Die geliebten Schwestern (2014)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Diese Sprache, so schön / Schiller in Love

„Lass uns den Traum leben!“, welch unbedingter Wille spricht aus diesem Ausruf. In Die geliebten Schwestern sagt Schiller diese Worte zwar gegen Ende, eher leicht verzweifelt als drängend und forsch. Und dennoch: die jungen Menschen im Zeitraum um 1787, in dem Dominik Grafs Film spielt, sind völlig durchdrungen von einer idealistischen Aufbruchstimmung. Vieles ist im Umbruch, etwas bricht sich Bahn, das lange darauf gewartet hat, die Götter abzulösen: der Durst nach aufgeklärtem Wissen und damit einer wissenschaftlichen, gottlosen Wahrheit ist der neue Götze. Das spiegeln auch die Worte in Schillers Antrittsvorlesung als Professor in Jena, in Jena wider: „Der Anblick so vieler vortrefflichen jungen Männer, die eine edle Wissbegierde um mich her versammelt, […] macht mir meine Pflicht zum Vergnügen, lässt mich aber auch die Strenge und Wichtigkeit derselben in ihrem ganzen Umfang empfinden. […] Was hat der Mensch dem Menschen Größeres zu geben als Wahrheit?“

Die geliebten Schwestern setzt nicht gänzlich auf die Wucht solcher Worte allein, wie es vielleicht von einem historischen Film über einen deutschen Dichter aus dem bildungsbürgerlichen Kanon erwarten ließe. Bilder und Sprache umspielen einen mit Leichtigkeit und einer losgelösten Frische, dabei erzählen sie von der amourösen Dreiecksbeziehung zwischen Friedrich Schiller (Florian Stetter), Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und deren Schwester Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius). Charlotte ist auf Männerschau in Weimar in Obhut ihrer Patentante, die sie zur Hofdame verheiraten soll. Durch einen Zufall lernt sie den bürgerlichen Dichter kennen, dem aufgrund der Räuber ein rebellischer Ruf vorauseilt. Die beiden verstehen sich, schreiben sich Briefe, die später in die Hände von Caroline geraten, die daraufhin Schiller antwortet und ihn bittet auf ihre Schwester zu achten. Gleichzeitig lädt sie ihn für den Sommer zu den beiden nach Rudolstadt ein.

Die drei lernen sich kennen, schreiben sich kodierte Briefe voller Kreise, Dreiecke und Lebenslust. Entgegen den Sitten sprechen sie offen über ihre Gefühle füreinander. Die Schwestern bilden ein untrennbares Gespann. Graf porträtiert den romantischen Überschwang ihrer drängenden Gefühlswelten, wenn er sie als junge Frauen am Rheinfall in die Welt hinausschreien lässt, dass sie sich immer lieben werden. Dabei werden die Worte vom tosenden Rauschen des Wassers übertönt. Für Schiller ist Charlotte, die ihn später für ihre verhinderte, weil unglücklich mit einem anderen verheiratete, Schwester ehelicht, die apollinische „Weisheit“, Caroline ist die dionysische „Glut“. Alle drei wollen stets das Beste für alle. Schiller will und liebt sie beide. Die beiden wollen und lieben Schiller. Keine Konkurrenz, der Versuch einer Utopie zu dritt. Die sich aufbauende Spannung und die resultierenden Spannungen zwischen den Figuren entfaltet das Drehbuch erst langsam – und das immer mit dem Fixstern Schiller. Die Beziehung der beiden Schwestern zueinander wird zu keinem Zeitpunkt zu Ende ausgespielt, bleibt dadurch bis auf den Schwur gespannt in der Schwebe. Mit Gespür für die Gefühlsregungen seiner Figuren deutet Graf sie immer wieder über die individuellen Gefühle der jeweils anderen zum Dichter an.

