Dragan Wende - West Berlin

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Der etwas andere Wendeverlierer

„Vor der Wende war alles besser!“ Laut darf man das ja gar nicht sagen, doch hinter vorgehaltener Hand äußert so mancher seinen Unmut über die vermeintlich verheerenden Folgen des Mauerfalls. Dragan Wende, der Protagonist des gleichnamigen Dokumentarfilms von Lena Müller und Dragan von Petrovic, hat mit „political correctness“ weniger am Hut und scheut sich nicht davor, mit voller Inbrunst zu deklarieren, dass er die Mauer nicht nur gerne wiederaufbauen, sondern noch gut 10 Meter höher errichten möchte. Derartige Aussprüche kann sich Dragan im Grunde nur deshalb leisten, weil er als gebürtiger Jugoslawe in gewisser Weise ein Außenstehender ist. Der Film macht sich eben diese Perspektive zu Nutze und kann sich mit der jüngsten deutschen Geschichte daher ganz frei und vor allem frech auseinandersetzen.
Eigentlich ist Dragan Wende keine Berühmtheit. Dass ihm dennoch ein ganzer Film gewidmet wird, verdankt er seinem Neffen Vuk Maksimovi, der hier nicht nur die Kamera führt, sondern als Erzähler und Protagonist dem Konzept auch einen Rahmen verleiht. So wird Dragan Wende – West Berlin zu einem ganz persönlichen Projekt, das sich nicht nur mit dem Mauerfall und seinen Folgen, sondern auch mit drei Generationen von Auswanderern beschäftigt. Alles beginnt mit Dragans Vater, der nach dem Mauerbau als Gastarbeiter mit seiner Familie nach West-Berlin kommt. Sein Sohn erkennt schon als junger Mann die Vorzüge, die ihm sein jugoslawischer Pass bietet. Als Türsteher und Barmann in den Clubs von Rolf Eden macht sich Dragan einen Namen im Rotlichtmilieu und lebt in Saus und Braus. Doch das Ende der DDR und der Zerfall Jugoslawiens bedeuten auch für ihn eine Wende. Die goldenen Zeiten sind vorbei. Zwanzig Jahre später scheint das bei Dragan noch immer nicht ganz angekommen zu sein. Als Vuk nach Berlin reist, um seinen sagenumwobenen Onkel endlich persönlich kennenzulernen, findet er einen abgehalfterten Bordell-Türsteher vor, der seine Energie zum Großteil darauf verwendet, den Niedergang des Westberliner Stadtlebens zu betrauern.

Dragan Wende ist ein echtes „Original“ und entspricht vom schmierigen Scheitel bis zur Lederschuhsohle dem Klischee eines Bordellbesitzers. Der Schein trügt insofern, als dass Dragan es nicht weiter als bis zum Street Manager gebracht hat, der zögerliche Herren von der Straße in das rot beleuchtete Etablissement schleusen soll. Doch sein ausgewachsenes Ego entschädigt ihn für die gescheiterte Karriere im Milieu. Dragan ist von seiner Tätigkeit gar so überzeugt, dass er sie gerne vertrauensvoll an die nächste Generation, sprich Vuk, abgeben möchte, den er väterlich in die Geheimnisse seines Berufs einführt. Der anhaltende Witz von Dragan Wende – West Berlin entsteht aus dem Widerspruch zwischen der Haltung des Protagonisten und seiner Lebensrealität. Denn selbst wenn Dragan einst ein Held des Berliner Nachtlebens war – und so ganz sicher kann man sich dessen irgendwie bis zum Ende nicht sein – so ist er heute nichts weiter als ein einsamer Mann, der sich verzweifelt an einer geschönten Vergangenheit festklammert und sich mit unsicheren Jobs über Wasser hält. Fünf Euro bekommt Dragan pro Bordellbesucher, von einem festen Gehalt ist nie die Rede und auch seine Wohnung erinnert eher an einen verramschten Privatpuff als an die Behausung eines Kiezkönigs.

Interessanter noch als die skurrile Hauptperson ist der Blick, den die Filmemacher auf die deutsche Geschichte werfen. Animierte Sequenzen, Archivaufnahmen und die beschwingte Musikuntermalung sorgen für eine unterhaltsame Geschichtsstunde über die Teilung der Bundesrepublik. Neben Dragan kommen auch seine besten Freunde — durchtriebene, aber sympathische Schlitzohren — zu Wort und berichten von den Zeiten vor- und nach dem Mauerfall. Sie alle fühlen sich in West-Berlin heimisch und bedauern die Veränderungen, die dieser Teil der Stadt in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Mitleid erzeugen diese außergewöhnlichen Wendeverlierer nicht. Dafür ist die ironische Brechung der Inszenierung zu stark und auch die kriminellen Karrieren der Protagonisten erzeugen Distanz. Sympathisch wirken sie trotzdem, allen voran Dragan, der im Laufe des Films mehr und mehr zu einem tragischen Helden wird.

Dragan Wende – West Berlin überzeugt mit frechem Witz und der Unverfrorenheit seines Protagonisten. Die persönliche Note und die ironische Brechung verhindern, dass die Hauptfigur der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Leider kann Dragan den Film nicht über die gesamte Laufzeit tragen, denn sein Leben steht im Grunde still. Es fehlt an Dynamik und Entwicklung, um ein Publikum dauerhaft an seine Geschichte zu fesseln. Spannender ist in dieser Hinsicht der stumme Protagonist West-Berlin, der hier aus der Versenkung zurück ins Rampenlicht tritt.

Dragan Wende - West Berlin

„Vor der Wende war alles besser!“ Laut darf man das ja gar nicht sagen, doch hinter vorgehaltener Hand äußert so mancher seinen Unmut über die vermeintlich verheerenden Folgen des Mauerfalls. Dragan Wende, der Protagonist des gleichnamigen Dokumentarfilms von Lena Müller und Dragan von Petrovic, hat mit political correctness weniger am Hut und scheut sich nicht davor, mit voller Inbrunst zu deklarieren, dass er die Mauer nicht nur gerne wiederaufbauen, sondern noch gut 10 Meter höher errichten möchte.
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