt Filme, die spielen an einem einzigen Tag, stellen annähernd eine Einheit von Zeit und Ort dar und transportieren doch die komplexen Hintergründe einer ganzen Welt, deren wie auch immer geartete Kontinuität unvermittelt ins Wanken gerät. Mit Ein Aufstand alter Männer / A Gathering of Old Men nach dem Roman von Ernest J. Gaines aus dem Jahre 1983 basierend auf einem Drehbuch von Charles Fuller hat Filmemacher Volker Schlöndorff 1987 eine derartige Geschichte inszeniert, die von einem mächtigen Aufbäumen einer zähen Crew alter schwarzer Männer innerhalb einer rassistisch geprägten, ländlichen Gesellschaft von Louisiana erzählt.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass der böswillige Farmer Beau (Richard Whaley), der zu einem einflussreichen Cajun-Clan der Gegend gehört, besonders den schwarzen Arbeiter Charlie (Walter Breaux) gern in sadistischer Manier verfolgt und erniedrigt, doch an diesem Tag treibt er den stets ängstlichen, flüchtigen Mann nicht nur mit dem Traktor, sondern auch mit seiner geladenen Flinte vor sich her, der schließlich im Schuppen des alten Mathu (Louis Gossett Jr.) Schutz sucht. Aber Beau lässt nicht von ihm ab und zielt mit seinem Gewehr durch den Türspalt auf den verzweifelten Mann, doch der Schuss, der nun fällt, wird aus dem Schuppen abgefeuert und streckt Beau tödlich getroffen nieder. Charlie beschwört daraufhin von gewaltiger Furcht ergriffen ein bedrohliches Lynch-Szenario der Cajuns herauf, die von Rachsucht erfüllt die schwarze Bevölkerung heimsuchen, um Beau zu rächen, während Mathu bereits die Verantwortung für die Tat übernommen hat und den panischen Charlie fortschickt, damit er sich verstecken kann.

Da liegt nun ein toter Mann vor Mathus Haus, und dieser hockt mit seinem Gewehr in der Hand davor, seiner Verhaftung harrend. Doch dieses dramatische Ereignis setzt eine Dynamik in Gang, mit der wohl niemand in dieser Gegend jemals gerechnet hat. Auf Veranlassung der jungen, starrköpfigen Candy (Holly Hunter), der das umliegende Land gehört und die seit ihrer frühen Kindheit in herzlicher Verbindung insbesondere zu Mathu und seiner Frau, aber auch sonst zu den schwarzen Bewohnern steht, strömen die alten Männer der Umgebung, die seit jeher Nachbarn sind, mit ihren Gewehren herbei, aus denen sie alle einen Schuss abfeuern, jeder Einzelne bereit zu behaupten, er habe Beau getötet.


Bald darauf betritt der ebenfalls betagte, autoritäre Sheriff Mapes (Richard Widmark) die Szene vor Mathus Haus, der diesen Tag viel lieber draußen beim Angeln zugebracht hätte und mit hartem Durchgreifen diese unerquickliche Situation so rasch wie möglich zu beenden trachtet. Doch er hat nicht mit dieser ungewohnten Entschiedenheit der alten schwarzen Männer gerechnet, die er seit Ewigkeiten kennt und die er locker im Griff zu haben glaubte. Währenddessen spricht sich die unheilschwangere Kunde der Ereignisse rasch herum, und bei den Cajuns findet ein kontroverser, emotional heftigst aufgeladener Disput um den Umgang mit der unglaublichen Angelegenheit statt, der besonders von dem Hitzkopf Luke Will (Al Shannon) zur Propaganda für brutalen Aktionismus genutzt wird …

Es sind die geballt auftretenden, mehrdimensionalen Ambivalenzen der Charaktere, welche durchweg von einem großartigen, charismatischen Ensemble verkörpert werden, die diesen dichten, mit liebevollen Details inszenierten Film auszeichnen, dessen pointierte Dialoge bei Zeiten an einen stolzen, repetitiven und eingängigen Sprechakt in Gospel-Manier erinnern. Ein drastisches Ereignis, das die nur scheinbar gefestigten Wertvorstellungen unterschiedlichster Menschen erschüttert, reißt einen ganzen Moloch an Konflikten auf, bei denen es längst nicht mehr um die Klärung der Geschehnisse geht, sondern eine mögliche Lösung auf irgendeine Weise letztlich ausgehandelt werden muss, was eine kleine, konservative Sozietät vor eine gewaltige Herausforderung stellt – eine ebenso spannende wie anspruchsvolle Konstellation.

Dabei gibt es einen signifikanten Unterschied innerhalb der Dramaturgie Charles Fullers und Volker Schlöndorffs zur Romanvorlage von Ernest J. Gaines, die in der Entscheidung des Ausgangs der Geschichte liegt: Während der literarische Autor eine katastrophale Eskalation andeutet, lassen die filmischen Gestalter den Stoff viel optimistischer und daher in einer erleichternd-heiteren Atmosphäre enden, was im Grunde der gesamten Erzählung eine völlig andere Haltung zuschreibt. Doch diese ist in der Inszenierung Volker Schlöndorffs durchaus stimmig angelegt, und bei allen potentiellen Vorwürfen einer allzu positiven Behandlung der Brisanz der Problematik bleibt die Qualität von Ein Aufstand alter Männer davon unberührt, die neben den vielschichtigen, sorgfältig installierten Betrachtungen zu den Phänomenen der Würde und der Ehre auch darin besteht, dass sie gerade durch den triumphierenden Schluss in ihrer eindrucksvollen Ernsthaftigkeit auch einem schelmischen Aspekt Raum gibt.

Ein Aufstand alter Männer

Es gibt Filme, die spielen an einem einzigen Tag, stellen annähernd eine Einheit von Zeit und Ort dar und transportieren doch die komplexen Hintergründe einer ganzen Welt, deren wie auch immer geartete Kontinuität unvermittelt ins Wanken gerät.
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