Die geliebten Schwestern geht frei mit der Historie und der Anwendung filmischer Mittel um. Die Liebesgeschichte ist zwar verbürgt, deren Ausprägungen sind allerdings fiktiv, woraus der Film auch keinen Hehl macht: Graf selbst spricht stellenweise einen klugen, erzählerischen Kommentar („Nehmen wir an…“). Durchgängig sind Respekt vor Thema und Zeit, vor allem aber die schiere Freude an der Arbeit daran bemerkbar. Das Erzähltempo ist angeglichen an die damalige Fortbewegungsgeschwindigkeit der Menschen angenehm langsam, einen trotzdem abwechslungsreichen Rhythmus erzeugen immer wieder dazwischen geschnittene Einschübe, die assoziativ Gedanken der Figuren schildern, Zeitsprünge vollziehen oder einfach amüsante Details abbilden. Durch das Gegeneinander von getragenen Sequenzen und Fragmenten wird die Ungeduld der Liebenden auf Ebene des Schnitts erfahrbar gemacht. Am Ende bricht der Film jegliche historisierenden Standpunkte vollends auf, indem er heutige Aufnahmen von Schillers Haus in Weimar zeigt, an dem Touristen vorbeischlendern. Auf diese Weise wird das Medium selbst reflektiert und eine auf die gezeigte Geschichte bezogene „Genau-so-muss-es-gewesen-sein“-Attitüde vermieden.

Doch komme ich einfach nicht umhin, noch einmal von der Liebe zur Sprache zu sprechen, die in Die geliebten Schwestern so differenziert und wunderbar leichtfüßig eingearbeitet ist. Sie wird fast schon zu einem zusätzlichen Charakter des Films. Alle Figuren sind konstant von ihr und ihrer Wirkung umgeben, von verschiedenen Sprachen, Dialekten und Mischformen. Wenn die adligen Damen nicht wollen, dass die neugierigen Bediensteten alles mithören, reden sie einfach anstatt Deutsch Französisch, so müssen sie auch die Türen des Salons nicht unbedingt schließen. Sächselnde und schwäbelnde Figuren erzeugen charmant Lokalkolorit und erhöhen die Laune beim Zuhören. Ständig werden Briefe geschrieben, Briefe gelesen oder sich gegenseitig vorgelesen, es werden Texte geschrieben und laut gelesen, zum Teil werden sie auch direkt in die Kamera gesprochen. Es ist eine Freude, in all das einzutauchen und an all dem teilzuhaben.

Gegen Ende der Geschichte weicht das Erzähltempo vom bis dato etablierten, fast naturalistischen Erzählton etwas ab, viele Entwicklungen werden nur noch punktuell erwähnt, vieles wirkt etwas gerafft (der Text bezieht sich auf die 138-minütige Kinoversion). Das wäre gar nicht nötig gewesen, Die geliebten Schwestern hätte auch noch um Einiges länger sein können, denn Langeweile kommt an keiner Stelle auf. Am Schluss will man gar nicht mehr, dass sie aufhört, diese intensive, physische wie intellektuelle Verbindung der drei Figuren auf der Leinwand. Graf liefert definitiv den Liebesfilm dieses Sommers.

(Stephan Langer)
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Dominik Grafs neuer Film Die geliebten Schwestern, der seine Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale 2014 feierte, erzählt innerhalb seiner fast drei Stunden Laufzeit von Friedrich Schillers Verhältnis zu den beiden Schwestern Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengefeld. Charlotte wird er später heiraten, doch auch mit Caroline verband ihn ein mehr als inniges Verhältnis.

Dominik Graf konzentriert sich in seinem Film weniger auf den Dichter selbst, sondern viel mehr noch auf die beiden Schwestern, die in ihrem Freiheitsdrang und ihrer Lebenslust ihrer Zeit weit voraus waren und verhandelt anhand dieses Beispiels die Frage, ob es gelingen kann, eine andere Form der Liebe, des Begehrens, der Leidenschaft zu leben, als dies von der Gesellschaft vorgesehen ist.

