Drei Affen - Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Abgründe einer Familie

Das gibt es selten: Drei Mal hintereinander hat der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan beim Filmfestival in Cannes einen Preis bekommen. Dieses Jahr war es der Regiepreis für sein kunstvolles Familiendrama Three Monkeys / Üc Maymum.
Der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Zählt der 39-Jährige doch zu den rar gewordenen Filmkünstlern, die mit ausgefeilten Bildkompositionen die menschliche Seele ausleuchten. Sein Stil ist mit Antonioni oder Tarkowski verglichen worden, auch Bergmann wäre zu nennen. Mit den Altmeistern teilt der neue Star am türkischen Kinohimmel die Lust an der Melancholie, am ästhetisch verklärten Schmerz.

Es gibt eine Szene in Three Monkeys / Üc Maymum, in der die Ehefrau von der Dachterrasse springen will und ihr Mann dazukommt. Ganz starr und gelähmt steht er da, dem Aufruhr in seinem Inneren bleibt die Abfuhr in einer Aktion verwehrt. Nur das Gesicht verrät den Widerspruch, der in ihm tobt: Soll er sie springen lassen oder retten? Panischer Schweiß tritt in dicken Perlen auf die Stirn, bedeckt bald das ganze Gesicht.

So ist das mit allen diesen vier Hauptfiguren. Die Gefühle haben kein Ventil, im Inneren entsteht ein enormer Druck, der mit ebenso starker Gewalt unter der Decke gehalten werden muss. Was diese Menschen bewegt, kann man aber an der subjektiv gefärbten Außenwelt ablesen, an dieser fast farblosen, oft erdrückenden Szenerie, die Ceylan, der auch ein erfolgreicher Fotograf ist, mit genau kalkulierter Wirkung in Szene setzt.

Es geht um die ungeheuerliche Geschichte einer Familie, deren Mitglieder wie gelähmt und zugleich wie ferngesteuert nebeneinander herleben. Der Chef des Ehemanns (Ercan Kesal) ist ein ehrgeiziger Politiker, der bei einer nächtlichen Heimfahrt in den Sekundenschlaf fällt und einen Menschen totfährt. Um seine Karriere nicht zu gefährden, bietet er dem Ehemann (Yavuz Bingöl) Geld, damit dieser die Schuld auf sich nimmt und für neun Monate ins Gefängnis geht. In dieser Zeit fängt der Politiker mit der Ehefrau (Hatice Aslan) ein Verhältnis an. Ihr Sohn (Ahmet Rifat Sungar) kommt dahinter, aber auch er drückt sich vor den Folgen seiner Erkenntnis. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Denn die Affen-Strategie des „nichts sehen, nichts hören und nichts sagen“ kann die Wahrheit natürlich nicht ungeschehen machen.

Regisseur Nuri Bilge Ceylan hat bei der Pressekonferenz in Cannes den Filmtitel Three Monkeys ganz explizit mit dem Sinnbild der zugehaltenen Augen, Ohren und Münder verknüpft und die Botschaft des Films daran gebunden. Alle vier Figuren wollen nicht wahrhaben, was sie sehen und hören. Es gehört zu den berührendsten Szenen des Films, wenn sie mit sich ringen, ob sie nicht vielleicht doch die Wahrheit sagen sollen. Für den Regisseur ist dies aber nicht nur ein Thema dieser Charaktere, sondern eine Grundlage des Menschseins schlechthin. Es habe ihn seit je fasziniert, welche Gegensätze und Wahlmöglichkeiten in der menschlichen Seele schlummern, sagt Nuri Bilge Ceylan: einerseits der Mut zur Aufrichtigkeit und andererseits das Prinzip der drei Affen.

Das ist sicherlich richtig. Aber es bedeutet auch, dass die im Film erzählte Geschichte den Charakter einer Parabel bekommt. Sie wird nicht in erster Linie um ihrer selbst willen erzählt wird, sondern um ein philosophisches Thema zu exemplifizieren. So etwas geht meist zu Lasten der konkreten Geschichte. Vermutlich hängen die dramaturgischen Schwächen dieses trotzdem unbedingt sehenswerten Films damit zusammen: dass seine Bildgewalt den Zuschauer viel mehr packt als der Gang der Handlung.

Drei Affen - Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Das gibt es selten: Drei Mal hintereinander hat der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan beim Filmfestival in Cannes einen Preis bekommen.
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