Die Farbe der Sehnsucht

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Gefühl filmisch zu dokumentieren – geht das? Der 1963 in München geborene Regisseur, Kameramann und Editor Thomas Riedelsheimer befasst sich in seinem Werk Die Farbe der Sehnsucht mit dem titelgebenden Verlangen, das gewiss jede_r von uns kennt. Um der Sehnsucht nach Heimat, Identität, Selbstbestimmung, Liebe, Erfüllung oder auch nach dem Tod auf den Grund zu gehen, widmet sich der Filmemacher dem (Innen-)Leben von Menschen in Portugal, Katar, Japan, Deutschland und Mexiko und schildert, worüber diese Personen nachdenken, was sie empfinden und wie sie ihr Dasein gestalten.
Die in Portugal lebende Domingas Ferreira kommt von den Kapverden; vor über drei Dekaden verließ sie im Alter von 19 Jahren ihre Heimat und musste ihre beiden kleinen Töchter bei der Mutter zurücklassen. Tanz und Gesang helfen ihr dabei, die Sehnsucht nach dem Ort ihrer Herkunft zu verarbeiten. Der junge Graffiti-Künstler Helder „Tazy“ Martins wohnt wie Domingas in dem Viertel Cova da Moura in Lissabon; auch seine Familie wanderte einst von den Kapverden ein. Er wurde in Portugal geboren – und fühlt sich in Cova da Moura zu Hause, wenngleich er sich nicht als Portugiese, sondern als Afrikaner sieht: „Afrikaner aus Cova da Moura. Das ist wichtig.“ Die muslimische Layla Salah umtreibt indes der Drang nach Unabhängigkeit, da sie ihre Wünsche und Träume als Frau im Emirat Katar lediglich literarisch ausagieren kann.

Zu den weiteren Protagonist_innen des Dokumentarfilms zählen Yuichi Tada und Kanayo Ueda. Letztere betreibt in dem Obdachlosenviertel Kamagasaki in der japanischen Stadt Osaka ein Café, in welchem sich auch der ältere Yuichi Tada häufig aufhält. Die junge Frau fand in ihren Zwanzigern in der Poesie die Möglichkeit, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen – und animiert nun ihr Umfeld dazu, ebenfalls Gedichte zu verfassen. In einem anderen Teil Japans – den Tojinbo-Klippen – versucht der pensionierte Polizist Yukio Shige derweil, Menschen vor dem Suizid zu bewahren. Ferner wendet sich Riedelsheimer dem Abiturienten Julius Krebs aus Deutschland sowie dem kubanischen Taucher Alfredo Barroso Ruiz in Mexiko zu.

Die Farbe der Sehnsucht stellt über die Montage und über die musikalische Untermalung diverse Verknüpfungen zwischen den Geschichten dieser Menschen her – ohne dass dies jemals so forciert wirkt wie etwa in einigen episodisch erzählten fiktionalen Werken. Riedelsheimer nähert sich jeder Episoden auf ganz eigene Art: Wenn er zum Beispiel Julius beim Skateboardfahren in München beobachtet, erinnern die Bilder an Gus Van Sants Paranoid Park; die Passagen um die hilfsbereite und poesiebegeisterte Kanayo Ueda haben dagegen etwas von einer japanischen Version von Die fabelhafte Welt der Amélie. Der Filmemacher beweist in der Art, wie er die Lebensräume seiner Protagonist_innen einfängt, ein Gespür für Atmosphären; obendrein gelingt es ihm, den Interviewten nicht nur Allgemeinplätze, sondern sehr persönliche Aussagen zu entlocken. Eindrücklich sind dabei insbesondere die Statements der in Katar wohnenden Layla Salah, die glaubt, „zu frei, innendrin“ zu sein, um sich mit den Lebensbedingungen ihrer Umgebung arrangieren zu können. „Alles wird immer verhüllt“, muss sie ernüchtert feststellen.

Zu den Gemeinsamkeiten der einzelnen Abschnitte gehört der künstlerische Ausdruck von Empfindungen – durch Musik, Tanz, Graffiti oder Worte. Somit demonstrieren sowohl die Menschen in Riedelsheimers Arbeit als auch der Film selbst, dass es möglich ist, ein Gefühl wie Sehnsucht adäquat, erhellend und schlichtweg schön zu erfassen.

Die Farbe der Sehnsucht

Thomas Riedelsheimer will „Die Farbe der Sehnsucht“ finden und reist dafür durch Portugal, Deutschland, Japan, Mexiko und Katar. In den Ländern spricht er mit Bewohnern über Heimat, Freiheit und Wünsche und verbildlicht ihren Glauben, Liebe und Hoffnung.
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