Als Charlotte (Henriette Confurius) dem Dichter (Florian Stetter), der gerade aus Württemberg fliehen musste, zum ersten Mal in Weimar begegnet, ist sie erst kurze Zeit dort bei Hofe und soll nach dem Willen ihrer Mutter einen reichen Mann ausfindig machen. Denn nach dem Tod des Vaters steht es nicht gut um das thüringische Adelsgeschlecht von Lengefeld. Schon Caroline (Hannah Herzsprung) hat sich dem Schicksal gefügt und ist eine Vernunftehe eingegangen und genau das Gleiche wird nun auch von ihrer jüngeren Schwester erwartet. Nach einer herben Enttäuschung bei Hofe ergreift Caroline, die vermeiden will, dass ihre Schwester ihr nachfolgt, die Initiative und sorgt dafür, dass Charlotte endlich die Briefe des Herrn Schiller beantwortet. Auf Einladung der beiden Schwestern verbringt der Dichter einen Sommer auf deren Anwesen in Rudolstadt und dort wächst in allen dreien das Gefühl heran, dass sie zu dritt glücklich sein könnten. Die Euphorie währt aber nur kurz, denn solch eine Verbindung ist natürlich völlig undenkbar und so vereinbaren Caroline und Charlotte, dass wenigstens die Jüngere den Geliebten heiraten soll. Das Arrangement aber ist auf einem fragilen Fundament gebaut und führt dazu, dass die Leichtigkeit des Sommers ihrer ersten Begegnung von Düsternis und Not abgelöst wird, die bis ans Lebensende Friedrich Schillers im Jahre 1805 währt.

Ähnlich wie bei Blau ist eine warme Farbe sind es hier eigentlich zwei Filme bzw. zwei sehr unterschiedliche Hälften, die den Film strukturieren: Der sommerlich-leichten Exposition und Etablierung der ungewöhnlichen Verbindung folgt die Ernüchterung, das Leid, der Schmerz. Klug eingeführt und zusammengehalten von einer sparsam eingesetzten Erzählstimme versteht es der Film, den Geist der Zeit, der getragen ist von einer Aufbruchstimmung, die durch die Französische Revolution noch verstärkt wird, einzufangen und zugleich anhand der Dreiecksbeziehung die Beschränkungen aufzuzeigen. Dank Grafs souveräner und einfühlsamer Regie wird Die geliebten Schwestern trotz der enormen Laufzeit zu keinem Punkt langatmig. Allerdings sehnt man sich nach dem verheißungsvollen Auftakt, der so licht und hell und voller Energie war, später oft danach zurück, zumal später in raschem Stakkato wichtige Lebensstationen der drei Hauptfiguren mitunter ein wenig zu rasant abgearbeitet werden.

Zwischendrin blitzen dann punktartig kleine humoreske Einlagen auf, die einen schmunzeln lassen. Sehr schön ist beispielsweise die Idee, den Weimarer Übervater Goethe niemals en face zu zeigen — umso schöner ist es dann, als er in einer Szene von hinten gezeigt wird und einen Satz in schönstem Frankfurter Dialekt sagt. Auch das Spiel mit anderen Sprachmelodien setzt der Film gekonnt ein. So liefert beispielsweise Schillers Verwandtschaft fast schon eine Parodie auf die schwäbische Seele ab, die jedem Kenner der süddeutschen Wesensart seltsam vertraut vorkommt.

Zweifellos gehören vor allem die Bilder des ersten Teils auf die große Leinwand, aber man fragt sich schon, ob Die geliebten Schwestern aufgrund ihrer Struktur und des enormen Umfangs nicht sogar fast den Stoff für eine TV-Miniserie abgegeben hätten. In Zeiten, in denen sich Fernsehserien vor allem aus den USA anschicken, dem Kino den Rang abzulaufen, spricht dies keinesfalls gegen den Film. Es bleibt aber das Gefühl, dass Dominik Graf das eigentlich alles noch ein wenig besser kann — und vielleicht liegt hierin ja gerade ein hohes Maß an Wertschätzung für diesen Filmemacher: In dem Gefühl, dass er — wenn man ihn denn ließe — auch und gerade im Kino noch viel mehr zu leisten imstande wäre.

Die geliebten Schwestern (2014)

„Lass uns den Traum leben!“, welch unbedingter Wille spricht aus diesem Ausruf. In „Die geliebten Schwestern“ sagt Schiller diese Worte zwar gegen Ende, eher leicht verzweifelt als drängend und forsch. Und dennoch: die jungen Menschen im Zeitraum um 1787, in dem Dominik Grafs Film spielt, sind völlig durchdrungen von einer idealistischen Aufbruchstimmung.

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Meinungen

Martin Zopick · 08.09.2022

Gut, dass es keine historisch nachweisbaren Fakten über die Liebe von Friedrich Schiller zu den beiden Lengefeld Töchtern gibt. So konnte Dominik Graf ein Drehbuch verfassen, das zwar in einem zeitlich fest umrissenen Rahmen spielt (Es fallen Begriffe wie ‘Aufklärung‘, die ‘Französische Revolution von 1789‘ oder ein Treffen Goethe – Schiller), aber die hier dargestellte Ménage à trois ist ein zeitloses Phänomen. Schiller als Prince Charming flattert leicht und locker zwischen den sich sehr zugetanen Schwestern Caroline (Hannah Herzsprung) und Charlotte (Henriette Confurius) hin und her. Dabei halten sich die starke emotionale Bindung der beiden jungen Frauen zueinander und ihre Zuneigung zum aufstrebenden Dichter die Waage. Das ist das Ungewöhnliche an diesem Film. Und dank der drei grandiosen Hauptdarsteller gelingt es das Phänomen ‘Liebe‘ in der Schwebe zu halten. Außerdem bilden zwei ältere Damen einen herrlichen Kontrast zur Jugend: Charlotte von Stein († Maja Maranow) und die Mutter der beiden (Claudia Messner).
Erstaunlicherweise gibt es fast keinen Streit unter den Schwestern. Erst ganz am Ende fetzen sie sich mal und rücken Möbel. Man sieht auch nur ganz kurz Caroline mit Schiller im Bett. Charlotte hat zwar auch ihre Qualitäten, die aber nie mit denen ihrer Schwester konkurrieren. Oder wie Schiller es sagt: ‘die eine ist die Weisheit, die andere die Glut‘. Aber es gibt jede Menge Emotionen und auch Tränen. Beide gebären Kinder. Es entwickeln sich zwei Pärchen (Ronald Zehrfeld kommt noch hinzu) und zwei Kinder.
Das Ende hält Dominik Graf wohl bewusst etwas vage. Tod und Trennung werden schnell abgehandelt, während man in Gedanken noch bei den wunderschönen Bildern verweilet: Picknick im Grünen, eindrucksvolle Architektur als Ambiente etc. Oder der Charme von Charlotte und Caroline wirkt noch nach.

Martha Waits · 22.09.2014

Wenn die Kritik ein Werk allzusehr lobt, ist allemal Vorsicht geboten. So auch hier. Mehr als 2 Stunden Dominik-Graf'sches Geraune stellen die Geduld des gemeinen Kinogängers auf eine harte Probe.
Und der "kreative" Umgang mit einer höchst spekulativen "Lovestory" nimmt dieser Geschichte den Großteil einer potentiell informativen Schilderung zu der Person des deutschen "Nationaldichters" Schiller. Wie es auch anders ginge, zeigt "Cyrano de Bergerac" oder -mit Abstrichen- "Goethe!".

W. M. D. · 07.08.2014

Die Festivalkritik der Langfassung von Joachim Kurz verwechselt die beiden Schwestern. Die jüngere, Charlotte von Lengefeld, ist die spätere Ehefrau Schillers, die vier Jahre ältere, Caroline von Beulwitz, seine Schwägerin. Diese heiratet nach ihrer Scheidung Wilhelm von Wolzogen.

Eine Rudolstädterin · 02.08.2014

Liebe Clara,
Thüringer fühlen sich nicht brüskiert. Denn Rudolstadt hieß früher Rudolfestadt :)

@ClaraT. · 31.07.2014

Danke für den freundlichen Hinweis.

Clara T. · 31.07.2014

"Rudolfstadt"- peinlich,peinlich,peinlich.
Sowas geht gar nicht. Werden diese Texte nicht redigiert? Hat der Verfasser keine Ahnung von Thüringen und geschichtlichen Hintergründen?
Vielleicht ein Detail, aber dazu nütze, viele Thüringer zu brüskieren.
(Bin selber keiner)

Hartmut T. · 31.07.2014

Ich habe die "kurze" Kinofassung gesehen - ohne zu wissen, dass es eine Langfassung gibt. Im Nachhinein könnte das meinen Eindruck erklären, es fehle dem Film etwas, ohne dass ich sagen könnte, was das ist. Der Film taugt zum Eintauchen in die bürgerliche Welt der damaligen Zeit, hat mich aber nicht gefesselt. Keine der Figuren konnte mich emotional berühren. Gar nicht gefallen hat mir Florian Stetters Art zu sprechen. Sie erinnerte mich an das Dozieren in seiner Rolle als Pfarrer in Brüggemanns "Kreuzweg", wirkte zu sehr auswendig gelernt. Ich bin gespannt auf die Fernsehfassung.